VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 679

12. Schnitzler s Death 12. Schnitzler s Death
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OBSE OBSE
I. österr. behördl. konzessioniertes I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
TELEPHON R-23-0-43 TELEPHON R-23-0-43
Neue Paslel Neue Paslel
18.NO. 18.NO.
Schnitzler Gedenkfeier. Schnitzler Gedenkfeier.
1. Kammerspielabend des Stadttheaters im 1. Kammerspielabend des Stadttheaters im
Blauen Saal der Mustermesse: „Anatol" Blauen Saal der Mustermesse: „Anatol"
ein Brevier der Liebe von Artur Schnitzler. ein Brevier der Liebe von Artur Schnitzler.
17. November 1931. 17. November 1931.
it ein paar Strichen hat einmal Alfred Kerr die it ein paar Strichen hat einmal Alfred Kerr die
Welt Artur Schnitzlers gezeichnet, besser als es Bände Welt Artur Schnitzlers gezeichnet, besser als es Bände
und lange Worte zu tun vermögen, ganz aus dem indi¬ und lange Worte zu tun vermögen, ganz aus dem indi¬
viduell-kunstlerischen Eindruck beraus und im Gefühl viduell-kunstlerischen Eindruck beraus und im Gefühl
des einmalig und einzigartig bestimmten Lebensstiles des einmalig und einzigartig bestimmten Lebensstiles
dieses Dichters, der gestern noch aus geheimnisvoller dieses Dichters, der gestern noch aus geheimnisvoller
Nähe zu uns sprach und heute schon bei den Toten ist. Nähe zu uns sprach und heute schon bei den Toten ist.
Blühend und seltsam erschütternd durch die Kontraste Blühend und seltsam erschütternd durch die Kontraste
von Ironie und Tragik, Schein und Sein, Melancholie von Ironie und Tragik, Schein und Sein, Melancholie
Schnihler=Bedenhfeier in Hamburg. Schnihler=Bedenhfeier in Hamburg.
Aus Hamburg wird uns geschrieben: Eine würdige Aus Hamburg wird uns geschrieben: Eine würdige
Foier, dem Andenken Artur Schnitzbers geweiht, wurde von der Foier, dem Andenken Artur Schnitzbers geweiht, wurde von der
Direktion des hiesigen Thaliatheaters veranstaltet. Ein¬ Direktion des hiesigen Thaliatheaters veranstaltet. Ein¬
geleitet wurde die Feier durch eine von Hans Wengraf ver¬ geleitet wurde die Feier durch eine von Hans Wengraf ver¬
faßte und eindrucksvoll vorgetragene Gedächtnisvede. Hierauf faßte und eindrucksvoll vorgetragene Gedächtnisvede. Hierauf
wurden fünf „Anatol“=Szenen aufgeführt. Hans Wengraf, der wurden fünf „Anatol“=Szenen aufgeführt. Hans Wengraf, der
für die Vorstellung sorgfältige Regiearbeit geleistet hatte, gab für die Vorstellung sorgfältige Regiearbeit geleistet hatte, gab
auch selbst den Anatol. Er spielte ihn, wie ein maßgebender auch selbst den Anatol. Er spielte ihn, wie ein maßgebender
Hamburger Kritiker schreibt: „leichtsinnig und leise melancholisch, Hamburger Kritiker schreibt: „leichtsinnig und leise melancholisch,
elegant und skeptisch, spielerisch und mit den Allüren eines bei¬ elegant und skeptisch, spielerisch und mit den Allüren eines bei¬
nahe echten Herzens". Starber Beifall lohnte die vortreffliche nahe echten Herzens". Starber Beifall lohnte die vortreffliche
Aufführung. Aufführung.
1031 1031
SES EE SES EE
box 44/1 box 44/1
und Witz lebt diese Welt schon im Anatol, diesen ent¬ und Witz lebt diese Welt schon im Anatol, diesen ent¬
zückenden sechs Szenen, die den Dichter einst berühmt zückenden sechs Szenen, die den Dichter einst berühmt
machten. Auf die Welt Schuberts folgte die Welt Artur machten. Auf die Welt Schuberts folgte die Welt Artur
Schnitzlers Schnitzlers
Beides ist, wie eine etwas vorgrei¬ Beides ist, wie eine etwas vorgrei¬
fende Hand auf den Theaterzettel schrieb, „verklungenes fende Hand auf den Theaterzettel schrieb, „verklungenes
Wien“ — für den aber, der Musik, Poesie und Phan¬ Wien“ — für den aber, der Musik, Poesie und Phan¬
tasie in sich trägt, lebt dieses Wien in der Erinnerung tasie in sich trägt, lebt dieses Wien in der Erinnerung
und in der Sehnsucht weiter, ist also nicht verklungen und in der Sehnsucht weiter, ist also nicht verklungen
wenn auch vergangen! wenn auch vergangen!
Den Mittelpunkt dieser sechs Anatolszenen („Frage Den Mittelpunkt dieser sechs Anatolszenen („Frage
an das Schicksal“, „Denksteine", „Abschiedssouper“ an das Schicksal“, „Denksteine", „Abschiedssouper“
„Episode", „Agonie", „Hochzeitsmorgen") bilden zwei „Episode", „Agonie", „Hochzeitsmorgen") bilden zwei
junge Menschen, der von wienerischer, ein wenig deka junge Menschen, der von wienerischer, ein wenig deka
denter Schwermut umflossene Anatol und sein frischer, denter Schwermut umflossene Anatol und sein frischer,
anspornender Begleiter Max. An ihnen zieht das Schick¬ anspornender Begleiter Max. An ihnen zieht das Schick¬
sal und die füße Verschiedenheit von sechs Frauen vor¬ sal und die füße Verschiedenheit von sechs Frauen vor¬
bei, von der lieben, volksmädelhaften Gestalt bis zur bei, von der lieben, volksmädelhaften Gestalt bis zur
raubtierhaften Halbweltdame; über allem aber strahlt raubtierhaften Halbweltdame; über allem aber strahlt
das milde Auge eines verstehenden, lächelnden Dichters, das milde Auge eines verstehenden, lächelnden Dichters,
in dessen Hand alles zu einem schimmernden, beschwing¬ in dessen Hand alles zu einem schimmernden, beschwing¬
ten, nachdenkliche Schwermut zurücklassenden Spiel wird. ten, nachdenkliche Schwermut zurücklassenden Spiel wird.
Hermann Walling traf wohl am ehesten den Ton Hermann Walling traf wohl am ehesten den Ton
dieses Milieus. Er streichelte seinen Anatol mit dezenter dieses Milieus. Er streichelte seinen Anatol mit dezenter
Zurückhaltung, obwohl seine Melancholie zuweilen Zurückhaltung, obwohl seine Melancholie zuweilen
etwas ursprünglicher hätte sein dürfen. Dem Max etwas ursprünglicher hätte sein dürfen. Dem Max
hauchte Karl=Robert Schäfer frisches Temperamen hauchte Karl=Robert Schäfer frisches Temperamen
ein; nur dürfte er etwas ausgesprochener wienerisch sein. ein; nur dürfte er etwas ausgesprochener wienerisch sein.
Recht nett, wenn man von ihren sprachlichen Mangeln Recht nett, wenn man von ihren sprachlichen Mangeln
absieht, war Yvette Turner als Cora, überzeugend absieht, war Yvette Turner als Cora, überzeugend
Alma Wallé als Emilie, temperamentsprühend, wenn Alma Wallé als Emilie, temperamentsprühend, wenn
sie auch ab und zu etwas stärker hätte sein dürfen. Fritzi sie auch ab und zu etwas stärker hätte sein dürfen. Fritzi
Baner als Anni; raffiniert Irene Herder als Baner als Anni; raffiniert Irene Herder als
Bianca, anmutig, wenn auch nicht sehr stark im Aus¬ Bianca, anmutig, wenn auch nicht sehr stark im Aus¬
druck Erika Felger als Else und Erne Beutel druck Erika Felger als Else und Erne Beutel
wurde der Ilona im köstlichen „Hochzeitsmorgen“ mit wurde der Ilona im köstlichen „Hochzeitsmorgen“ mit
Verve gerecht. Das Publikum dankte mit starkem Bei¬ Verve gerecht. Das Publikum dankte mit starkem Bei¬
fall für die unter Herbert Beckers Regie angenehm fall für die unter Herbert Beckers Regie angenehm
dahinfließende Aufführung und bewies, daß das allge¬ dahinfließende Aufführung und bewies, daß das allge¬
mein Menschliche, der geistvolle Dialog und die psycho- zitte mein Menschliche, der geistvolle Dialog und die psycho- zitte
logische Finesse dieser Schilderungen der Beziehungen logische Finesse dieser Schilderungen der Beziehungen
der Geschlechter zeitlos ein werden. der Geschlechter zeitlos ein werden.
F. H. F. H.
Russehal aus Russehal aus
Berliner-Börsenzeitung Berliner-Börsenzeitung
Nr. 539 Nr. 539
18. Nov. 1931 18. Nov. 1931
SchnitzlerTotenfeier des Wiener Burg¬ SchnitzlerTotenfeier des Wiener Burg¬
theaters. Unser Wiener DrP=Mitarbeiter schreibt uns: theaters. Unser Wiener DrP=Mitarbeiter schreibt uns:
Im Verein mit dem Verbapö/Deutscher Schrifi¬ Im Verein mit dem Verbapö/Deutscher Schrifi¬
steller hatte das Burgthegter eine eigene würdige steller hatte das Burgthegter eine eigene würdige
Feier für den öserreichischen Ychter veranstaltet, die mit Feier für den öserreichischen Ychter veranstaltet, die mit
Schuberts unvollendetSnnie eröffnet wurde. Die Schuberts unvollendetSnnie eröffnet wurde. Die
Melodien dieser Musik schwecen noch durch das Haus, als Melodien dieser Musik schwecen noch durch das Haus, als
Raoul Aslan das Wort rgriff, um mit ruhiger Ein¬ Raoul Aslan das Wort rgriff, um mit ruhiger Ein¬
dringlichkeit dieé Gedenkysde zu verlesen, die Oskar dringlichkeit dieé Gedenkysde zu verlesen, die Oskar
Maurus Fonkana/ Schnitzler geweiht hat. Mit Maurus Fonkana/ Schnitzler geweiht hat. Mit
pvetischem Klarblick zeichnet Fontana das Wesen Schnitz¬ pvetischem Klarblick zeichnet Fontana das Wesen Schnitz¬
lers, unseres Lebens Puppenspieler, er schildert ihn als lers, unseres Lebens Puppenspieler, er schildert ihn als
österreichischen Menschen, der zwischen Schein und Sein österreichischen Menschen, der zwischen Schein und Sein
pendelt, von tiefer Melancholie erfüllt ist und doch vom pendelt, von tiefer Melancholie erfüllt ist und doch vom
Wissen um den Sinn des Lebens, der Liebe und Verzeihung Wissen um den Sinn des Lebens, der Liebe und Verzeihung
heißt. Wien, die Stadt des Traumes, ist ebenso innig heißt. Wien, die Stadt des Traumes, ist ebenso innig
mit Schnitzlers Werk verhaftet wie das Wien der Operette, mit Schnitzlers Werk verhaftet wie das Wien der Operette,
das er mit Zorn und Spott übergoß. Aber seine Gestalten das er mit Zorn und Spott übergoß. Aber seine Gestalten
aus dem Volke sind hell und glänzend. Schnitzler war ein aus dem Volke sind hell und glänzend. Schnitzler war ein
Mensch, der unsere Welt mit wachen Augen sah, ihr aber Mensch, der unsere Welt mit wachen Augen sah, ihr aber
nicht mehr angehörte. Deshalb lag Einsamkeit um ihn nicht mehr angehörte. Deshalb lag Einsamkeit um ihn
und ein Abschiednehmen. Mit seiner Tiefe aber, die sich und ein Abschiednehmen. Mit seiner Tiefe aber, die sich
besonders bei der Zeichnung der Frauengestalten offen¬ besonders bei der Zeichnung der Frauengestalten offen¬
bart, rührt er an Ewiges. Die Feier wurde durch eine bart, rührt er an Ewiges. Die Feier wurde durch eine
ausgezeichnete Aufführung des Einakters „Die letzten ausgezeichnete Aufführung des Einakters „Die letzten
Masken“ beschlossen, in dem sich Schnitzlers Eigenart Masken“ beschlossen, in dem sich Schnitzlers Eigenart
deutlich kundgibt. Der Todgeweihte, der als letzte Genug¬ deutlich kundgibt. Der Todgeweihte, der als letzte Genug¬
tuung herbeisehnt, seinem Widersacher die Niedrigkeit des tuung herbeisehnt, seinem Widersacher die Niedrigkeit des
Lebens vorzuhalten, verstummt im Angesichte der Ge¬ Lebens vorzuhalten, verstummt im Angesichte der Ge¬
wöhnlichkeit, denn der Wissende hat mit dem Leben dieser wöhnlichkeit, denn der Wissende hat mit dem Leben dieser
Erde nichts mehr gemein. Die Darsteller, vor allem Erde nichts mehr gemein. Die Darsteller, vor allem
Onno, Marr und Hartmann, trugen dazu bei, die Onno, Marr und Hartmann, trugen dazu bei, die
Hörer zum Miterleben zu bringen. Das dicht gefüllt Hörer zum Miterleben zu bringen. Das dicht gefüllt
Haus huldigte in feierlichem Schweigen dem toten Dichter. Haus huldigte in feierlichem Schweigen dem toten Dichter.