VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 322

Schnitzler s Deatl Schnitzler s Deatl
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WIEN. WIEN.

TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
AXVKE FIENEE JOUNEA AXVKE FIENEE JOUNEA
2° OKT 13 2° OKT 13
Die dihe. Menee Schmihlets. Die dihe. Menee Schmihlets.

Georges Duhamel. Georges Duhamel.
Aus einem Gespräch. Aus einem Gespräch.
Der bekannte französische Dichter Georges Der bekannte französische Dichter Georges
Duhamel traf gestern in Wien ein und hält heute Duhamel traf gestern in Wien ein und hält heute
abend im Rahmen der Gesellschaft der Freunde abend im Rahmen der Gesellschaft der Freunde
französischer Studien, deren Ehrenpräsidenten der Rektor französischer Studien, deren Ehrenpräsidenten der Rektor
der Universität Professor Rudolf Maresch und der der Universität Professor Rudolf Maresch und der
französische Gesandte Graf Clauzel sind, im Pathologisch¬ französische Gesandte Graf Clauzel sind, im Pathologisch¬
anatomischen Institut einen Vortrag über kleine Ge¬ anatomischen Institut einen Vortrag über kleine Ge¬
heimnisse der französischen Sprache. heimnisse der französischen Sprache.
In die Freude, wieder in Wien einen Vortrag halten zu In die Freude, wieder in Wien einen Vortrag halten zu
können, mischt sich diesmal tiefer Schmerz: Unter meinen können, mischt sich diesmal tiefer Schmerz: Unter meinen
Wiener Freunden muß ich leider einen der hervorragendsten Wiener Freunden muß ich leider einen der hervorragendsten
vermissen, Artur Schnitzler, der mir deshalb besonders nahe stand, vermissen, Artur Schnitzler, der mir deshalb besonders nahe stand,
weil er ebenso wie ich den ärztlichen Beruf ausgeübt hat. Nie werde weil er ebenso wie ich den ärztlichen Beruf ausgeübt hat. Nie werde
ich seine Worte vergessen, die er an mich anläßlich eines ich seine Worte vergessen, die er an mich anläßlich eines
Empfangs im Wiener Penklub im Jahre 1923 richtete: Empfangs im Wiener Penklub im Jahre 1923 richtete:
„Nur wenn man als Mensch human empfindet, kann man als „Nur wenn man als Mensch human empfindet, kann man als
Dichter Mithelfer am großen Versöhnungsgedanken der Dichter Mithelfer am großen Versöhnungsgedanken der
Welt sein. Welt sein.
Das Prinzip der Humanität hatte ich ganz besonders Das Prinzip der Humanität hatte ich ganz besonders
während der Kriegsjahre hochzuhalten. Ich stand im Zentrum während der Kriegsjahre hochzuhalten. Ich stand im Zentrum
der französischen Front, vor Verdun. Hunderte deutsche Soldaten der französischen Front, vor Verdun. Hunderte deutsche Soldaten
wurden in mein chirurgisches Spital eingeliefert und selbst¬ wurden in mein chirurgisches Spital eingeliefert und selbst¬
verständlich mit der gleichen Aufopferung wie unsere Ver¬ verständlich mit der gleichen Aufopferung wie unsere Ver¬
wundeten gepflegt. Es wurden mir auch zahlreiche deutsche wundeten gepflegt. Es wurden mir auch zahlreiche deutsche
Kriegsgefangene als Krankenwärter zugeteilt, mit denen ich die Kriegsgefangene als Krankenwärter zugeteilt, mit denen ich die
besten Erfahrungen machte. Inmitten der Kriegsgreuel gab es besten Erfahrungen machte. Inmitten der Kriegsgreuel gab es
einen Platz, den wir Franzosen als „évangélique" bezeichneten, einen Platz, den wir Franzosen als „évangélique" bezeichneten,
den Hilfsplatz für die Blessierten. Hier fragte man nicht, welcher den Hilfsplatz für die Blessierten. Hier fragte man nicht, welcher
Nationalität der Körper angehörte, der auf dem Operationstisch Nationalität der Körper angehörte, der auf dem Operationstisch
lag. Vielleicht ist gerade über dieses Ehrenblatt der Menschheit lag. Vielleicht ist gerade über dieses Ehrenblatt der Menschheit
noch nicht genügend geschrieben worden, denn an diesen Stätten noch nicht genügend geschrieben worden, denn an diesen Stätten
größter Qual siegte die Humanität aller Kriegführenden über größter Qual siegte die Humanität aller Kriegführenden über
den Haß. In meinen Kriegsbüchern „Vie des Martyrs", und den Haß. In meinen Kriegsbüchern „Vie des Martyrs", und
„Civilisation" habe ich meine Fronterlebnisse ganz realistisch, „Civilisation" habe ich meine Fronterlebnisse ganz realistisch,
mit voller Namensnennung der Kranken erzählt und noch heute mit voller Namensnennung der Kranken erzählt und noch heute
besuchen mich oft solche Kriegspatienten aus allen möglichen besuchen mich oft solche Kriegspatienten aus allen möglichen
Staaten. Für den moralischen Wert dieser Bücher spricht die Staaten. Für den moralischen Wert dieser Bücher spricht die
Tatsache, daß sie in etwa zwanzig Kultursprachen übersegt Tatsache, daß sie in etwa zwanzig Kultursprachen übersegt
wurden. wurden.
Gegenwärtig bin ich mit der Abfasung eines Kinder¬ Gegenwärtig bin ich mit der Abfasung eines Kinder¬
romans beschäftigt, der gleichsam der Jugend den Spiegel der romans beschäftigt, der gleichsam der Jugend den Spiegel der
Zukunft vor Augen führen soll. Außerdem schreibe ich ein Buch, Zukunft vor Augen führen soll. Außerdem schreibe ich ein Buch,
das den Titel „Querelles de famille" („Familienstreitigkeiten") das den Titel „Querelles de famille" („Familienstreitigkeiten")
haben und sich mit kulturellen Zeitfragen auseinandersetzen wird. haben und sich mit kulturellen Zeitfragen auseinandersetzen wird.
Mein Hauptinteresse konzentriet sich jedoch auf die Vollendung Mein Hauptinteresse konzentriet sich jedoch auf die Vollendung
einer großen Zeitgeschichte, „L'Histoire de Salavin", von der einer großen Zeitgeschichte, „L'Histoire de Salavin", von der
bereits vier Bände fertiggestellt sind. An die Abfassung des bereits vier Bände fertiggestellt sind. An die Abfassung des
fünften und letzten Teiles will ich mich nach meiner Rückkehr fünften und letzten Teiles will ich mich nach meiner Rückkehr
nach Paris machen. Gegenwärtig befinde ich mich auf einer nach Paris machen. Gegenwärtig befinde ich mich auf einer
Vortragsreise, die mich in den Orient bis nach Stambul führt. Vortragsreise, die mich in den Orient bis nach Stambul führt.
Reisen und Musik gehören zu meinen liebsten Zerstreuungen. Reisen und Musik gehören zu meinen liebsten Zerstreuungen.
Ich will selbstverständlich die Wiener Oper besuchen, an die ich Ich will selbstverständlich die Wiener Oper besuchen, an die ich
mich noch seit meinem letzten Wiener Aufenthalt voll Be¬ mich noch seit meinem letzten Wiener Aufenthalt voll Be¬
geisterung erinnere. geisterung erinnere.
Das Podium, von dem ich heute abend zu den Wienern Das Podium, von dem ich heute abend zu den Wienern
sprechen werde, ist mir eine vertraute Stätte. Ein medizinischer sprechen werde, ist mir eine vertraute Stätte. Ein medizinischer
Hörsaal mahnt mich an meine Doppelstellung als Arzt und Hörsaal mahnt mich an meine Doppelstellung als Arzt und
Literat. In meiner Rede werde ich unter anderem ausführen, Literat. In meiner Rede werde ich unter anderem ausführen,
daß Sprachkrankheiten mit Geistesstörungen zusammenhängen. daß Sprachkrankheiten mit Geistesstörungen zusammenhängen.
Dies ist nicht bloß bildlich, sondern wirklich zu verstehen. Der Dies ist nicht bloß bildlich, sondern wirklich zu verstehen. Der
ärztliche Beruf war ja mit bestimmend für meine Schriftsteller¬ ärztliche Beruf war ja mit bestimmend für meine Schriftsteller¬
karriere. Die Ethik der Medizin hat mich gelehrt, auch literarisch karriere. Die Ethik der Medizin hat mich gelehrt, auch literarisch
meine Feder in den Dienst der Güte zu stellen. Und vielleicht ist meine Feder in den Dienst der Güte zu stellen. Und vielleicht ist
es kein Zufall, daß ich gerade jetzt in Wien Gedanken zum Aus¬ es kein Zufall, daß ich gerade jetzt in Wien Gedanken zum Aus¬
druck bringen will, die ein Wiener Arzt und Dichter, Artur druck bringen will, die ein Wiener Arzt und Dichter, Artur
Schnitzler, oft verkündete. Schnitzler, oft verkündete.
Dr. R. W. Dr. R. W.