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Miscellaneous
Universitätsstudium in Leipzig, das vorzeitig unterbrochen wurde
durch eine Berufung als Kapellmeister an den Herzoglichen Hof
von Halle=Weißenfels Querfurt. Als Beer am 28. Juli 1700, noch
immer in Diensten seines hohen Gönners, starb, hatte er eine An¬
zahl bedeutender Romane, die jeweils pseudonym erschienen waren,
viele Konzertkompositionen und musikwissenschaftliche Schriften
hinterlassen.
IS
In des Dichters wesentlichsten Büchern („Welt=Kucker, „Nar¬
ren=Spital“, „Teutsche Winternächte", „Kurzweilige Sommer¬
täge“, „Der verliebte Oesterreicher“) erweist es sich, daß die Jugend¬
eindrücke in Oberösterreich und Bayern für ihn bestimmend wur¬
OBSERVER
den, und zwar derart, daß die Landschaft gleichsam figuriert und
I. österr. behördl. konzessioniertes
niemals mehr, trotz des überwiegenden Aufenthalts in Mittel¬
deutschland, verlassen wird.
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ich las den „Verliebten Oesterreicher“, der 1704
WIEN, I., WOLLZEILE 11
unter dem Pseudonym Jean Rebhu (übersetzt: Johann Huber)
TELEPHON R-23-0-43
veröffentlicht wurde. Die vielfach verzweigte und gewundene ba¬
rocke Handlung vermag uns gegenwärtig nicht hinreichend zu inter¬
essieren. Wir müßten uns sonst eingehend mit dem Stofflichen
Ausschnitt aus:
befassen und um eine objektive Geschichtsdarstellung bemüht sein.
(Restlosen Aufschluß erteilt dem Interessenten ein Buch: „Johann
Beer, Studien zum Roman des 17. Jahrhunderts" von Richard
Alewyn; Verlag Mayer & Müller G. m. b. H., Leipzig.)
1
Was mich ergötzte, war die echt österreichische Haltung des
vom
Helden, ein Typus, der in dem Gleichklang von Gemüt und Land¬
schaft wohl nicht so schnell ausstirbt. Jener Jüngling hat Bestand
der immer verliebt ist und die Welt im Glück gewinnt, er ist be¬
„Der verliebte Oesterreicher.
ständig bis herauf zu Artur Schnitzler und, freilich schon verein¬
Die Welt ist so gescheit geworden, die Bildung hat sich schreck zelt, bis zum heutigen Tag. Jener junge Oesterreicher resigniert,
lich ausgebreitet, es gibt wirklich mehr Kluge als Dumme. Täg
wenn er nicht sofort erhört wird, und er überläßt sich geistlichen
lich erscheinen neue Bücher, der Geist setzt nicht aus und der
Gedanken, sobald man sich ihm in den Weg stellt. Aber plötzlich
Augenarzt muß viele Brillen verschreiben. Unsere Zeit ist in gro߬
kommt er doch zu der Einsicht, daß die Mitte, ein ausgewogenes
artigen Werken geschildert, und weil sie bald nur noch gedruckt Leben zu führen zwischen den sinnlichen Freuden und der religi¬
wird, erstarrt sie allmählich. Man fühlt sich manchmal gezwungen
ösen Erhebung, das beste ist. Er ist der verliebte Oesterreicher in
die Weisheit zu fliehen und durch einen Wald zu wandern, an
einem weiten Sinne: der siegesgewiß in die glänzenden Tore des
einem Fluß entlang oder über einen Wiesenrain Dann kommt Augenpaars einer schönen Frau einbricht, wie er unmittelbar dar¬
auf fähig ist, in der „Mariazeller Wallfahrtskirche“ mit Gott und
man abends gestärkt und ohne Kopfweh heim, geht an den Biblio¬
der Heiligen Jungfrau darüber zu sprechen.
theksschrank und ... greift nach einem Buchh.
Ich hatte Glück. Es geschah, daß mir ein Mann über zweiein¬
Der Verfasser, der sich mit dem Romanhelden identifiziert, redet
halb Jahrhunderte hinweg die Hand reichte. Wir kannten uns so den Leser sehr direkt an. Es herrscht die Ich=Form. Die Sprache ist
fort, weil uns dieselbe Landschaft erzogen und gebildet hat, weil eindeutig und kräftig. Und es besteht ein inniges Verhältnis zwi¬
uns die gleichen Wünsche Spannung geben und Erfüllung ver¬
schen Autor und Leser! Beer rückt seine Erzählung ganz nah; er
heißen. Wo Johann Beer Ende des 17. Jahrhunderts stand, treibt gemeinsam mit dem Leser Spaß, indem eindringlich auf die
auf der Augenblick wartend, daß ihm seine Heimat zum Gleichnis Schwächen der Figuren aufmerksam gemacht wird; wo eine Be¬
werde für das ganze Deutschland, an dieser Stelle befinde auch lehrung erforderlich ist, kommt sie breit und ausführlich zur An¬
ich mich heute und ersehne für mein Vaterland jene südliche Heiter¬ wendung. Darin sehe ich den Unterschied zwischen jenem Barock¬
keit, die im Zeitalter des Barock bis nach Sachsen vorstieß, um dichter und der modernen Dichtung: daß bei Beer die Erzählung
vorzüglich in Dresden ein unerhörtes Fanal zu errichten.
nicht in der Entfernung ruht oder wirkt, vom Verfasser abgetrennt
Ich stelle vor: Johann Beer, 1655 zu St. Georgen im Atter= und ein Eigenleben führend, nein, daß gerade die Erzählung eine
gau in Oberösterreich geboren: der Zehnjährige übersiedelte nach Verbindung herstellt zwischen Dichter und Leser, eine freundschaft¬
Regensburg und absolvierte hier das Gymnasium; es folgte
liche Verbindung, die man nicht so rasch wieder ausgibt. Ich habe
nicht gleich wieder das Verlangen, eine andere Lektüre zu wählen.
Ich bleibe bei Johann Beer.
Da muß schon eine Kraft vorhanden sein, wo das gedruckte
Wort so lange und unmittelbar fortwirkt. Ich habe mir einige
Sätze notiert. Der Liebende seufzt: „Wie ein unglückseliger Mensch
bin ich in meiner größten Glückseligkeit!“ Auf einer Seite der
Besinnung heißt es: „Wisset ihr nicht daß das Stillschweigen die
höchste Vernunft sey ein Mensch hat niemalen eine größere
Würckung seiner Sinnen als wann er schweiget. Von einem
Halbgebildeten, der von der Heimat losgelöst und unverwurzelt
ist, sagt Beer: „Einer redete unter sein Teutsches mehr als halb
Latein / und dieses sind solche Narren / welche von seichtem Alter
und dahero geschwind in ihrer Einbildung verführt sind / dann sie
meinen / wo sie nicht in ihrer Einbildung verführt sind dann sie
meinen / wo sie nicht in alle ihre Reden lateinische Wort untermän¬
gen so wisse man nicht daß sie studiren." Endlich wird das Aller¬
natürlichste gepriesen: „Und statt der Music hörte ich das grobe
Vieh brummen.
Der „Verliebte Oesterreicher“ gewährt Erholung. Die Inter¬
valle in diesem Buch bergen das beharrliche Licht Oesterreichs, das
Adagio bringt ein zartes Liebessehnen, und im Allegro waltet ein
wunderbarer Humor. Der Vergleich mit Musik ist erlaubt, denn
es handelt sich ja um Oesterreich und Johann Beer ist auch Kom¬
ponist. Und noch etwas besitzt er, womit er jeden Gegner und alle
Argumente besiegt und was uns im 20. Jahrhundert leider man¬
gelt, nämlich das große, befreiende und sich fortpflanzende Lachen,
dieses besaß er in einem Maße, daß noch heute, nach fast zweiein¬
halb Jahrhunderten, sich über seinem Grabe die Erde wölbt, weil
eine jauchzende Brust nach oben drückt.
Max Maria Rheude.
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Universitätsstudium in Leipzig, das vorzeitig unterbrochen wurde
durch eine Berufung als Kapellmeister an den Herzoglichen Hof
von Halle=Weißenfels Querfurt. Als Beer am 28. Juli 1700, noch
immer in Diensten seines hohen Gönners, starb, hatte er eine An¬
zahl bedeutender Romane, die jeweils pseudonym erschienen waren,
viele Konzertkompositionen und musikwissenschaftliche Schriften
hinterlassen.
IS
In des Dichters wesentlichsten Büchern („Welt=Kucker, „Nar¬
ren=Spital“, „Teutsche Winternächte", „Kurzweilige Sommer¬
täge“, „Der verliebte Oesterreicher“) erweist es sich, daß die Jugend¬
eindrücke in Oberösterreich und Bayern für ihn bestimmend wur¬
OBSERVER
den, und zwar derart, daß die Landschaft gleichsam figuriert und
I. österr. behördl. konzessioniertes
niemals mehr, trotz des überwiegenden Aufenthalts in Mittel¬
deutschland, verlassen wird.
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ich las den „Verliebten Oesterreicher“, der 1704
WIEN, I., WOLLZEILE 11
unter dem Pseudonym Jean Rebhu (übersetzt: Johann Huber)
TELEPHON R-23-0-43
veröffentlicht wurde. Die vielfach verzweigte und gewundene ba¬
rocke Handlung vermag uns gegenwärtig nicht hinreichend zu inter¬
essieren. Wir müßten uns sonst eingehend mit dem Stofflichen
Ausschnitt aus:
befassen und um eine objektive Geschichtsdarstellung bemüht sein.
(Restlosen Aufschluß erteilt dem Interessenten ein Buch: „Johann
Beer, Studien zum Roman des 17. Jahrhunderts" von Richard
Alewyn; Verlag Mayer & Müller G. m. b. H., Leipzig.)
1
Was mich ergötzte, war die echt österreichische Haltung des
vom
Helden, ein Typus, der in dem Gleichklang von Gemüt und Land¬
schaft wohl nicht so schnell ausstirbt. Jener Jüngling hat Bestand
der immer verliebt ist und die Welt im Glück gewinnt, er ist be¬
„Der verliebte Oesterreicher.
ständig bis herauf zu Artur Schnitzler und, freilich schon verein¬
Die Welt ist so gescheit geworden, die Bildung hat sich schreck zelt, bis zum heutigen Tag. Jener junge Oesterreicher resigniert,
lich ausgebreitet, es gibt wirklich mehr Kluge als Dumme. Täg
wenn er nicht sofort erhört wird, und er überläßt sich geistlichen
lich erscheinen neue Bücher, der Geist setzt nicht aus und der
Gedanken, sobald man sich ihm in den Weg stellt. Aber plötzlich
Augenarzt muß viele Brillen verschreiben. Unsere Zeit ist in gro߬
kommt er doch zu der Einsicht, daß die Mitte, ein ausgewogenes
artigen Werken geschildert, und weil sie bald nur noch gedruckt Leben zu führen zwischen den sinnlichen Freuden und der religi¬
wird, erstarrt sie allmählich. Man fühlt sich manchmal gezwungen
ösen Erhebung, das beste ist. Er ist der verliebte Oesterreicher in
die Weisheit zu fliehen und durch einen Wald zu wandern, an
einem weiten Sinne: der siegesgewiß in die glänzenden Tore des
einem Fluß entlang oder über einen Wiesenrain Dann kommt Augenpaars einer schönen Frau einbricht, wie er unmittelbar dar¬
auf fähig ist, in der „Mariazeller Wallfahrtskirche“ mit Gott und
man abends gestärkt und ohne Kopfweh heim, geht an den Biblio¬
der Heiligen Jungfrau darüber zu sprechen.
theksschrank und ... greift nach einem Buchh.
Ich hatte Glück. Es geschah, daß mir ein Mann über zweiein¬
Der Verfasser, der sich mit dem Romanhelden identifiziert, redet
halb Jahrhunderte hinweg die Hand reichte. Wir kannten uns so den Leser sehr direkt an. Es herrscht die Ich=Form. Die Sprache ist
fort, weil uns dieselbe Landschaft erzogen und gebildet hat, weil eindeutig und kräftig. Und es besteht ein inniges Verhältnis zwi¬
uns die gleichen Wünsche Spannung geben und Erfüllung ver¬
schen Autor und Leser! Beer rückt seine Erzählung ganz nah; er
heißen. Wo Johann Beer Ende des 17. Jahrhunderts stand, treibt gemeinsam mit dem Leser Spaß, indem eindringlich auf die
auf der Augenblick wartend, daß ihm seine Heimat zum Gleichnis Schwächen der Figuren aufmerksam gemacht wird; wo eine Be¬
werde für das ganze Deutschland, an dieser Stelle befinde auch lehrung erforderlich ist, kommt sie breit und ausführlich zur An¬
ich mich heute und ersehne für mein Vaterland jene südliche Heiter¬ wendung. Darin sehe ich den Unterschied zwischen jenem Barock¬
keit, die im Zeitalter des Barock bis nach Sachsen vorstieß, um dichter und der modernen Dichtung: daß bei Beer die Erzählung
vorzüglich in Dresden ein unerhörtes Fanal zu errichten.
nicht in der Entfernung ruht oder wirkt, vom Verfasser abgetrennt
Ich stelle vor: Johann Beer, 1655 zu St. Georgen im Atter= und ein Eigenleben führend, nein, daß gerade die Erzählung eine
gau in Oberösterreich geboren: der Zehnjährige übersiedelte nach Verbindung herstellt zwischen Dichter und Leser, eine freundschaft¬
Regensburg und absolvierte hier das Gymnasium; es folgte
liche Verbindung, die man nicht so rasch wieder ausgibt. Ich habe
nicht gleich wieder das Verlangen, eine andere Lektüre zu wählen.
Ich bleibe bei Johann Beer.
Da muß schon eine Kraft vorhanden sein, wo das gedruckte
Wort so lange und unmittelbar fortwirkt. Ich habe mir einige
Sätze notiert. Der Liebende seufzt: „Wie ein unglückseliger Mensch
bin ich in meiner größten Glückseligkeit!“ Auf einer Seite der
Besinnung heißt es: „Wisset ihr nicht daß das Stillschweigen die
höchste Vernunft sey ein Mensch hat niemalen eine größere
Würckung seiner Sinnen als wann er schweiget. Von einem
Halbgebildeten, der von der Heimat losgelöst und unverwurzelt
ist, sagt Beer: „Einer redete unter sein Teutsches mehr als halb
Latein / und dieses sind solche Narren / welche von seichtem Alter
und dahero geschwind in ihrer Einbildung verführt sind / dann sie
meinen / wo sie nicht in ihrer Einbildung verführt sind dann sie
meinen / wo sie nicht in alle ihre Reden lateinische Wort untermän¬
gen so wisse man nicht daß sie studiren." Endlich wird das Aller¬
natürlichste gepriesen: „Und statt der Music hörte ich das grobe
Vieh brummen.
Der „Verliebte Oesterreicher“ gewährt Erholung. Die Inter¬
valle in diesem Buch bergen das beharrliche Licht Oesterreichs, das
Adagio bringt ein zartes Liebessehnen, und im Allegro waltet ein
wunderbarer Humor. Der Vergleich mit Musik ist erlaubt, denn
es handelt sich ja um Oesterreich und Johann Beer ist auch Kom¬
ponist. Und noch etwas besitzt er, womit er jeden Gegner und alle
Argumente besiegt und was uns im 20. Jahrhundert leider man¬
gelt, nämlich das große, befreiende und sich fortpflanzende Lachen,
dieses besaß er in einem Maße, daß noch heute, nach fast zweiein¬
halb Jahrhunderten, sich über seinem Grabe die Erde wölbt, weil
eine jauchzende Brust nach oben drückt.
Max Maria Rheude.