VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 344

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Schnitzler's Death Schnitzler's Death
OBSEF OBSEF
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I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt au Ausschnitt au
ae gaag den. ae gaag den.
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vom: vom:
Arthur Schnitzler, der bekannte Arthur Schnitzler, der bekannte
Wiener Pramarner-Und Roman. Wiener Pramarner-Und Roman.
autor, dessen Drama „Fräulein Else autor, dessen Drama „Fräulein Else
mit Elisabeth Bergner verfilmt mit Elisabeth Bergner verfilmt
e n eee. e n eee.
hirnverblutung im Alter von 69 Jah- hirnverblutung im Alter von 69 Jah-
ren gestorben. ren gestorben.
Aus der Zeitschrift Aus der Zeitschrift
„Der Film' „Der Film'
DER ALTERNDE DICHTER DER ALTERNDE DICHTER
Wien 1923 bei einem Empfang zu Wien 1923 bei einem Empfang zu
Ehren des greisen, schon reichlich Ehren des greisen, schon reichlich
müden Georg Brandes. Die tempe¬ müden Georg Brandes. Die tempe¬
ramentvolle Frau R. R. zu Arthur ramentvolle Frau R. R. zu Arthur
Schnitzler: „Brandesl Oh, diese Schnitzler: „Brandesl Oh, diese
Jugendlichkeit! Da kann man sich Jugendlichkeit! Da kann man sich
ein Beispiel nehmen! ein Beispiel nehmen!
Darauf Schnitzler mit Distanz: Darauf Schnitzler mit Distanz:
— Ich lasse mich nicht drängen. — Ich lasse mich nicht drängen.

Das Tagebuch, Berlin Das Tagebuch, Berlin
box 43/13 box 43/13
91. OKT. 131 91. OKT. 131
vom: vom:
SCHNITZLER SCHNITZLER
LUDWIG BAUER LUDWIG BAUER
In diesem milden Herbst ist Arthur Schnitzler von uns regangen. In diesem milden Herbst ist Arthur Schnitzler von uns regangen.
er. der selbst ein herbstlicher Dichter gewesen ist: voll Reife und er. der selbst ein herbstlicher Dichter gewesen ist: voll Reife und
Müdigkeit. voll Weisheit und Ahnung und stets nahe dem Ende. Müdigkeit. voll Weisheit und Ahnung und stets nahe dem Ende.
Sein letzter Blick mag wohl den Garten seines Londhauses gestreift Sein letzter Blick mag wohl den Garten seines Londhauses gestreift
haben. von dem man auf Wien herabsieht. Er war menschlich wie haben. von dem man auf Wien herabsieht. Er war menschlich wie
künstlerisch der vollkommene Ausdruck dieser Stadt. ihrer Men¬ künstlerisch der vollkommene Ausdruck dieser Stadt. ihrer Men¬
schen und ihres Wesens. er Hatte sie ganz in sich und war darüiber schen und ihres Wesens. er Hatte sie ganz in sich und war darüiber
hinaus doch noch völlig Persönlichkeit, unzerstörbar und einmalig. hinaus doch noch völlig Persönlichkeit, unzerstörbar und einmalig.
Er liebte es. in diesen Garten hinabzusehen und sagte mir einmal, Er liebte es. in diesen Garten hinabzusehen und sagte mir einmal,
halb genießerisch ausgestreckt und Stadt wie Land durch die halb genießerisch ausgestreckt und Stadt wie Land durch die
Augen in sich aufnehmend: „Als ich hier einzog, da dachte ich mir, Augen in sich aufnehmend: „Als ich hier einzog, da dachte ich mir,
ich würde da unten im Garten gehen. dort arbeiten. Ich habe ihn ich würde da unten im Garten gehen. dort arbeiten. Ich habe ihn
in Jahren kaum betreten. Man hat ihn mehr. wenn man ihn von in Jahren kaum betreten. Man hat ihn mehr. wenn man ihn von
oben sieht.“ Ein aufschlußreiches Wort, durch das man in ihn selbst oben sieht.“ Ein aufschlußreiches Wort, durch das man in ihn selbst
hineinsieht. hineinsieht.
Und ein anderes, das er mir im September schrieb in einem Und ein anderes, das er mir im September schrieb in einem
Briefe über mein Buch: „Im Gefühl stehe ich nahe bei Ihnen, daher Briefe über mein Buch: „Im Gefühl stehe ich nahe bei Ihnen, daher
auch in Voraussicht und dunkler Ahnung. Aber das Genie ist in¬ auch in Voraussicht und dunkler Ahnung. Aber das Genie ist in¬
commensurabel, und das noch nicht geborene erst recht. So lassen Sie commensurabel, und das noch nicht geborene erst recht. So lassen Sie
uns Hoffnung.“ Und auch in seinem Glauben an die Gewalt der Per¬ uns Hoffnung.“ Und auch in seinem Glauben an die Gewalt der Per¬
sönlichkeit. in diesem Skeptizismus, der zweifelfroh zum Opti¬ sönlichkeit. in diesem Skeptizismus, der zweifelfroh zum Opti¬
mismus wieder umbiegt, ist der ganze Schnitzler enthalten. Seine mismus wieder umbiegt, ist der ganze Schnitzler enthalten. Seine
Gesellschaft war geschwunden, die er dichterisch umfaßt hatte, Gesellschaft war geschwunden, die er dichterisch umfaßt hatte,
ihr geistiges und sittliches Klima hatte sich verändert, und sein ihr geistiges und sittliches Klima hatte sich verändert, und sein
bei aller Weichheit unerbittlicher Spott, sein Spiel zwischen den bei aller Weichheit unerbittlicher Spott, sein Spiel zwischen den
Gefühlen geborgener und durch Reichtum und alte Kultur be¬ Gefühlen geborgener und durch Reichtum und alte Kultur be¬
hüteter Menschen schien ins Leere zu fallen; sie waren nicht mehr. hüteter Menschen schien ins Leere zu fallen; sie waren nicht mehr.
Und dennoch erneuerte sich sein Ruhm immer noch, sind dem Und dennoch erneuerte sich sein Ruhm immer noch, sind dem
mehr als Sechzigjährigen gerade in seinen letzten Greisenjahren mehr als Sechzigjährigen gerade in seinen letzten Greisenjahren
nachhallende Erfolge geworden: sein Roman „Therese", seine nachhallende Erfolge geworden: sein Roman „Therese", seine
Meisternovellen „Spiel im Morgengrauen", „Fräulein Else", andere. Meisternovellen „Spiel im Morgengrauen", „Fräulein Else", andere.
Er nahm sie hin ohne Illusionen, erwies einer seiner Feinheit ent¬ Er nahm sie hin ohne Illusionen, erwies einer seiner Feinheit ent¬
fremdeten Welt nicht einmal die Ehre, verbittert zu sein. Nur fremdeten Welt nicht einmal die Ehre, verbittert zu sein. Nur
polarkalt, tausendjährig, wie aus unüberbrückbarer Ferne, seinen polarkalt, tausendjährig, wie aus unüberbrückbarer Ferne, seinen
Ruhm verachtend, stand er ihr in seiner letzten Zeit gegenüber. Ruhm verachtend, stand er ihr in seiner letzten Zeit gegenüber.
Rettete sich aus schwerem Leid, das ihn als Mann und Vater Rettete sich aus schwerem Leid, das ihn als Mann und Vater
getroffen hatte, in epikuräische Genüsse des Körpers und in die getroffen hatte, in epikuräische Genüsse des Körpers und in die
gefrorene Lust geistiger und künstlerischer Betrachtung. Schrieb gefrorene Lust geistiger und künstlerischer Betrachtung. Schrieb
immer seltsamer, immer vollkommener; in dunklem Glanz schim¬ immer seltsamer, immer vollkommener; in dunklem Glanz schim¬
merte unter seinen Meisterhänden das kostbare, geliebte und nun merte unter seinen Meisterhänden das kostbare, geliebte und nun
so zuchtlos verdorbene Geschmeide der deutschen Sprache. Er liebte so zuchtlos verdorbene Geschmeide der deutschen Sprache. Er liebte
das Leben nicht mehr, aber, wie er es ausdrückte, „er stand dem das Leben nicht mehr, aber, wie er es ausdrückte, „er stand dem
Tod ohne Sympathie gegenüber . Für ihn, den Voltaireaner, den Tod ohne Sympathie gegenüber . Für ihn, den Voltaireaner, den
alten Arzt, den dichterischen Anreger der Psychoanalyse wartete alten Arzt, den dichterischen Anreger der Psychoanalyse wartete
kein Jenseits, und alle Eitelkeiten von sich abtuend, glaubte er kein Jenseits, und alle Eitelkeiten von sich abtuend, glaubte er
nicht an literarische Unsterblichkeit. Prüfte eher eine wohlgeratene nicht an literarische Unsterblichkeit. Prüfte eher eine wohlgeratene
Speise, sah kennerisch auf eine schöne Frau... Speise, sah kennerisch auf eine schöne Frau...
Mit Hofmannsthal ist er so recht der Dichter Österreichs ge¬ Mit Hofmannsthal ist er so recht der Dichter Österreichs ge¬
wesen, er, der Kulturjude aus feinstem Gelehrtenhause. Beides war wesen, er, der Kulturjude aus feinstem Gelehrtenhause. Beides war
untrennbar in ihm gemischt. Er hatte die jüdische Verstandes¬ untrennbar in ihm gemischt. Er hatte die jüdische Verstandes¬
schärfe, die Freude an Dialektik und schonungslosem Witz. Und die schärfe, die Freude an Dialektik und schonungslosem Witz. Und die
verschwimmende Weichheit des Gefühls, den Scherz, der Leben verschwimmende Weichheit des Gefühls, den Scherz, der Leben
und Gefühl niemals ernsthaft nahm. Nichts konnte ja bleiben, diese und Gefühl niemals ernsthaft nahm. Nichts konnte ja bleiben, diese
Stadt, dieses Reich war ersichtlich nicht dauerhaft. Aber was es Stadt, dieses Reich war ersichtlich nicht dauerhaft. Aber was es
an Bewegtheit, an Verfeinerung besaß, die herbstliche bunte an Bewegtheit, an Verfeinerung besaß, die herbstliche bunte
Melancholie seines Welkens, dies war in ihm. Diese jungen Lebe¬ Melancholie seines Welkens, dies war in ihm. Diese jungen Lebe¬
männer, die kleinen Öffiziere, die Haltung einer erzogenen Klasse, männer, die kleinen Öffiziere, die Haltung einer erzogenen Klasse,
ihre lautlose Vornehmheit, die Diskretion und Kompliziertheit ihrer ihre lautlose Vornehmheit, die Diskretion und Kompliziertheit ihrer
Fassionen: sie sind das Kennzeichen seiner Gestalten von den An¬ Fassionen: sie sind das Kennzeichen seiner Gestalten von den An¬
fängen in seinem „Anatol“, wo noch französische Vorbilder dem fängen in seinem „Anatol“, wo noch französische Vorbilder dem
jungen Arzt in die Feder liefen, aber er doch schon ganz Wien, jungen Arzt in die Feder liefen, aber er doch schon ganz Wien,
ganz Österreich und ganz Schnitzler war, bis zu seinen Gestalten ganz Österreich und ganz Schnitzler war, bis zu seinen Gestalten
im „Einsamen Weg“, im „Ruf des Lebens", im „Zwischenspiel", in im „Einsamen Weg“, im „Ruf des Lebens", im „Zwischenspiel", in
seinen Meistergeschichten, und immer wieder ist der liebesuchende. seinen Meistergeschichten, und immer wieder ist der liebesuchende.
zweifelnde Selbstling, dem am Ende das Glück doch entgleitet, die zweifelnde Selbstling, dem am Ende das Glück doch entgleitet, die
dominierende Gestalt seines Werkes. Stets steht auch neben dem dominierende Gestalt seines Werkes. Stets steht auch neben dem
Zweifelnden der Tod, und diese beiden Motive, Tod und Spiel mit Zweifelnden der Tod, und diese beiden Motive, Tod und Spiel mit
dem Schicksal, füllen in stets erneuerten, immer kunstvollen und dem Schicksal, füllen in stets erneuerten, immer kunstvollen und
manchmal auch gekünstelten Verwandlungen sein „oeuvre“. Er manchmal auch gekünstelten Verwandlungen sein „oeuvre“. Er
war wohl bestimmt, eine verfeinerte und zum Untergang vor- war wohl bestimmt, eine verfeinerte und zum Untergang vor-
1703 1703