VII, Verschiedenes 13, 1933–1934, Seite 4


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WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
vom
die Stande,
Nur das Burgtheater feiert
Hermann Dar¬
Und die anderen
Wiener Theater?
Hermann Bahr wird am 19. Juli siebzig
steller gewesen, der das Programm der
Jahre alt. Er lebt längst in der Zurück
Wiener Theater mit jährlicher Premieren¬
gezogenheit eines griechisch-österreichische
ware versorgte, der seine zwei, drei Stücke
Philosophen. Nach vielen Jahren Salzburg ablieferte, weil für ihn gerade große und
in München. Längst ist es still um ihn. Aber
gute Konjunktur vorhanden war. Denn
neben Arthur Schnitzler muß er noch immer Hermann Bahr war einst als der Rebell des
als repräsentativer Dichter Österreichs gel
jungen Wien verschrien, Frondeur gegen
ten. Bisher hat kein Wiener Privattheate
die jüngste Vergangenheit, geliebt und ge
daran gedacht, daß es Hermann Bahr zu¬ haßt. Der witzig-scharfe Geist, in dessen
mindest in früheren Jahren große Erfolge Stücken das Wiener- und Österreichertum
zu danken hatte. Nur das Burgtheater erin
eine gütig ironische, manchmal sogar eine
nerte sich Hermann Bahrs. Es wird im Sep¬
mehr als ironische Kritik erfuhr, hat seine
tember als Bahr-Feier Hermann Bahr
erbitterten Freunde und Feinde. Hermann
Komödie „Der Meister“ herausbringen. Bahr gehört zum geistigen Bild dieser Zeit,
„Der Meister" ist kein Stück, das den öster¬
Hermann Bahr war der Dichter, dem die
reichischen Dichter Hermann Bahr zeigt, es Ehrentafel eines deutschen Theater¬
ses
wunderbar österreichische Schauspiel
ist eines der problematischen Unterhaltungsprogramms, das Repertoire Otto Brahms
eines österreichischen Menschen?
Und
stücke Bahrs, die vor Jahren als „kämpfe¬
nicht verschlossen blieb. Dort sah man
„Die Kinder“? Und „Ringelspiel? Eine
risch“ im besten Sinne galten und sich gegen ist das schon vergessen?
die „Gelbe
Fülle bravourser witziger und geistig tiefer
die Meinung des Publikums durchgesetzt
Nachtigall“ mit Albert Bassermann, der
fundierter Komödien, die freilich in keiner
haben. Es gäbe andere Hermann Bahrs, die sah man — weiß denn das niemand mehr
wieder zum Leben zu bringen Ehrenpflich
jenes merkwürdige Stück „Sanna“, eine Gesamtausgabe der Werke Hermanns Bahrs
der vaterländischen Front des Burgtheaters der echtesten und typischesten Komödien erschienen sind. Denn so eine Gesamtaus¬
wäre. Aber Röbbeling weiß wahrscheinlich Hermann Bahrs. Auch den „Meister" hat gabe gibt es nicht. Zu einem geschlosse¬
nen Oeuvre hat es Hermann Bahr nicht ge¬
nicht, daß Bahr in Linz geboren ist.
Otto Brahms in einer Meisteraufführung mit
bracht. Er lebt als Autor der Leihbiblio¬
Das Burgtheater tut wenigstens so, als Rudolf Rittner und Irene Triesch gespielt
würde es eine innere Verpflichtung und eine
Und das „Konzert“? Es überdauerte eine theken weiter. Seine Bücher sind aus den
Auslagen verschwunden. Vielleicht kennen
Dankesschuld an Hermann Bahr verspüren
Generation und lebt heute, da die Bühnen
sie die Theaterdirektoren darum nicht.
Die anderen Theater schauen weg. Sie
sich nicht darum kümmern, einstweilen
wollen scheinbar nicht wissen, wer Hermann
im Tonfilm weiter. Und der „Franz“? Die¬
Siegfried Geyer.
Bahr ist und was Hermann Bahr für das

Wiener Theater war. Im Volkstheater ist
oft und oft die Wiege Bahrscher Erfolge
und Bahrscher Premierenskandale gestan¬
den. Hier war die nunmehr heute schon
historische Erstaufführung der „Wienerin¬
nen, bei der es faule Apfel gab, harmlose
Wurfgeschosse, die den Unwillen eines
bourgeoisen Publikums gegen die „revo¬
lutionären Theorien des kühnen Hermann
Bahr zum Ausdruck brachten. Auch das
anarchistische Schauspiel „Die Andere von
Hermann Bahr erblickte in einer stürmi¬
schen Volkstheater-Premiere das Licht der
Rampenwelt. Aber vielleicht weiß Direktor
Jahn davon wirklich nichts. Zu seiner Zeit
war die geschäftliche und künstlerische
Glanzperiode Hermann Bahrs schon ein
wenig verblaßt. Es sind aber genug Leute
im Volkstheater, die ihn daran erinnern
könnten, daß Hermann Bahr volkstheater¬
würdig ist.
Die Josefstadt tut gleichfalls so, als wäre
ihr die geistige Bedeutung Hermann Bahrs
für das Wiener Theater nicht bekannt.
Man hört nicht die geringste Notiz, die
irgendwie daran erinnert, daß Hermann
Bahr siebzig Jahre alt wird. Gerade für die
Josefstadt gäbe es Möglichkeiten einer
Hermann Bahr-Renaissance, die auch ihre
geschäftlich guten Seiten hätte. Mit Paula
Wessely und Hans Jaray zum Beispiel
könnte man manches Werk Bahrs zu neuem
Theaterleben führen.
Hermann Bahr ist ja schließlich nicht
bloß ein beliebiger Unterhaltungsschrift¬