VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 333

2. Schnitzlers Deatl 2. Schnitzlers Deatl
OBSERVER OBSERVER
l. österr. behördl. konzessioniertes l. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
UDEMAOC UDEMAOC
80 10 1821 80 10 1821
Arthur Schnitzler. Arthur Schnitzler.
Arthur Schnitzler, der feinsinnige Dichter und Arthur Schnitzler, der feinsinnige Dichter und
charakteristischste Vertreter österreichischen Schrift¬ charakteristischste Vertreter österreichischen Schrift¬
tums, lebt nicht mehr. Dor nicht allzulanger Zeit tums, lebt nicht mehr. Dor nicht allzulanger Zeit
wurde anläßlich seines Geburtstages viel über ihn wurde anläßlich seines Geburtstages viel über ihn
in allen deutschen Zeitungen geschrieben — trauri¬ in allen deutschen Zeitungen geschrieben — trauri¬
ge Pflicht ist es heute, dem Andenken des Ver¬ ge Pflicht ist es heute, dem Andenken des Ver¬
storbenen einige Zellen zu widmen. storbenen einige Zellen zu widmen.
Schnitzler war ein Dichter, dem jedes Pathos Schnitzler war ein Dichter, dem jedes Pathos
fremd war, der keine Sache zu gering erachtete, um fremd war, der keine Sache zu gering erachtete, um
nicht in seinen Werken dafür Partei zu ergreifen. nicht in seinen Werken dafür Partei zu ergreifen.
Es spielen wol! viele seiner Dramen, Romane und Es spielen wol! viele seiner Dramen, Romane und
Novellen in aristokratischen Kreisen, aber diesen Novellen in aristokratischen Kreisen, aber diesen
überkultivierten, leicht degenerierten Menschen überkultivierten, leicht degenerierten Menschen
stellt er gerne Gestalten aus dem Volke in ihrer stellt er gerne Gestalten aus dem Volke in ihrer
gänzlich unverbrauchten, ursprünglichen Empfin¬ gänzlich unverbrauchten, ursprünglichen Empfin¬
dungskraft gegenüber. Schnitzler galt als „frei", dungskraft gegenüber. Schnitzler galt als „frei",
wurde als Lektüre für junge Mädchen als unge¬ wurde als Lektüre für junge Mädchen als unge¬
eignet erachtet, weil er es wagte, über Dinge der eignet erachtet, weil er es wagte, über Dinge der
Liebe zu sprechen, wie es andre Schriftsteller bisher Liebe zu sprechen, wie es andre Schriftsteller bisher
nicht gewagt hatten — offen und ehrlich, ohne jede nicht gewagt hatten — offen und ehrlich, ohne jede
Beschönigung. Die Seele ist für ihn ein weites Land Beschönigung. Die Seele ist für ihn ein weites Land
und er ist ein genauer Kenner dieses Landes. Er und er ist ein genauer Kenner dieses Landes. Er
kennt Seele und Gedanken der großen Dame von kennt Seele und Gedanken der großen Dame von
Welt und des kleinen Ladenmädchens; er kennt die Welt und des kleinen Ladenmädchens; er kennt die
Wünsche und Pläne des allmächtigen Staatsmannes Wünsche und Pläne des allmächtigen Staatsmannes
und des gedrückten Kleinbürgers. Die meistenz und des gedrückten Kleinbürgers. Die meistenz
seiner Helden aber sind Menschen, die eigentlich seiner Helden aber sind Menschen, die eigentlich
neben ihrem wahren Leben stehen, die an ihrem neben ihrem wahren Leben stehen, die an ihrem
Glück vorbeigehen oder an denen das Glück vor¬ Glück vorbeigehen oder an denen das Glück vor¬
übergeht, vom Leben Enttäuschte, stille Ironiker, übergeht, vom Leben Enttäuschte, stille Ironiker,
Nr. 904 Nr. 904
box 43/11 box 43/11
schönheitsberauschte Egoisten, „leichtsinnige Me¬ schönheitsberauschte Egoisten, „leichtsinnige Me¬
lancholiker", wie z. B. sein Anatol, daneben wieder lancholiker", wie z. B. sein Anatol, daneben wieder
einfache, junge Menschen, die ganz ihrem Gefühl einfache, junge Menschen, die ganz ihrem Gefühl
Arthur Schnitzler f. Arthur Schnitzler f.
hingegeben leben — Mizzi Schlager aus „Liebelei", hingegeben leben — Mizzi Schlager aus „Liebelei",
die daran zu Grunde geht, weil ihre große, völlig die daran zu Grunde geht, weil ihre große, völlig
sich hingebende Liebe für den Mann der „großen sich hingebende Liebe für den Mann der „großen
Welt" nur — eine Liebelei war. Ein anderer Welt" nur — eine Liebelei war. Ein anderer
Typus: das überzarte, junge Mädchen, der un¬ Typus: das überzarte, junge Mädchen, der un¬
ruhig bewegte Geist in allzu zartem Körper, früh¬ ruhig bewegte Geist in allzu zartem Körper, früh¬
reif, fast an der Grenze der Kindheit noch zu viel reif, fast an der Grenze der Kindheit noch zu viel
von den Geheimnissen des Lebens ahnend und auf von den Geheimnissen des Lebens ahnend und auf
ein Leben, das viel grausamer ist, als die Träume ein Leben, das viel grausamer ist, als die Träume
der Kindheit es ersehnten, verzichtend, eine der der Kindheit es ersehnten, verzichtend, eine der
rührendsten Gestalten: Fräulein Else, die von rührendsten Gestalten: Fräulein Else, die von
Elisabeth Bergner so überaus bis ins Innerste er¬ Elisabeth Bergner so überaus bis ins Innerste er¬
faßt, dargestellt wurde. Für sein Werk ist Wien der faßt, dargestellt wurde. Für sein Werk ist Wien der
richtige Hintergrund, das Wien der Vorkriegszeit, richtige Hintergrund, das Wien der Vorkriegszeit,
diese heitere, leichtsinnige, musikalische Stadt, aber diese heitere, leichtsinnige, musikalische Stadt, aber
nicht das steinerne Wien mit seinen Bankpalästen nicht das steinerne Wien mit seinen Bankpalästen
und Geschäftshäusern, sondern die grünen hänge und Geschäftshäusern, sondern die grünen hänge
des Kahlenbergs, die Taxusbecken im Schönbrunner des Kahlenbergs, die Taxusbecken im Schönbrunner
Schloßpark, die stillen Straßen mit alten häusern Schloßpark, die stillen Straßen mit alten häusern
und Patrizierwohnungen, aus deren Fenstern und Patrizierwohnungen, aus deren Fenstern
junge Mädchen schauen — das „süße Mädl", ein junge Mädchen schauen — das „süße Mädl", ein
Typus, der in Schnitzler seinen Dichter fand. Das Typus, der in Schnitzler seinen Dichter fand. Das
Wien der Vorkriegszeit, die ganze Welt der Vor¬ Wien der Vorkriegszeit, die ganze Welt der Vor¬
kriegszeit, besteht nicht mehr und kann nie wieder¬ kriegszeit, besteht nicht mehr und kann nie wieder¬
kehren. Das Werk Schnitzlers jedoch, das mit dieser kehren. Das Werk Schnitzlers jedoch, das mit dieser
Epoche so innig verbunden war, ist mehr als bloße Epoche so innig verbunden war, ist mehr als bloße
Schilderung eines Milieus und der dazu gehörigen Schilderung eines Milieus und der dazu gehörigen
Gestalten: in seinem Werk lebt und atmet alles, Gestalten: in seinem Werk lebt und atmet alles,
was Menschenherz bewegt und erregt, ohne große was Menschenherz bewegt und erregt, ohne große
Worte, anspruchslos, aber nachempfunden mit Worte, anspruchslos, aber nachempfunden mit
dem warmen Erfassen menschlichen Schicksals durch dem warmen Erfassen menschlichen Schicksals durch
einen großen Geist. einen großen Geist.
U. X. U. X.