VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 701

12. Schnitzler's Death 12. Schnitzler's Death
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WIEN, I., WOLLZEILE 11 WIEN, I., WOLLZEILE 11
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Ausschnitt aus: Ausschnitt aus:
Berlin Berlin
Uhr-Abendblatt Uhr-Abendblatt
4.10.1931. 4.10.1931.
vom: vom:
Schnitzler- Schnitzler-
Erinnerungen. Erinnerungen.
Von Von
Adele Sandrock. Adele Sandrock.
Arthur Schnitzler lernte ich nach dem Tod Arthur Schnitzler lernte ich nach dem Tod
seines Vaters kennen, als er mir schüchtern einen seines Vaters kennen, als er mir schüchtern einen
Einakter zur Lektüre brachte. An der Tür sagte Einakter zur Lektüre brachte. An der Tür sagte
er, als er sich verabschiedete „Um Gottes willen, er, als er sich verabschiedete „Um Gottes willen,
lassen Sie mich nicht auch warten! lassen Sie mich nicht auch warten!
Der Einakter hieß „Abschindssouper“. Der Einakter hieß „Abschindssouper“.
Am nächsten Tag rief ich Schnitzter an und bat Am nächsten Tag rief ich Schnitzter an und bat
ihn zu mir. „Aber, Doktor,“ sagte ch, „was fällt ihn zu mir. „Aber, Doktor,“ sagte ch, „was fällt
Ihnen ein, ich bin doch Tragödin — wie kann ich Ihnen ein, ich bin doch Tragödin — wie kann ich
ein Wiener Flitscherl spielen!“ — „Sie sollen ein Wiener Flitscherl spielen!“ — „Sie sollen
mir nur Ihr Urteil sagen. Seit einem halben mir nur Ihr Urteil sagen. Seit einem halben
Jahr läßt mich Blumenthal vom Berliver Lessing¬ Jahr läßt mich Blumenthal vom Berliver Lessing¬
Theater auf Antwort warten. Warten ist für Theater auf Antwort warten. Warten ist für
einen Schriftsteller tödlich. einen Schriftsteller tödlich.
Am nächsten Tag brachte er mir sein Stück Am nächsten Tag brachte er mir sein Stück
„Das Märchen“. Ich spielte es im Deutschen „Das Märchen“. Ich spielte es im Deutschen
Volkstheater, wo ich es bei Direktor Bucowicz Volkstheater, wo ich es bei Direktor Bucowicz
durchgesetzt hatte. Der Erfolg war mäßig. durchgesetzt hatte. Der Erfolg war mäßig.
Stets lag aber dem Dichter das „Abschieds¬ Stets lag aber dem Dichter das „Abschieds¬
souper“ am Herzen, und weil er bei all seinen Be¬ souper“ am Herzen, und weil er bei all seinen Be¬
suchen immer darauf zurückkam, sagte ich ihm suchen immer darauf zurückkam, sagte ich ihm
schließlich: „Also zum Donnerwetter, dann werd schließlich: „Also zum Donnerwetter, dann werd
ich es spielen — Ihr Abschiedssouper hängt mir ich es spielen — Ihr Abschiedssouper hängt mir
schon zum Hals heraus!“ Im Wiener Sophiensaal schon zum Hals heraus!“ Im Wiener Sophiensaal
spielte ich dann in einer Matinec die Annie im „Ab¬ spielte ich dann in einer Matinec die Annie im „Ab¬
schiedssouper". Der Erfolg war ganz groß. schiedssouper". Der Erfolg war ganz groß.
Schildkraut gab den Kellner. Die Presse war Schildkraut gab den Kellner. Die Presse war
herzlich. herzlich.
Darauf kam „Liebelei“ im Burgtheater heraus Darauf kam „Liebelei“ im Burgtheater heraus
ich kreierte die Christine. Die beiden ersten Akte ich kreierte die Christine. Die beiden ersten Akte
fielen sozusagen ab. Schnitzler lief hinter der fielen sozusagen ab. Schnitzler lief hinter der
Szene traurig umher. Ich selbst war nicht minder Szene traurig umher. Ich selbst war nicht minder
verstört, aber plötzlich kam mir, als ich auf der verstört, aber plötzlich kam mir, als ich auf der
Bühne stand, der Einfall, den großen Ausbruch Bühne stand, der Einfall, den großen Ausbruch
der Christine im letzten Akt ohne jegliche Bewegung, der Christine im letzten Akt ohne jegliche Bewegung,
auf einem Fleck stehend, in höchster Erschütterung auf einem Fleck stehend, in höchster Erschütterung
zu spielen. Nach dem Fallen des Vorhangs war zu spielen. Nach dem Fallen des Vorhangs war
der Jubel enorm. Von da ab war Schnitzler der der Jubel enorm. Von da ab war Schnitzler der
große Mann große Mann
Bei all meinen Gastspielen in Oesterreich und Bei all meinen Gastspielen in Oesterreich und
Deutschland spielte ich immer an einem Abend Deutschland spielte ich immer an einem Abend
„Liebelei“ und „Abschiedssouper“. Viele Kolleginnen „Liebelei“ und „Abschiedssouper“. Viele Kolleginnen
haben es mir nachgemacht. Schnitzler sagte mir haben es mir nachgemacht. Schnitzler sagte mir
aber oft und oft: „Keine hat dich erreicht... aber oft und oft: „Keine hat dich erreicht...
Das letztemal sah ich Arthur Schnitzler bei mei Das letztemal sah ich Arthur Schnitzler bei mei
nem Gastspiel in Wien im vergangenenn Mai. Er nem Gastspiel in Wien im vergangenenn Mai. Er
saß in der ersten Parkettreihe im Teutschen Volks¬ saß in der ersten Parkettreihe im Teutschen Volks¬
theater. Ich spielte in „Bunburg“. Schnitzler sah¬ theater. Ich spielte in „Bunburg“. Schnitzler sah¬
traurig und gealtert aus. Schicksalsschläge mögen traurig und gealtert aus. Schicksalsschläge mögen
ihn gebrechen haben. ihn gebrechen haben.
box 44/2 box 44/2
Ra Ra
OBSERV OBSERV
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Ausschnitt ausee Fiel Me Ausschnitt ausee Fiel Me
2 5. OKT. 1931 2 5. OKT. 1931
vom: vom:
(Arthur Schnitzler als Schauspielex.) Eine Dame der (Arthur Schnitzler als Schauspielex.) Eine Dame der
Wiener Gesellschaft-schreitnne. Der Tod Arthur Schnitzlers, Wiener Gesellschaft-schreitnne. Der Tod Arthur Schnitzlers,
des unsterblichen Dichters und echten Adelsmenschen, versetzt die des unsterblichen Dichters und echten Adelsmenschen, versetzt die
ganze Kulturmenschheit in tiefe Trauer. Ganz besonders weh ganze Kulturmenschheit in tiefe Trauer. Ganz besonders weh
ober ist heute denen zumute, die das Glück hatten, diesem edlen, ober ist heute denen zumute, die das Glück hatten, diesem edlen,
vornehmen Manne, dieser Elitenatur durch persönliche Freund¬ vornehmen Manne, dieser Elitenatur durch persönliche Freund¬
schaft verbunden zu sein. Seine Empfänglichkeit für Kunst kannte schaft verbunden zu sein. Seine Empfänglichkeit für Kunst kannte
keine Grenzen. In den achtziger und neunziger Jahren des vorigen keine Grenzen. In den achtziger und neunziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts war Arthur Schnitzler, der zeitlebens mit schwärme¬ Jahrhunderts war Arthur Schnitzler, der zeitlebens mit schwärme¬
rischer Liebe am Burgtheater hing, von ganz besonderer Be¬ rischer Liebe am Burgtheater hing, von ganz besonderer Be¬
geisterung für dieses Kunstinstitut erfüllt, das ja damals seine geisterung für dieses Kunstinstitut erfüllt, das ja damals seine
Hochblüte erlebte. Damals war dem Burgtheater eine glanzvolle Hochblüte erlebte. Damals war dem Burgtheater eine glanzvolle
Epoche beschieden, die uns noch heute in der Erinnerung ans Epoche beschieden, die uns noch heute in der Erinnerung ans
Herz greift. Von den hervorragenden Künstlern, die damals am Herz greift. Von den hervorragenden Künstlern, die damals am
Burgtheater wirkten, waren es vor allem die berühmte Tragödin Burgtheater wirkten, waren es vor allem die berühmte Tragödin
Charlotte Wolter, die graziöse Stella Hohenfels, dieser Charlotte Wolter, die graziöse Stella Hohenfels, dieser
Backfisch von Gottes Gnaden, und der Herzenbezwinger Ernst Backfisch von Gottes Gnaden, und der Herzenbezwinger Ernst
Hartmann, für die sich der junge Schnitzler besonders be¬ Hartmann, für die sich der junge Schnitzler besonders be¬
geisterte. Arthur Schnitzler war so schön und liebenswürdig, daß geisterte. Arthur Schnitzler war so schön und liebenswürdig, daß
alle Mädchen für ihn schwärmten, und er fühlte sich Ernst Hart¬ alle Mädchen für ihn schwärmten, und er fühlte sich Ernst Hart¬
mann wesensverwandt, dessen Kunst in ihm ein lebhaftes Echo mann wesensverwandt, dessen Kunst in ihm ein lebhaftes Echo
fand. Er hatte die Fähigkeit, Tonfall und Gebärde des gefeierten fand. Er hatte die Fähigkeit, Tonfall und Gebärde des gefeierten
Schauspielers in so frappanter Weise wiederzugeben, daß man die Schauspielers in so frappanter Weise wiederzugeben, daß man die
Kopie vom Original kaum unterscheiden konnte. In geselligem Kopie vom Original kaum unterscheiden konnte. In geselligem
Kreis versuchte sich Schnitzler oft als Schauspieler, hauptsächlich Kreis versuchte sich Schnitzler oft als Schauspieler, hauptsächlich
als Doppelgänger des verführerischen Salonhelden Hartmann. In als Doppelgänger des verführerischen Salonhelden Hartmann. In
seiner Theaterleidenschaft stellte sich Schnitzler an die Spitze einer seiner Theaterleidenschaft stellte sich Schnitzler an die Spitze einer
kleinen Gruppe von Amateurschauspielern, die in lustigen Haus¬ kleinen Gruppe von Amateurschauspielern, die in lustigen Haus¬
theatervorstellungen ihre darstellerischen Fähigkeiten übten. Mit theatervorstellungen ihre darstellerischen Fähigkeiten übten. Mit
seiner koketten Stirnlocke wußte Schnitzler auf bezaubernde Art seiner koketten Stirnlocke wußte Schnitzler auf bezaubernde Art
den eleganten Bonvivant im Hartmann=Stil zu verkörpern. Der den eleganten Bonvivant im Hartmann=Stil zu verkörpern. Der
bestrickende Wohllaut von Schnitzlers Stimme kam auf dieser bestrickende Wohllaut von Schnitzlers Stimme kam auf dieser
Amateurbühne zu vollendeter Wirkung. Schnitzlers melodische Amateurbühne zu vollendeter Wirkung. Schnitzlers melodische
Stimme übte ja auch im Gespräch ihren unwiderstehlichen Stimme übte ja auch im Gespräch ihren unwiderstehlichen
Zauber. Die noble, überzeugende Art, mit der er seine Ansichten Zauber. Die noble, überzeugende Art, mit der er seine Ansichten
zu vertreten pflegte, gewann ihm alle Herzen. Wenn ihm zur zu vertreten pflegte, gewann ihm alle Herzen. Wenn ihm zur
Verdeutlichung eines Gedankens das Wort nicht zu genügen Verdeutlichung eines Gedankens das Wort nicht zu genügen
schien, so setzte er sich ans Klavier und brachte sein Empfinden schien, so setzte er sich ans Klavier und brachte sein Empfinden
in Klängen zum Ausdruck. Sein ganzes Wesen war Musik. Die in Klängen zum Ausdruck. Sein ganzes Wesen war Musik. Die
bezwingende Anmut, die Arthur Schnitzlers Jugend um¬ bezwingende Anmut, die Arthur Schnitzlers Jugend um¬
schimmerte, lebt in unserer Erinnerung fort. Nun ist der große schimmerte, lebt in unserer Erinnerung fort. Nun ist der große
Dichter heimgegangen. Ein strahlendes Licht ist erloschen. Dichter heimgegangen. Ein strahlendes Licht ist erloschen.