Kunst wegzudisputieren, da tut es not, sich Kunst wegzudisputieren, da tut es not, sich
schirmend vor das Grab des großen Dichtere schirmend vor das Grab des großen Dichtere
unserer jüdischen Tage zu stellen, ihn zu unserer jüdischen Tage zu stellen, ihn zu
schützen gegen Feind und Freund. schützen gegen Feind und Freund.
Auch gegen Freund! — Tles ist be¬ Auch gegen Freund! — Tles ist be¬
hutsam zu schreiben und behutsam zu lesen. hutsam zu schreiben und behutsam zu lesen.
Man soll uns nicht einreihen in den Fackelzug Man soll uns nicht einreihen in den Fackelzug
zionistischer und fortschrittlicher Studenten, zionistischer und fortschrittlicher Studenten,
die dem aus der Haft befreiten Professor einen die dem aus der Haft befreiten Professor einen
Fackelzug bringen wollen. — Man soll, wenn Fackelzug bringen wollen. — Man soll, wenn
man Arthur Schnitzler, den Iuden, be man Arthur Schnitzler, den Iuden, be
trachtet, ihn nicht für eine Partet reklamieren, trachtet, ihn nicht für eine Partet reklamieren,
nicht als Zionisten oder Nationalisten ab¬ nicht als Zionisten oder Nationalisten ab¬
stempeln. stempeln.
Er war kein Parteimann, kein Er war kein Parteimann, kein
Mann der Tendenz, außer in einem. Mann der Tendenz, außer in einem.
„Wie töricht, welch Mißverständnis!“ sagte „Wie töricht, welch Mißverständnis!“ sagte
er achselzuckend. „Meinen Professor Bern¬ er achselzuckend. „Meinen Professor Bern¬
hardi zu einem Tendenzstück zu machen. Es hardi zu einem Tendenzstück zu machen. Es
ist alles eher als tendenziös." — „Und doch, ist alles eher als tendenziös." — „Und doch,
wagte der Besucher ehrfurchtsvoll einzuwen¬ wagte der Besucher ehrfurchtsvoll einzuwen¬
den „scheint es mir ein Tendenzstück, das Ten¬ den „scheint es mir ein Tendenzstück, das Ten¬
denzstück gegen die Tendenz!“ denzstück gegen die Tendenz!“
„Das ist „Das ist
richtig! In dem Sinne ist es denn doch ein richtig! In dem Sinne ist es denn doch ein
Tendenzstück!“ sagte der Dichter überrascht Tendenzstück!“ sagte der Dichter überrascht
nach kurzem Besinnen. nach kurzem Besinnen.
Und er erzählte, wie dieses Stück entstan¬ Und er erzählte, wie dieses Stück entstan¬
den war aus einem Gespräch, das er mit den war aus einem Gespräch, das er mit
einem Prälaten geführt hatte, das war die einem Prälaten geführt hatte, das war die
Keimzelle jenes wundervollen Gespräches Keimzelle jenes wundervollen Gespräches
zwischen dem Professor und dem Pfarrer im zwischen dem Professor und dem Pfarrer im
vierten Akt. Und er erzählte weiter, wie am vierten Akt. Und er erzählte weiter, wie am
Abend der Berliner Uraufführung — damals Abend der Berliner Uraufführung — damals
hatte Barnowsky etwas Großes ge¬ hatte Barnowsky etwas Großes ge¬
schaffen —, wie da während des dritten Aktes schaffen —, wie da während des dritten Aktes
die Nachricht vom Tode Otto Brahms die Nachricht vom Tode Otto Brahms
gekommen sei und alle Freunde nieder¬ gekommen sei und alle Freunde nieder¬
geschlagen habe. geschlagen habe.
Otto Brahm starb an jenem Tage. Der Otto Brahm starb an jenem Tage. Der
Mann, der mit seinen Freunden der Mann, der mit seinen Freunden der
kämpfenden jungen Generation einst zum kämpfenden jungen Generation einst zum
Siege verholfen hatte, und der auch Schnitzler, Siege verholfen hatte, und der auch Schnitzler,
dem Künder ganz anderen Wesens, bei¬ dem Künder ganz anderen Wesens, bei¬
gestanden hatte, so sehr er sich gegen seine gestanden hatte, so sehr er sich gegen seine
Art als eine wesensfremde sträuben mußte. Art als eine wesensfremde sträuben mußte.
Schon die „Liebelei“ hätte er nicht ge¬ Schon die „Liebelei“ hätte er nicht ge¬
bracht, hätte nicht Agnes Sorma sich für bracht, hätte nicht Agnes Sorma sich für
ihre Christine eingesetzt. Und er hielt ihm ihre Christine eingesetzt. Und er hielt ihm
die Treue bis — ja bis Bernhardi auf¬ die Treue bis — ja bis Bernhardi auf¬
tauchte. Hier endete Brahms Verständnis. tauchte. Hier endete Brahms Verständnis.
„Das Stück kann nicht interessieren", sagte er, „Das Stück kann nicht interessieren", sagte er,
er, der den Aufruf der Liberalen zu den er, der den Aufruf der Liberalen zu den
Berliner jüdischen Gemeinde¬ Berliner jüdischen Gemeinde¬
wahlen eben unterschrieben hatte wahlen eben unterschrieben hatte
und dann, ein neues Wirkungsfeld an der und dann, ein neues Wirkungsfeld an der
Burg erhoffend, aus dem Judentum aus¬ Burg erhoffend, aus dem Judentum aus¬
getreten war. getreten war.
Prosessor Bernhardi stellt den Höhe¬ Prosessor Bernhardi stellt den Höhe¬
punkt des Schaffens von Arthur punkt des Schaffens von Arthur
Schnitzler dar. Aber man muß zu seinen An¬ Schnitzler dar. Aber man muß zu seinen An¬
sängen zurückkehren, um ganz den Juden sängen zurückkehren, um ganz den Juden
Schnitzler zu begreifen. Schnitzler zu begreifen.
Im „Freiwild“ führte Schnitzler den Im „Freiwild“ führte Schnitzler den
Juden auf der Bühne wieder ein, der Juden auf der Bühne wieder ein, der
auf der ernsten Bühne seit dem verlorenen auf der ernsten Bühne seit dem verlorenen
Schewa von Cumberland verschwunden war. Schewa von Cumberland verschwunden war.
Es war eine kleine Episodenrolle — nur auf Es war eine kleine Episodenrolle — nur auf
Minuten im ersten Akt erscheinend —, aber Minuten im ersten Akt erscheinend —, aber
von welch symbolischer Bedentung! In von welch symbolischer Bedentung! In
seinem kleinen Verschlag saß der Kassierer des seinem kleinen Verschlag saß der Kassierer des
Kurtheaters. Nings flutete das Leben des Kurtheaters. Nings flutete das Leben des
mondänen Bades. Mittendrin, an seinen mondänen Bades. Mittendrin, an seinen
Platz gehannt, saß Cohn, nur aus seinem Platz gehannt, saß Cohn, nur aus seinem
Schubfensterchen in die nahe und ihm so ferne Schubfensterchen in die nahe und ihm so ferne
Welt blickend, verkaufte seine Billetts, wech¬ Welt blickend, verkaufte seine Billetts, wech¬
selte Noten, kritzelte Zahlen, addierte und selte Noten, kritzelte Zahlen, addierte und
kalkulierte und sorgte sich um die hinteren kalkulierte und sorgte sich um die hinteren
Parkettplätze. Aber dabei nahm er tiefen Parkettplätze. Aber dabei nahm er tiefen
Anteil an dem Leben der Menschen da Anteil an dem Leben der Menschen da
draußen und suchte zu helfen, wo er konnte. draußen und suchte zu helfen, wo er konnte.
Er rechnete und hatte Mitleid. Er rechnete und hatte Mitleid.
Denkt man nicht an den Episovenspieler Denkt man nicht an den Episovenspieler
der Weltgeschichte, den Juden? (Alles ist der Weltgeschichte, den Juden? (Alles ist
relativ, man kann ihn auch als Protagonisten relativ, man kann ihn auch als Protagonisten
nehmen.) Was tat der Jude in den nehmen.) Was tat der Jude in den
langen Jahrhundertendes Exils? langen Jahrhundertendes Exils?
Er spielt kaum mit, er sitzt in seinem Ver¬ Er spielt kaum mit, er sitzt in seinem Ver¬
schage, starrt durch das kleine Guckloch auf schage, starrt durch das kleine Guckloch auf
das Getriebe umher, — rechnet das Getriebe umher, — rechnet
rechnet, rechnet,
sorgt sich um alle und hat Mitleid. sorgt sich um alle und hat Mitleid.
langt, das ihn nicht losließ. Almählich wurde langt, das ihn nicht losließ. Almählich wurde
es in ihm stärker und stärker, er suchte sich es in ihm stärker und stärker, er suchte sich
diskutierend im Roman zu befreien, bis dann diskutierend im Roman zu befreien, bis dann
sene große Traglkomödle, die Tragi sene große Traglkomödle, die Tragi
kumödie des Iudentums entstand, kumödie des Iudentums entstand,
die über das Einzelproblem hinauswachsend die über das Einzelproblem hinauswachsend
die Komödie der Zeit geworden ist. die Komödie der Zeit geworden ist.
Wer ist, was ist dieser Professor Bern¬ Wer ist, was ist dieser Professor Bern¬
hardi? Auch er sitzt in seinem Verschlage nur hardi? Auch er sitzt in seinem Verschlage nur
mit seiner Arbeit beschäftigt, sich nicht anders mit seiner Arbeit beschäftigt, sich nicht anders
wie als teilnehmender, mitfühlender Zu¬ wie als teilnehmender, mitfühlender Zu¬
schauer um das Leben ringsherum kümmernd, schauer um das Leben ringsherum kümmernd,
um die politischen Quertreibereien, um die um die politischen Quertreibereien, um die
Klopffechter der Parteiprogramme, die mit Klopffechter der Parteiprogramme, die mit
lautem Spektakel die Szene füllen. Er sitzt lautem Spektakel die Szene füllen. Er sitzt
da und tut nichts als in jedem Moment das da und tut nichts als in jedem Moment das
Richtige, eben um des Richtigen willen von Richtige, eben um des Richtigen willen von
früh bis spät, der Mann ohne Tendenz, ohne früh bis spät, der Mann ohne Tendenz, ohne
eine andere Tendenz eben, als ein jedes Ding eine andere Tendenz eben, als ein jedes Ding
um seiner selbst willen zu tun, gerichtet auf um seiner selbst willen zu tun, gerichtet auf
Ewigkeitsziele. Und er erlebt es, daßßihm Ewigkeitsziele. Und er erlebt es, daßßihm
Sehnsüchle zu gestalten wissen und aus dem Sehnsüchle zu gestalten wissen und aus dem
lüchtigen Wechsel des Geschehens Ewig lüchtigen Wechsel des Geschehens Ewig
leitswerte sormen. leitswerte sormen.
In Arthur Schnitzler ist vielleicht der In Arthur Schnitzler ist vielleicht der
erste, große jüdische Dramatiker erste, große jüdische Dramatiker
seit Urzeiten entstanden. seit Urzeiten entstanden.
Ich möchte ein Wort eines auch vor nicht Ich möchte ein Wort eines auch vor nicht
langer Zeit Heimgegangenen anführen, eines langer Zeit Heimgegangenen anführen, eines
Mannes der Wissenschaft, des Rektors Adolf Mannes der Wissenschaft, des Rektors Adolf
Schwarz aus Wien. Er münzte es auf die Schwarz aus Wien. Er münzte es auf die
Wissenschaft, vielleicht trifft es auf die Kunst Wissenschaft, vielleicht trifft es auf die Kunst
ebenso zu: ebenso zu:
Zum Feststrauß am Laubhüttenfest bindet Zum Feststrauß am Laubhüttenfest bindet
man Palmzweig, Myrthe und Weide zusam¬ man Palmzweig, Myrthe und Weide zusam¬
men. Man nimmt dazu, frei in der Hand men. Man nimmt dazu, frei in der Hand
haltend, die Frucht des Paradiesapsels. Diese haltend, die Frucht des Paradiesapsels. Diese
Frucht ist das Symbol der freien Forschung, Frucht ist das Symbol der freien Forschung,
der Wissenschaft. Ohne sie ist der Strauß der Wissenschaft. Ohne sie ist der Strauß
unvollständig, wertlos. Aber gebunden darf unvollständig, wertlos. Aber gebunden darf
sie nicht sein. sie nicht sein.