VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 301

Schnitzle Schnitzle
sDeath sDeath
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1. österr. behördl. konzessioniertes 1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Ausschnitt aus Ausschnitt aus
Auiir t Auiir t
Nr.Vom.193 Nr.Vom.193
Arthur Schnitzler Arthur Schnitzler
Von Alexander Baldus. Von Alexander Baldus.
Die Zeitungsnachricht, daß der bekannte österreichische Die Zeitungsnachricht, daß der bekannte österreichische
Tichter Arthur Schnitzler in Wien einem Gehirnschlag Tichter Arthur Schnitzler in Wien einem Gehirnschlag
erlegen sei, trifft die Oeffentlichkeit unerwartet, wenn erlegen sei, trifft die Oeffentlichkeit unerwartet, wenn
auch nicht ganz unvorbereitet. Wußte man doch schon auch nicht ganz unvorbereitet. Wußte man doch schon
seit längerer Zeit, daß infolge harter Schicksalsschläge seit längerer Zeit, daß infolge harter Schicksalsschläge
innerhalb des engsten Familienkreises die Gesundheit des innerhalb des engsten Familienkreises die Gesundheit des
beinahe Siebzigjährigen stark erschüttert war, daß sich der beinahe Siebzigjährigen stark erschüttert war, daß sich der
ehemalige Militärarit, der fr ilich Jahrzehnte hindurch ehemalige Militärarit, der fr ilich Jahrzehnte hindurch
keinerlei Praxis mehr ausgeübt hatte, weder körperlich keinerlei Praxis mehr ausgeübt hatte, weder körperlich
noch seelisch völlig erholen konnte. Aber an diesen plötz¬ noch seelisch völlig erholen konnte. Aber an diesen plötz¬
lichen Tod beim Spaziergang hatte wohl niemand gedacht. lichen Tod beim Spaziergang hatte wohl niemand gedacht.
Doch wie dem auch sei: 2ichterisch gesehen war Arthur Doch wie dem auch sei: 2ichterisch gesehen war Arthur
Schnitzler schon lange ein Toter, trotzdem er immer noch Schnitzler schon lange ein Toter, trotzdem er immer noch
gedruckt, gelesen, aufgeführt und gefeiert wurde; denn gedruckt, gelesen, aufgeführt und gefeiert wurde; denn
er gehörte einer Epoche an, die mit der Wende des er gehörte einer Epoche an, die mit der Wende des
Weltkrieges zu existieren aufhörte, nachdem sie dank sub¬ Weltkrieges zu existieren aufhörte, nachdem sie dank sub¬
tilster Selbstanalyse sich vorher schon mehr und mehr zer¬ tilster Selbstanalyse sich vorher schon mehr und mehr zer¬
setzt hatte. Es war die Zeit des Impressionismus, des setzt hatte. Es war die Zeit des Impressionismus, des
flüchtigen Erfassens, wie sie, materialistisch und ratio¬ flüchtigen Erfassens, wie sie, materialistisch und ratio¬
nalistisch getönt, im Sinnen indruck die letzte Wahrheit nalistisch getönt, im Sinnen indruck die letzte Wahrheit
zu besitzen wähnte, die Zeit der wandernden und wan¬ zu besitzen wähnte, die Zeit der wandernden und wan¬
delnden Stimmungen, bei denen der Wechsel als das ein¬ delnden Stimmungen, bei denen der Wechsel als das ein¬
zig Feste galt. Was Wunder, daß der Mensch dieser Zeit zig Feste galt. Was Wunder, daß der Mensch dieser Zeit
die Fülle des auf ihn einstürmenden Lebens wie einen die Fülle des auf ihn einstürmenden Lebens wie einen
Taumelkelch genoß, beranscht von der melancholischen Taumelkelch genoß, beranscht von der melancholischen
Trunkenheit ewigen Gleitens und Entgleitens, daß er Trunkenheit ewigen Gleitens und Entgleitens, daß er
sich gleichsam im dunilen Saale eines Weltentinos sitzen sich gleichsam im dunilen Saale eines Weltentinos sitzen
wähnte und den magischen Filmstreif der Menschen und wähnte und den magischen Filmstreif der Menschen und
Dinge wie im Traume an sich vorübergleiten ließ. Was Dinge wie im Traume an sich vorübergleiten ließ. Was
Wunder aber auch, daß ein nur leicht verschleierter Pessi¬ Wunder aber auch, daß ein nur leicht verschleierter Pessi¬
mismus, der um die Nichtigkeit jedes Erlebnisses weiß, mismus, der um die Nichtigkeit jedes Erlebnisses weiß,
um die hoffnungslose Einsamkeit des Ich, das halb skep¬ um die hoffnungslose Einsamkeit des Ich, das halb skep¬
tische und halb ironische Resultat solcher Weltanschauung tische und halb ironische Resultat solcher Weltanschauung
werden mußte, daß jegliches idealistische Ethos, wie es werden mußte, daß jegliches idealistische Ethos, wie es
die revolutionäre Geste des Expressionismus wiederum die revolutionäre Geste des Expressionismus wiederum
mit sich brachte, von vornherein eine Unmöglichkeit war. mit sich brachte, von vornherein eine Unmöglichkeit war.
Arthur Schnitzlers gesamtes dichterisches Werk, das in Arthur Schnitzlers gesamtes dichterisches Werk, das in
dramatischer wie in novellistischer Hinsicht in gleicher dramatischer wie in novellistischer Hinsicht in gleicher
Weise gewertet werden will, ist typisch für diese Zeit, Weise gewertet werden will, ist typisch für diese Zeit,
ja vielleicht der Typus selbst; denn während andere Per¬ ja vielleicht der Typus selbst; denn während andere Per¬
sönlichkeiten von Rang, wie der befreundete Hugo von sönlichkeiten von Rang, wie der befreundete Hugo von
Hofmannsthal, wie St.phan George und schließlich sogar Hofmannsthal, wie St.phan George und schließlich sogar
wie Hermann Bahr, um die Flüchtigkeit der so ganz wie Hermann Bahr, um die Flüchtigkeit der so ganz
aufs Flüchtige eingestellten Zeit wußten und sie dem¬ aufs Flüchtige eingestellten Zeit wußten und sie dem¬
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entsprechend nur als Durchgangsstadium betrachteten, entsprechend nur als Durchgangsstadium betrachteten,
blieb Schnitzler ganz darin, durch ränkte mit ihr sein blieb Schnitzler ganz darin, durch ränkte mit ihr sein
eigenes Wesen und dämpte das machtvolle Barock seines eigenes Wesen und dämpte das machtvolle Barock seines
heimatlichen Milicus zu dem graziösen Spiel französisch heimatlichen Milicus zu dem graziösen Spiel französisch
kultivierten Rokokos. Von den frühen Szenen des „Anatol“ kultivierten Rokokos. Von den frühen Szenen des „Anatol“
(1893), denen der junge Hofmannsthal noch den bekann¬ (1893), denen der junge Hofmannsthal noch den bekann¬
ten und oft zitierten Vorspruch schenkte, bis zu der dra¬ ten und oft zitierten Vorspruch schenkte, bis zu der dra¬
matischen Spätdichtung „Der Gang zum Weher“ (1925) matischen Spätdichtung „Der Gang zum Weher“ (1925)
ist der Weg gar lang und reich besät, aber nicht sonderlich ist der Weg gar lang und reich besät, aber nicht sonderlich
vielgestaltig, durchquert er mit den Mitteln Freudscher vielgestaltig, durchquert er mit den Mitteln Freudscher
Psychoanalyse die gewaltigen Spannungen von Tod und Psychoanalyse die gewaltigen Spannungen von Tod und
Eros und führt dennoch, da er bewußt jeglicher Entschei¬ Eros und führt dennoch, da er bewußt jeglicher Entschei¬
dung ausweicht, niemals zu wirklicher Tragik. Immer dung ausweicht, niemals zu wirklicher Tragik. Immer
wieder wird da Ernst zum Spiel; und das Motto des wieder wird da Ernst zum Spiel; und das Motto des
„Paracelsus" (1899) wird zum Molto des gesamten dich¬ „Paracelsus" (1899) wird zum Molto des gesamten dich¬
terischen Schaffens: „Wir spielen immer; wer es weiß, terischen Schaffens: „Wir spielen immer; wer es weiß,
ist klug". Dieses Spiel, das gestaltlich besonders in den ist klug". Dieses Spiel, das gestaltlich besonders in den
beiden Monolog=Novellen „Leutnant Gustl“ (1901) und beiden Monolog=Novellen „Leutnant Gustl“ (1901) und
„Fräulein Else“ (1924) eine geradezu genialische Stil¬ „Fräulein Else“ (1924) eine geradezu genialische Stil¬
beherrschung verrät, muß dennoch in olge des inneren beherrschung verrät, muß dennoch in olge des inneren
Widerspruchs von Stoff und Gestaltung gehaltlich ent Widerspruchs von Stoff und Gestaltung gehaltlich ent
täuschen, eine Erscheinung, die übrigens in jedem der zahl¬ täuschen, eine Erscheinung, die übrigens in jedem der zahl¬
reichen novellistischen und dramalischen Arbeiten wider¬ reichen novellistischen und dramalischen Arbeiten wider¬
kehrt und die Bewunderung, aber nicht Liebe, auslöst. kehrt und die Bewunderung, aber nicht Liebe, auslöst.
Die Skepsis erotischer An pielungen und Abspiegelungen, Die Skepsis erotischer An pielungen und Abspiegelungen,
die sich in schier unerschöpflichen Variationen abwandelt die sich in schier unerschöpflichen Variationen abwandelt
und alles Absolute auflöst, die in und über der Liebe und alles Absolute auflöst, die in und über der Liebe
die „Liebelei" (1895) als lebengestaltend ansiehl und den die „Liebelei" (1895) als lebengestaltend ansiehl und den
„Reigen“ (1896 geschrieben, späler als Manuskript ge¬ „Reigen“ (1896 geschrieben, späler als Manuskript ge¬
druckt und wider den Willen des Dichters 1920 unter druckt und wider den Willen des Dichters 1920 unter
skandalösen Umständen zur Aufführung gebracht!) in zehn skandalösen Umständen zur Aufführung gebracht!) in zehn
Sznen von der Dirne zur Dirne schlingt, die einme so¬ Sznen von der Dirne zur Dirne schlingt, die einme so¬
gar, im „Grünen Kakadu“ (1893), den tollen Wirbel von gar, im „Grünen Kakadu“ (1893), den tollen Wirbel von
Spiel und Wirklichkeit in= und gegeneinander stellt, und Spiel und Wirklichkeit in= und gegeneinander stellt, und
endlich „Traum und Schicksal“ (1931, eine bielige Sonder¬ endlich „Traum und Schicksal“ (1931, eine bielige Sonder¬
ausgabe der charakteristischsten Novellen!) seltsam genug ausgabe der charakteristischsten Novellen!) seltsam genug
verknüpft, ist müde, doch nicht beruhigend, sinnenhaft, verknüpft, ist müde, doch nicht beruhigend, sinnenhaft,
do nicht sinnhaft. Und das Sein ist somit das Nichtsein do nicht sinnhaft. Und das Sein ist somit das Nichtsein
des Werdens „der Zukunft! des Werdens „der Zukunft!
Es ist klar, daß der Katholik zu den bereits von der Es ist klar, daß der Katholik zu den bereits von der
Zeit entwerteten Werten Schnitzlerschen Schaffens kein Zeit entwerteten Werten Schnitzlerschen Schaffens kein
wesenhaftes Verhältnis hat, daß er, der einer Idee lebt wesenhaftes Verhältnis hat, daß er, der einer Idee lebt
und an einen Himmel über sich glaubt, das ideenlose und an einen Himmel über sich glaubt, das ideenlose
Genügen in rein irdischem Spieltrieb nicht als Vorbild Genügen in rein irdischem Spieltrieb nicht als Vorbild
empfinden kann. Beim Ethos liegt die Entscheidung. empfinden kann. Beim Ethos liegt die Entscheidung.
Und die Zeit, die mit dem Expressionismus ihm gegen Und die Zeit, die mit dem Expressionismus ihm gegen
den Dichter Recht gab, hat einen Toten auf der Strecke den Dichter Recht gab, hat einen Toten auf der Strecke
gelassen, einen vielfach gefeierten Toten, dessen Leben gelassen, einen vielfach gefeierten Toten, dessen Leben
nur noch ein Schein war, als er, de nur noch ein Schein war, als er, de
gepriesen, wirklich starb. Die Stern gepriesen, wirklich starb. Die Stern
anftes Leuchten die blitzenden I anftes Leuchten die blitzenden I
Spielers verblassen müssen, sind ew Spielers verblassen müssen, sind ew
augen über einer gottlosen Welt. augen über einer gottlosen Welt.