VII, Verschiedenes 13, 1933–1934, Seite 6

13.
Miscellaneous
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„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus
IN
18. J.
vom
en
seiner Empfindun¬
wenn die anderen noch in Ungewißheit
zweifelten. Die absolute Treffsicherheit seines verständlich, daß
langweilig sein kan
Urteils, das tausendmal recht behalten hat
Theater und Kunst.
äußere Spannung
ist die ungewöhnliche Gabe seines kritischen
die auch skeptische
Empfindens. Dabei ist er ein vorbildlichen
führen sollte.
Kritiker: ihn haben niemals Neid und Miß
Der Dichter Hermann Bahr.
Vor einem Jal
laune geleitet, sondern stets aufbauende
Zum 70. Geburtstag des Dichters.
fendes literarisches
Liebe.
In diesem Buch is
Von Alfred Dreßler.
Literarisch anspruchsvoll und proble
matisch hat Bahr mit heißumstrittenen Schilderung seiner
Hermann Bahr hat es selbst in seinen
Bühnenwerken begonnen und ist nicht ver¬ wicklung ein Bi¬
Schriften verschiedentlich ausgesprochen, daß
Leben vor und
flacht, sondern zu brauchbaren bedeutungs¬
es für die literarischen Betrachter seiner
vollen Lustspielen herangereift. Diese sind entworfen
Werke nicht leicht sei, ein Gesamtbild seines
Seit etwa ze
wesentlicher und gehaltreicher, als sie er¬
Schaffens zu erfassen, ein nach jeder Richtung
Bahr merkwürdig
scheinen. Ueber die übliche Marktware ragen
hin wohlgeordnetes System seiner Arbeiten
sie durch den inneren Gehalt weit hinaus beiten dieser Zeit
aufzustellen und ihn in eine enge Kategorie
Wenn beispielsweise im „Prinzip der Doktor Widerhall. Wenig¬
der Literaturgeschichte des 19. und 20. Jahr¬
inwendige Garten
Friedrich Esch, der bekennende Optimist, in
hunderts einzureihen. Dieser Dramatiker,
unter dem Titel „
tiefem Widerspruch zu dem cholerischen Rea¬
Romandichter, Essayist und Kritiker, der
gefaßten inhalts¬
listen Krüger der psychischen Entwicklung
gleichermaßen dichterisch, literarisch und all¬
Jahren 1924 bis
seiner Kinder die freieste Bahn läßt, so wird
gemein wissenschaftlich orientiert ist, hat
Hermann Bahr.
eben damit in scheinbar spielerischer Form, neueres Lustspiel
seinen Zeitgenossen ein so reiches und viel¬
aber doch die ganze Tiefe des Problems wandten Komödie
In den mannigfaltigsten kritischen Stu¬
seitiges Lebenswerk geschenkt, daß die Ernte
würdigsten Seite.
seines Schaffens unter einem Dache zu dien hat Bahr im Laufe der Jahre die wesent- durchleuchtend, die Frage behandelt, ob eine
Ueber manch
lichsten Erscheinungen der künstlerischen Welt vollwertige Erziehung unter Berücksichtigung
bergen nicht möglich ist. Es ist verlockend
erscheinung sollte
weitester Willensfreiheit der Zöglinge mög¬
an sich vorüberziehen lassen und ihnen ihr
dem Dichter und Dramatiker in Hermann
charakteristischestes Merkmal scharfängig ab¬ lich sei. Und wenn im „Konzert", dem erfolg= bare, vielseitige K
Bahr die tiefste Bedeutung beizumessen, aber
schaftler Hermann
reichsten Lustspiel des Dichters, rein äußer¬
gesehen. Ibsen, Schnitzler, Hofmannsthal
es ist unbefriedigend, über dem poetischen
lich wohl nichts als eine oberflächliche Lust werden.
Künstler beispielsweise den geistvollen und Maeterlinck, Verlaine, Hugo Wolf, die Duse
spielhandlung durchgeführt wird, so ist den¬
feinfühlenden Anwalt literarischer Neuwerte Girardi und Kainz: eine unübersehbar¬
noch gleichzeitig eine treffende Charakteristik
zu vergessen. Hermann Bahr ist, daran ist Reihe hochragender Gestalten passiert Revue
urwienerischen und österreichischen Wesens
und Bahr erfühlt den besonderen Herzschla¬
kein Zweifel, einer der vielseitigsten, reichsten
jedes einzelnen mit einer Einfühlungskraft der Vorkriegszeit gegeben, wie sie eine lang
Geister unserer Zeit
atmige psychologische Untersuchung nicht deut¬
ohne gleichen. Allen Namen und Dingen, von
In diesem Dichter sammeln sich wie im
licher zu erhellen vermöchte. Bahrs Formen
denen in seinen Schriften zu lesen steht, ist der
Urkeim unserer ganzen Zeit alle ihre
sind elegant, beschwingt und gefällig. Er ist
Rang gehörig, den Bahr ihnen zuteilt. Aber
Empfindsamkeiten, Hemmungen, Wagnisse,
der Apostel und Prophet (auch in seiner
als sie diesen später erreichten Rang noch
Bosheiten, tiefe Besinnungen, Zweifel und
äußeren Erscheinung) des Salons. Sein
nicht innehatten, wußte er bereits, fast wie
gläubige Hoffnungen. Wenn in hundert Jah¬
ethischer und individueller Gehalt ist von
ein Prophet, um ihre Größe mit unfehlbaren
ren ein Fragender sich die Rätsel dieser
philosophischer Eindringlichkeit.
Gewißheit. Das ist das Auszeichnende, da¬
Epoche deuten will, braucht er nur in das
Dem Romandichter kommen die Uni¬
Bahr über andere Kritiker und Essayisten
geistige Antlitz Hermann Bahrs zu schauen,
hinaushebt: er hat die Qualität eines schöpfe versalität seines Wissens, der große, weite
er kann aus ihm die Züge dieser Zeit er¬
rischen Geistes immer schon dann erkannt, Bezirk seiner Erfahrung, die starke Kraft
kennen.