2. Schnitzler's Death 2. Schnitzler's Death
die Masken, dem bewegten Maskenzug! Erkennt die Masken, dem bewegten Maskenzug! Erkennt
ihr die Gesichter? Die armen tödlichen Gesichter ihr die Gesichter? Die armen tödlichen Gesichter
des Lebens? Erkennt ihr euch? Und nun wagt des Lebens? Erkennt ihr euch? Und nun wagt
noch zu sagen: eines Dichters Sendung könne noch zu sagen: eines Dichters Sendung könne
größer sein, als dies euch vor Augen zu führen: größer sein, als dies euch vor Augen zu führen:
Spiel, Liebe, Tod ... den Sinn des Daseins. Spiel, Liebe, Tod ... den Sinn des Daseins.
Er hat ihn ganz erkannt, Arthur Schnitzler, so Er hat ihn ganz erkannt, Arthur Schnitzler, so
mußte er ihn erkennen lassen. mußte er ihn erkennen lassen.
Denn seiner Dichtung entscheidender Sinn Denn seiner Dichtung entscheidender Sinn
war: Wahrheit. Die Phrase verabscheuend, ehrte war: Wahrheit. Die Phrase verabscheuend, ehrte
er das Wesen. Und so durchaus Arzt war er in er das Wesen. Und so durchaus Arzt war er in
seiner Dichtung, daß er nie und nirgends ver¬ seiner Dichtung, daß er nie und nirgends ver¬
allgemeinerte, niemals die Krankheit, sondern allgemeinerte, niemals die Krankheit, sondern
jedesmal den Kranken behandelte. Indi¬ jedesmal den Kranken behandelte. Indi¬
vidualfall war ihm der Mensch, jeder einzelne, vidualfall war ihm der Mensch, jeder einzelne,
und um diesen Individualfall wahr zu machen, und um diesen Individualfall wahr zu machen,
dichtete er. Darum fehlt das Rosenrote unter dichtete er. Darum fehlt das Rosenrote unter
seinen Farben, so schwelgerisch sie leuchten; seinen Farben, so schwelgerisch sie leuchten;
darum jagt seinem Frühling der Herbst auf stür¬ darum jagt seinem Frühling der Herbst auf stür¬
mischen Straßen nach; darum dämpfen Ironie mischen Straßen nach; darum dämpfen Ironie
und Skepsis das Unbedingte mit der Sordine und Skepsis das Unbedingte mit der Sordine
des: Vielleicht. Der wahrsten einer ist er gewesen des: Vielleicht. Der wahrsten einer ist er gewesen
der Gestalten schuf, um ihnen Sinn zu geben, der der Gestalten schuf, um ihnen Sinn zu geben, der
Sinnbilder schuf um zu enthüllen. Die ihn mi߬ Sinnbilder schuf um zu enthüllen. Die ihn mi߬
verstanden und mißverstehen wollten, legten ihm verstanden und mißverstehen wollten, legten ihm
dies als Zynismus aus. Aber wie weit vom dies als Zynismus aus. Aber wie weit vom
Zynischen ist dieser wahrhafte Dichter entfernt Zynischen ist dieser wahrhafte Dichter entfernt
gewesen, der so viel Ehrfurcht und Demut vor gewesen, der so viel Ehrfurcht und Demut vor
der Wahrheit hatte, dessen sprachliche Herkunft der Wahrheit hatte, dessen sprachliche Herkunft
die lautere Lyrik Eichendorffs, dessen epische die lautere Lyrik Eichendorffs, dessen epische
Musik der Geigenstrich von Grillparzers „Armen Musik der Geigenstrich von Grillparzers „Armen
Spielmann" ist. Unbedingte Wahrheit. Sie ist Spielmann" ist. Unbedingte Wahrheit. Sie ist
vom Zynismus so weit wie von Heuchelei ent¬ vom Zynismus so weit wie von Heuchelei ent¬
fernt und ganz nahe jener Vorkämpferschaft im fernt und ganz nahe jener Vorkämpferschaft im
Geiste, die leise geleistet wurde und vernehmliche¬ Geiste, die leise geleistet wurde und vernehmliche¬
ren Kämpfern den Weg bereitet hat: Wedekind ren Kämpfern den Weg bereitet hat: Wedekind
vor allem, dessen Werk ohne Schnitzler undenkbar vor allem, dessen Werk ohne Schnitzler undenkbar
wäre. Und wie vielen anderen, die sich neuzeit¬ wäre. Und wie vielen anderen, die sich neuzeit¬
lich gebärden und zeitlebens seine Schüler ge¬ lich gebärden und zeitlebens seine Schüler ge¬
blieben sind. Unendlich viel verdanken sie ihm, blieben sind. Unendlich viel verdanken sie ihm,
mehr, als sie wissen oder zugeben wollen. Aber mehr, als sie wissen oder zugeben wollen. Aber
jene unbedingte Wahrheit für die er lebte und jene unbedingte Wahrheit für die er lebte und
dichtete, war es zugleich, die ihn davon abhielt, dichtete, war es zugleich, die ihn davon abhielt,
die literarische Verbeugung vor dem Augenblick die literarische Verbeugung vor dem Augenblick
zu machen, deren ihn Mißversteher anderer zu machen, deren ihn Mißversteher anderer
Kategorie für fähig hielten und die sie daher von Kategorie für fähig hielten und die sie daher von
ihm erwarteten. Die Wahrheit gegen sich, die ihm erwarteten. Die Wahrheit gegen sich, die
Treue die er sich hielt, verbot ihm, die Welt zu Treue die er sich hielt, verbot ihm, die Welt zu
verlassen, in der die ewigen Dinge geschehen, verlassen, in der die ewigen Dinge geschehen,
seine Welt, und dahin zu desertieren, wo die seine Welt, und dahin zu desertieren, wo die
zeitlichen Dinge geschehen, in die kleine Welt der zeitlichen Dinge geschehen, in die kleine Welt der
Augenblicklichen. Er durchschaute und er kämpfte. Augenblicklichen. Er durchschaute und er kämpfte.
Er durchschaute das Versteckte, so undurchsichtig Er durchschaute das Versteckte, so undurchsichtig
es sich verbarg, und er kämpste dafür, daß es es sich verbarg, und er kämpste dafür, daß es
offenkundig zutage trete. Lange, bevor die offenkundig zutage trete. Lange, bevor die
orte Psychoanalyse und Individualpsychologie orte Psychoanalyse und Individualpsychologie
Vissenschaftsbegriffe waren, hatte er sie, Hell¬ Vissenschaftsbegriffe waren, hatte er sie, Hell¬
seher der Seele, zur Dichtung gemacht. seher der Seele, zur Dichtung gemacht.
box 43/9 box 43/9
In dem motivischen Dreiklang dieser Dich¬ In dem motivischen Dreiklang dieser Dich¬
tung dominieren Drama und novellistische Epik, tung dominieren Drama und novellistische Epik,
und bliebe nichts aus seiner Schöpfermacht als und bliebe nichts aus seiner Schöpfermacht als
„Liebelei", ein dramatisches Volkslied unsäglich „Liebelei", ein dramatisches Volkslied unsäglich
weher Süße; „Der grüne Kakadu", ein einaktiger weher Süße; „Der grüne Kakadu", ein einaktiger
Epochenbau, in den der Blitz des Genies schlägt; Epochenbau, in den der Blitz des Genies schlägt;
„Professor Bernhardi“, der vorurteilslose Prozeß „Professor Bernhardi“, der vorurteilslose Prozeß
zugunsten der vorurteilslosen Humanität; blieben zugunsten der vorurteilslosen Humanität; blieben
nichts als die Wunder seiner Novellenzauberei: nichts als die Wunder seiner Novellenzauberei:
es wäre übergenug, um dem Dreiklang Ewig¬ es wäre übergenug, um dem Dreiklang Ewig¬
keitsmelodie zu geben. keitsmelodie zu geben.
War aber seine Dichtung ein harmonischer War aber seine Dichtung ein harmonischer
Dreiklang, so war Arthur Schnitzlers Dasein ein Dreiklang, so war Arthur Schnitzlers Dasein ein
Einklang. Einklang sublimer Uebereinstimmung. Einklang. Einklang sublimer Uebereinstimmung.
Nie und mit nichts hat er sich befleckt. Konzessio¬ Nie und mit nichts hat er sich befleckt. Konzessio¬
nen kannte er nicht, keine des Betriebs, keine des nen kannte er nicht, keine des Betriebs, keine des
Profits; er hat sich beiseite gehalten, ohne sich zu Profits; er hat sich beiseite gehalten, ohne sich zu
entziehen. Unantastbar ging er seinen einsamen entziehen. Unantastbar ging er seinen einsamen
Weg, dessen Schicksalhaftigkeit Richard Beer¬ Weg, dessen Schicksalhaftigkeit Richard Beer¬
Hofmann, sein Weggenosse, verständnisinniger Hofmann, sein Weggenosse, verständnisinniger
als sonst jemand es vermöchte, in diesem bisher als sonst jemand es vermöchte, in diesem bisher
unveröffentlichten, Schnitzler gewidmeten Ge¬ unveröffentlichten, Schnitzler gewidmeten Ge¬
dichte den Ausdruck fand: dichte den Ausdruck fand:
Alle Wege, die wir treten Alle Wege, die wir treten
Münden in die Einsamkeit Münden in die Einsamkeit
Nimmermüde Stunden jäten Nimmermüde Stunden jäten
Aus — was wuchs an Lust und Leid. Aus — was wuchs an Lust und Leid.
Alles Glück und alles Elend Alles Glück und alles Elend
Blaßt zu fernem Widerschein; Blaßt zu fernem Widerschein;
Was beseligend, was quälend, Was beseligend, was quälend,
Geht — läßt uns mit uns allein. Geht — läßt uns mit uns allein.
Schritt ich eben nicht im Reigen? Schritt ich eben nicht im Reigen?
Und was traf, das traf gemeinsam Und was traf, das traf gemeinsam
Bietet keine Hand sich? — Schweigen Bietet keine Hand sich? — Schweigen
Sieht mich an — der Weg wird einsam! Sieht mich an — der Weg wird einsam!
Ob ich stieg von Glückes=Thronen, Ob ich stieg von Glückes=Thronen,
Ob ich klomm aus Leidens=Gründen Ob ich klomm aus Leidens=Gründen
Dort, wohin ich geb, zu wohnen, Dort, wohin ich geb, zu wohnen,
Will sich keines zu mir finden. Will sich keines zu mir finden.
Ein Erkennen nur, mit klaren Ein Erkennen nur, mit klaren
Augen will mich hingeleiten: Augen will mich hingeleiten:
Daß auch vorher um mich waren — Daß auch vorher um mich waren —
Unerkannt — nur Einsamkeiten. Unerkannt — nur Einsamkeiten.
So einsam ging er durch die Zeit, distan¬ So einsam ging er durch die Zeit, distan¬
ziert von ihr, hingezogen zu ihr . .. durch Güte. ziert von ihr, hingezogen zu ihr . .. durch Güte.
Da ist das Wort gesprochen, das bei Arthur Da ist das Wort gesprochen, das bei Arthur
Schnitzlers Gedächtnis seine volle seltene Be¬ Schnitzlers Gedächtnis seine volle seltene Be¬
deutung gewinnt: Güte. In dem schönen Antlitz, deutung gewinnt: Güte. In dem schönen Antlitz,
dessen überbuschte Augen so dringend=klar zu dessen überbuschte Augen so dringend=klar zu
schauen wußten, so fragend: wie geht es dir? schauen wußten, so fragend: wie geht es dir?
Leidest du? stand sie, in dem Munde, der mit Leidest du? stand sie, in dem Munde, der mit
solcher unvergeßlich wohllautenden weichen solcher unvergeßlich wohllautenden weichen
Stimme sprach, so ärztlich beruhigend und mit Stimme sprach, so ärztlich beruhigend und mit
solchem Anteil, als spräche jedes Wort: Ich will solchem Anteil, als spräche jedes Wort: Ich will
dir helfen ... auch darin war die Güte un¬ dir helfen ... auch darin war die Güte un¬
überhörbar. Mit dieser klingenden Stimme ver¬ überhörbar. Mit dieser klingenden Stimme ver¬
kündete ein großer Dichter den Einklang seines kündete ein großer Dichter den Einklang seines
edlen Menschentums. edlen Menschentums.
Und ... seines tiefwurzelnden Oesterreicher¬ Und ... seines tiefwurzelnden Oesterreicher¬
tums. Hier redete und blickte einer, der Oesterreich tums. Hier redete und blickte einer, der Oesterreich
sah, wie keiner vor ihm. Deshalb ließ er in sah, wie keiner vor ihm. Deshalb ließ er in
seinem Werke Oesterreich sehen und sprechen wie seinem Werke Oesterreich sehen und sprechen wie
nach ihm keiner es vermögen wird. Alles Oester¬ nach ihm keiner es vermögen wird. Alles Oester¬
reichische war in dieser redenden Bildnerschaft reichische war in dieser redenden Bildnerschaft
das Oesterreich Mozarts und das Oesterreich das Oesterreich Mozarts und das Oesterreich
Grillparzers, die Größe der Anmut, der Zauber Grillparzers, die Größe der Anmut, der Zauber
der Pathoslosigkeit, die Glorie des Gefühls, die der Pathoslosigkeit, die Glorie des Gefühls, die
Inbrunst der Kritik. So waren auch die Schatten Inbrunst der Kritik. So waren auch die Schatten
des Bildes darin nicht schöngefärbt, nicht ge¬ des Bildes darin nicht schöngefärbt, nicht ge¬
hässig verfinstert. Ja! In seinem Werke hässig verfinstert. Ja! In seinem Werke
war Oesterreich! Das versunkene, das halb¬ war Oesterreich! Das versunkene, das halb¬
Meinhard und Bernauer Meinhard und Bernauer
wieder Berliner Theaterdirektoren. wieder Berliner Theaterdirektoren.
Berlin, im Oktober. Berlin, im Oktober.
Carl Meinhard und Rudolf Bernauer Carl Meinhard und Rudolf Bernauer
eröffneten wieder als selbständige Direktoren eröffneten wieder als selbständige Direktoren
ihr Theater in der Stresemannstraße. ihr Theater in der Stresemannstraße.
Durch den Auszug Barnowskys in das Deutsche Durch den Auszug Barnowskys in das Deutsche
Künstlertheater sind sie gezwungen, die beiden Künstlertheater sind sie gezwungen, die beiden
ihnen gehörenden Häuser, das Theater in der ihnen gehörenden Häuser, das Theater in der
Stresemannstraße und das Komödienhaus am Stresemannstraße und das Komödienhaus am
Schiffbauerdamm, künstlerisch selbst zu führen. Schiffbauerdamm, künstlerisch selbst zu führen.
Meinhard und Bernauer vertraten früher Meinhard und Bernauer vertraten früher
das gute, traditionelle Theater. Ob sie, vor das gute, traditionelle Theater. Ob sie, vor
langen Jahren, im Berliner Theater die Posse langen Jahren, im Berliner Theater die Posse
„Einer von unsere Leut" aufführten, ob sie in „Einer von unsere Leut" aufführten, ob sie in
der Stresemannstraße Wedekind und Strindberg der Stresemannstraße Wedekind und Strindberg
spielten: man wußte immer, woran man war. spielten: man wußte immer, woran man war.
Es wurde nichts vorgetäuscht, nichts kaschiert. Es wurde nichts vorgetäuscht, nichts kaschiert.
Gutes, solides Theater, das sogar bei der Gutes, solides Theater, das sogar bei der
„Kronbraut" und beim „Traumspiel" in diese „Kronbraut" und beim „Traumspiel" in diese
Bezirke durchstieß. Bezirke durchstieß.
Bewahrende, handwerkliche Begabungen Bewahrende, handwerkliche Begabungen
haben es in der Zeit der verändernden Krise haben es in der Zeit der verändernden Krise
doppelt schwer. Umstellen können sie sich nicht. doppelt schwer. Umstellen können sie sich nicht.
Was also sollen sie spielen? Wahrscheinlich die Was also sollen sie spielen? Wahrscheinlich die
Literatur, mit der sie hochgekommen sind. Wahr¬ Literatur, mit der sie hochgekommen sind. Wahr¬
scheinlich (für eine Generation, die diese Stücke scheinlich (für eine Generation, die diese Stücke
nicht mehr kennt) die Wedekind= und Strind¬ nicht mehr kennt) die Wedekind= und Strind¬
berg= und Hauptmann=Stücke, in schnell wech¬ berg= und Hauptmann=Stücke, in schnell wech¬
selndem Spielplan. Man kann überprüfen, was selndem Spielplan. Man kann überprüfen, was
noch wirkt. Meinhard und Bernauer spielen mit noch wirkt. Meinhard und Bernauer spielen mit
Recht zu außerordentlich billigen Preisen; sie Recht zu außerordentlich billigen Preisen; sie
haben sich mit Recht keiner Abonnementsorgani¬ haben sich mit Recht keiner Abonnementsorgani¬
sation angeschlossen. Sie sind selbständig, aus¬ sation angeschlossen. Sie sind selbständig, aus¬
gezeichnet. Aber ich glaube nicht, daß es richtig gezeichnet. Aber ich glaube nicht, daß es richtig
ist, billiges Theater mit Luxusstücken zu spielen, ist, billiges Theater mit Luxusstücken zu spielen,
billige Aufführungen zu machen mit mondänen billige Aufführungen zu machen mit mondänen
Gesellschaftskomödien. Alles gehört zusammen: Gesellschaftskomödien. Alles gehört zusammen:
versun versun
gebore gebore
Desha Desha
den no den no
liehen, liehen,
Wiene Wiene
oder oder
und ei und ei
schwun schwun
sterblie sterblie
Träi Träi
die Masken, dem bewegten Maskenzug! Erkennt die Masken, dem bewegten Maskenzug! Erkennt
ihr die Gesichter? Die armen tödlichen Gesichter ihr die Gesichter? Die armen tödlichen Gesichter
des Lebens? Erkennt ihr euch? Und nun wagt des Lebens? Erkennt ihr euch? Und nun wagt
noch zu sagen: eines Dichters Sendung könne noch zu sagen: eines Dichters Sendung könne
größer sein, als dies euch vor Augen zu führen: größer sein, als dies euch vor Augen zu führen:
Spiel, Liebe, Tod ... den Sinn des Daseins. Spiel, Liebe, Tod ... den Sinn des Daseins.
Er hat ihn ganz erkannt, Arthur Schnitzler, so Er hat ihn ganz erkannt, Arthur Schnitzler, so
mußte er ihn erkennen lassen. mußte er ihn erkennen lassen.
Denn seiner Dichtung entscheidender Sinn Denn seiner Dichtung entscheidender Sinn
war: Wahrheit. Die Phrase verabscheuend, ehrte war: Wahrheit. Die Phrase verabscheuend, ehrte
er das Wesen. Und so durchaus Arzt war er in er das Wesen. Und so durchaus Arzt war er in
seiner Dichtung, daß er nie und nirgends ver¬ seiner Dichtung, daß er nie und nirgends ver¬
allgemeinerte, niemals die Krankheit, sondern allgemeinerte, niemals die Krankheit, sondern
jedesmal den Kranken behandelte. Indi¬ jedesmal den Kranken behandelte. Indi¬
vidualfall war ihm der Mensch, jeder einzelne, vidualfall war ihm der Mensch, jeder einzelne,
und um diesen Individualfall wahr zu machen, und um diesen Individualfall wahr zu machen,
dichtete er. Darum fehlt das Rosenrote unter dichtete er. Darum fehlt das Rosenrote unter
seinen Farben, so schwelgerisch sie leuchten; seinen Farben, so schwelgerisch sie leuchten;
darum jagt seinem Frühling der Herbst auf stür¬ darum jagt seinem Frühling der Herbst auf stür¬
mischen Straßen nach; darum dämpfen Ironie mischen Straßen nach; darum dämpfen Ironie
und Skepsis das Unbedingte mit der Sordine und Skepsis das Unbedingte mit der Sordine
des: Vielleicht. Der wahrsten einer ist er gewesen des: Vielleicht. Der wahrsten einer ist er gewesen
der Gestalten schuf, um ihnen Sinn zu geben, der der Gestalten schuf, um ihnen Sinn zu geben, der
Sinnbilder schuf um zu enthüllen. Die ihn mi߬ Sinnbilder schuf um zu enthüllen. Die ihn mi߬
verstanden und mißverstehen wollten, legten ihm verstanden und mißverstehen wollten, legten ihm
dies als Zynismus aus. Aber wie weit vom dies als Zynismus aus. Aber wie weit vom
Zynischen ist dieser wahrhafte Dichter entfernt Zynischen ist dieser wahrhafte Dichter entfernt
gewesen, der so viel Ehrfurcht und Demut vor gewesen, der so viel Ehrfurcht und Demut vor
der Wahrheit hatte, dessen sprachliche Herkunft der Wahrheit hatte, dessen sprachliche Herkunft
die lautere Lyrik Eichendorffs, dessen epische die lautere Lyrik Eichendorffs, dessen epische
Musik der Geigenstrich von Grillparzers „Armen Musik der Geigenstrich von Grillparzers „Armen
Spielmann" ist. Unbedingte Wahrheit. Sie ist Spielmann" ist. Unbedingte Wahrheit. Sie ist
vom Zynismus so weit wie von Heuchelei ent¬ vom Zynismus so weit wie von Heuchelei ent¬
fernt und ganz nahe jener Vorkämpferschaft im fernt und ganz nahe jener Vorkämpferschaft im
Geiste, die leise geleistet wurde und vernehmliche¬ Geiste, die leise geleistet wurde und vernehmliche¬
ren Kämpfern den Weg bereitet hat: Wedekind ren Kämpfern den Weg bereitet hat: Wedekind
vor allem, dessen Werk ohne Schnitzler undenkbar vor allem, dessen Werk ohne Schnitzler undenkbar
wäre. Und wie vielen anderen, die sich neuzeit¬ wäre. Und wie vielen anderen, die sich neuzeit¬
lich gebärden und zeitlebens seine Schüler ge¬ lich gebärden und zeitlebens seine Schüler ge¬
blieben sind. Unendlich viel verdanken sie ihm, blieben sind. Unendlich viel verdanken sie ihm,
mehr, als sie wissen oder zugeben wollen. Aber mehr, als sie wissen oder zugeben wollen. Aber
jene unbedingte Wahrheit für die er lebte und jene unbedingte Wahrheit für die er lebte und
dichtete, war es zugleich, die ihn davon abhielt, dichtete, war es zugleich, die ihn davon abhielt,
die literarische Verbeugung vor dem Augenblick die literarische Verbeugung vor dem Augenblick
zu machen, deren ihn Mißversteher anderer zu machen, deren ihn Mißversteher anderer
Kategorie für fähig hielten und die sie daher von Kategorie für fähig hielten und die sie daher von
ihm erwarteten. Die Wahrheit gegen sich, die ihm erwarteten. Die Wahrheit gegen sich, die
Treue die er sich hielt, verbot ihm, die Welt zu Treue die er sich hielt, verbot ihm, die Welt zu
verlassen, in der die ewigen Dinge geschehen, verlassen, in der die ewigen Dinge geschehen,
seine Welt, und dahin zu desertieren, wo die seine Welt, und dahin zu desertieren, wo die
zeitlichen Dinge geschehen, in die kleine Welt der zeitlichen Dinge geschehen, in die kleine Welt der
Augenblicklichen. Er durchschaute und er kämpfte. Augenblicklichen. Er durchschaute und er kämpfte.
Er durchschaute das Versteckte, so undurchsichtig Er durchschaute das Versteckte, so undurchsichtig
es sich verbarg, und er kämpste dafür, daß es es sich verbarg, und er kämpste dafür, daß es
offenkundig zutage trete. Lange, bevor die offenkundig zutage trete. Lange, bevor die
orte Psychoanalyse und Individualpsychologie orte Psychoanalyse und Individualpsychologie
Vissenschaftsbegriffe waren, hatte er sie, Hell¬ Vissenschaftsbegriffe waren, hatte er sie, Hell¬
seher der Seele, zur Dichtung gemacht. seher der Seele, zur Dichtung gemacht.
box 43/9 box 43/9
In dem motivischen Dreiklang dieser Dich¬ In dem motivischen Dreiklang dieser Dich¬
tung dominieren Drama und novellistische Epik, tung dominieren Drama und novellistische Epik,
und bliebe nichts aus seiner Schöpfermacht als und bliebe nichts aus seiner Schöpfermacht als
„Liebelei", ein dramatisches Volkslied unsäglich „Liebelei", ein dramatisches Volkslied unsäglich
weher Süße; „Der grüne Kakadu", ein einaktiger weher Süße; „Der grüne Kakadu", ein einaktiger
Epochenbau, in den der Blitz des Genies schlägt; Epochenbau, in den der Blitz des Genies schlägt;
„Professor Bernhardi“, der vorurteilslose Prozeß „Professor Bernhardi“, der vorurteilslose Prozeß
zugunsten der vorurteilslosen Humanität; blieben zugunsten der vorurteilslosen Humanität; blieben
nichts als die Wunder seiner Novellenzauberei: nichts als die Wunder seiner Novellenzauberei:
es wäre übergenug, um dem Dreiklang Ewig¬ es wäre übergenug, um dem Dreiklang Ewig¬
keitsmelodie zu geben. keitsmelodie zu geben.
War aber seine Dichtung ein harmonischer War aber seine Dichtung ein harmonischer
Dreiklang, so war Arthur Schnitzlers Dasein ein Dreiklang, so war Arthur Schnitzlers Dasein ein
Einklang. Einklang sublimer Uebereinstimmung. Einklang. Einklang sublimer Uebereinstimmung.
Nie und mit nichts hat er sich befleckt. Konzessio¬ Nie und mit nichts hat er sich befleckt. Konzessio¬
nen kannte er nicht, keine des Betriebs, keine des nen kannte er nicht, keine des Betriebs, keine des
Profits; er hat sich beiseite gehalten, ohne sich zu Profits; er hat sich beiseite gehalten, ohne sich zu
entziehen. Unantastbar ging er seinen einsamen entziehen. Unantastbar ging er seinen einsamen
Weg, dessen Schicksalhaftigkeit Richard Beer¬ Weg, dessen Schicksalhaftigkeit Richard Beer¬
Hofmann, sein Weggenosse, verständnisinniger Hofmann, sein Weggenosse, verständnisinniger
als sonst jemand es vermöchte, in diesem bisher als sonst jemand es vermöchte, in diesem bisher
unveröffentlichten, Schnitzler gewidmeten Ge¬ unveröffentlichten, Schnitzler gewidmeten Ge¬
dichte den Ausdruck fand: dichte den Ausdruck fand:
Alle Wege, die wir treten Alle Wege, die wir treten
Münden in die Einsamkeit Münden in die Einsamkeit
Nimmermüde Stunden jäten Nimmermüde Stunden jäten
Aus — was wuchs an Lust und Leid. Aus — was wuchs an Lust und Leid.
Alles Glück und alles Elend Alles Glück und alles Elend
Blaßt zu fernem Widerschein; Blaßt zu fernem Widerschein;
Was beseligend, was quälend, Was beseligend, was quälend,
Geht — läßt uns mit uns allein. Geht — läßt uns mit uns allein.
Schritt ich eben nicht im Reigen? Schritt ich eben nicht im Reigen?
Und was traf, das traf gemeinsam Und was traf, das traf gemeinsam
Bietet keine Hand sich? — Schweigen Bietet keine Hand sich? — Schweigen
Sieht mich an — der Weg wird einsam! Sieht mich an — der Weg wird einsam!
Ob ich stieg von Glückes=Thronen, Ob ich stieg von Glückes=Thronen,
Ob ich klomm aus Leidens=Gründen Ob ich klomm aus Leidens=Gründen
Dort, wohin ich geb, zu wohnen, Dort, wohin ich geb, zu wohnen,
Will sich keines zu mir finden. Will sich keines zu mir finden.
Ein Erkennen nur, mit klaren Ein Erkennen nur, mit klaren
Augen will mich hingeleiten: Augen will mich hingeleiten:
Daß auch vorher um mich waren — Daß auch vorher um mich waren —
Unerkannt — nur Einsamkeiten. Unerkannt — nur Einsamkeiten.
So einsam ging er durch die Zeit, distan¬ So einsam ging er durch die Zeit, distan¬
ziert von ihr, hingezogen zu ihr . .. durch Güte. ziert von ihr, hingezogen zu ihr . .. durch Güte.
Da ist das Wort gesprochen, das bei Arthur Da ist das Wort gesprochen, das bei Arthur
Schnitzlers Gedächtnis seine volle seltene Be¬ Schnitzlers Gedächtnis seine volle seltene Be¬
deutung gewinnt: Güte. In dem schönen Antlitz, deutung gewinnt: Güte. In dem schönen Antlitz,
dessen überbuschte Augen so dringend=klar zu dessen überbuschte Augen so dringend=klar zu
schauen wußten, so fragend: wie geht es dir? schauen wußten, so fragend: wie geht es dir?
Leidest du? stand sie, in dem Munde, der mit Leidest du? stand sie, in dem Munde, der mit
solcher unvergeßlich wohllautenden weichen solcher unvergeßlich wohllautenden weichen
Stimme sprach, so ärztlich beruhigend und mit Stimme sprach, so ärztlich beruhigend und mit
solchem Anteil, als spräche jedes Wort: Ich will solchem Anteil, als spräche jedes Wort: Ich will
dir helfen ... auch darin war die Güte un¬ dir helfen ... auch darin war die Güte un¬
überhörbar. Mit dieser klingenden Stimme ver¬ überhörbar. Mit dieser klingenden Stimme ver¬
kündete ein großer Dichter den Einklang seines kündete ein großer Dichter den Einklang seines
edlen Menschentums. edlen Menschentums.
Und ... seines tiefwurzelnden Oesterreicher¬ Und ... seines tiefwurzelnden Oesterreicher¬
tums. Hier redete und blickte einer, der Oesterreich tums. Hier redete und blickte einer, der Oesterreich
sah, wie keiner vor ihm. Deshalb ließ er in sah, wie keiner vor ihm. Deshalb ließ er in
seinem Werke Oesterreich sehen und sprechen wie seinem Werke Oesterreich sehen und sprechen wie
nach ihm keiner es vermögen wird. Alles Oester¬ nach ihm keiner es vermögen wird. Alles Oester¬
reichische war in dieser redenden Bildnerschaft reichische war in dieser redenden Bildnerschaft
das Oesterreich Mozarts und das Oesterreich das Oesterreich Mozarts und das Oesterreich
Grillparzers, die Größe der Anmut, der Zauber Grillparzers, die Größe der Anmut, der Zauber
der Pathoslosigkeit, die Glorie des Gefühls, die der Pathoslosigkeit, die Glorie des Gefühls, die
Inbrunst der Kritik. So waren auch die Schatten Inbrunst der Kritik. So waren auch die Schatten
des Bildes darin nicht schöngefärbt, nicht ge¬ des Bildes darin nicht schöngefärbt, nicht ge¬
hässig verfinstert. Ja! In seinem Werke hässig verfinstert. Ja! In seinem Werke
war Oesterreich! Das versunkene, das halb¬ war Oesterreich! Das versunkene, das halb¬
Meinhard und Bernauer Meinhard und Bernauer
wieder Berliner Theaterdirektoren. wieder Berliner Theaterdirektoren.
Berlin, im Oktober. Berlin, im Oktober.
Carl Meinhard und Rudolf Bernauer Carl Meinhard und Rudolf Bernauer
eröffneten wieder als selbständige Direktoren eröffneten wieder als selbständige Direktoren
ihr Theater in der Stresemannstraße. ihr Theater in der Stresemannstraße.
Durch den Auszug Barnowskys in das Deutsche Durch den Auszug Barnowskys in das Deutsche
Künstlertheater sind sie gezwungen, die beiden Künstlertheater sind sie gezwungen, die beiden
ihnen gehörenden Häuser, das Theater in der ihnen gehörenden Häuser, das Theater in der
Stresemannstraße und das Komödienhaus am Stresemannstraße und das Komödienhaus am
Schiffbauerdamm, künstlerisch selbst zu führen. Schiffbauerdamm, künstlerisch selbst zu führen.
Meinhard und Bernauer vertraten früher Meinhard und Bernauer vertraten früher
das gute, traditionelle Theater. Ob sie, vor das gute, traditionelle Theater. Ob sie, vor
langen Jahren, im Berliner Theater die Posse langen Jahren, im Berliner Theater die Posse
„Einer von unsere Leut" aufführten, ob sie in „Einer von unsere Leut" aufführten, ob sie in
der Stresemannstraße Wedekind und Strindberg der Stresemannstraße Wedekind und Strindberg
spielten: man wußte immer, woran man war. spielten: man wußte immer, woran man war.
Es wurde nichts vorgetäuscht, nichts kaschiert. Es wurde nichts vorgetäuscht, nichts kaschiert.
Gutes, solides Theater, das sogar bei der Gutes, solides Theater, das sogar bei der
„Kronbraut" und beim „Traumspiel" in diese „Kronbraut" und beim „Traumspiel" in diese
Bezirke durchstieß. Bezirke durchstieß.
Bewahrende, handwerkliche Begabungen Bewahrende, handwerkliche Begabungen
haben es in der Zeit der verändernden Krise haben es in der Zeit der verändernden Krise
doppelt schwer. Umstellen können sie sich nicht. doppelt schwer. Umstellen können sie sich nicht.
Was also sollen sie spielen? Wahrscheinlich die Was also sollen sie spielen? Wahrscheinlich die
Literatur, mit der sie hochgekommen sind. Wahr¬ Literatur, mit der sie hochgekommen sind. Wahr¬
scheinlich (für eine Generation, die diese Stücke scheinlich (für eine Generation, die diese Stücke
nicht mehr kennt) die Wedekind= und Strind¬ nicht mehr kennt) die Wedekind= und Strind¬
berg= und Hauptmann=Stücke, in schnell wech¬ berg= und Hauptmann=Stücke, in schnell wech¬
selndem Spielplan. Man kann überprüfen, was selndem Spielplan. Man kann überprüfen, was
noch wirkt. Meinhard und Bernauer spielen mit noch wirkt. Meinhard und Bernauer spielen mit
Recht zu außerordentlich billigen Preisen; sie Recht zu außerordentlich billigen Preisen; sie
haben sich mit Recht keiner Abonnementsorgani¬ haben sich mit Recht keiner Abonnementsorgani¬
sation angeschlossen. Sie sind selbständig, aus¬ sation angeschlossen. Sie sind selbständig, aus¬
gezeichnet. Aber ich glaube nicht, daß es richtig gezeichnet. Aber ich glaube nicht, daß es richtig
ist, billiges Theater mit Luxusstücken zu spielen, ist, billiges Theater mit Luxusstücken zu spielen,
billige Aufführungen zu machen mit mondänen billige Aufführungen zu machen mit mondänen
Gesellschaftskomödien. Alles gehört zusammen: Gesellschaftskomödien. Alles gehört zusammen:
versun versun
gebore gebore
Desha Desha
den no den no
liehen, liehen,
Wiene Wiene
oder oder
und ei und ei
schwun schwun
sterblie sterblie
Träi Träi