VII, Verschiedenes 13, 1933–1934, Seite 7

13. Miscellaneous
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wenn die anderen noch in Ungewißheit seiner Empfindung zugute. So ist es selbst¬
zweifelten. Die absolute Treffsicherheit seines
verständlich, daß keine Zeile dieses Mannes
Urteils, das tausendmal recht behalten hat
langweilig sein kann. Daß selbst dort, wo die
ist die ungewöhnliche Gabe seines kritischen
äußere Spannung fehlt, eine innere fesselt,
Empfindens. Dabei ist er ein vorbildlicher
die auch skeptische Leser seinen Romanen zu¬
Kritiker: ihn haben niemals Neid und Mi߬
führen sollte.
laune geleitet, sondern stets aufbauende
Vor einem Jahrzehnt ließ Bahr ein tref¬
Liebe.
fendes literarisches „Selbstbildnis“ erscheinen.
Literarisch anspruchsvoll und proble¬
In diesem Buch ist neben einer interessanten
matisch hat Bahr mit heißumstrittenen Schilderung seiner äußeren und inneren Ent¬
Bühnenwerken begonnen und ist nicht ver¬
wicklung ein Bild von dem literarischen
flacht, sondern zu brauchbaren bedeutungs¬
Leben vor und nach der Jahrhundertwende
vollen Lustspielen herangereift. Diese sind
entworfen.
wesentlicher und gehaltreicher, als sie er¬
Seit etwa zehn Jahren ist es nun um
ten
scheinen. Ueber die übliche Marktware ragen
Bahr merkwürdig still geworden. Die Ar¬
sie durch den inneren Gehalt weit hinaus beiten dieser Zeit fanden nicht den rechten
Wenn beispielsweise im „Prinzip der Doktor
Widerhall. Wenige kennen den Roman „Der
Friedrich Esch, der bekennende Optimist, in
inwendige Garten". Ebenso blieben seine
tiefem Widerspruch zu dem cholerischen Rea¬
unter dem Titel „Der Zauberstab zusammen¬
listen Krüger der psychischen Entwicklung
gefaßten inhaltsreichen Tagebücher aus den
seiner Kinder die freieste Bahn läßt, so wird
Jahren 1924 bis 1926 weniger beachtet. Ein
Hermann Bahr.
eben damit in scheinbar spielerischer Form, neueres Lustspiel „Die Tante" zeigt den ge¬
te
In den mannigfaltigsten kritischen Stu¬
aber doch die ganze Tiefe des Problems wandten Komödiendichter von seiner liebens¬
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dien hat Bahr im Laufe der Jahre die wesent- durchleuchtend, die Frage behandelt, ob eine
würdigsten Seite.
cken,
lichsten Erscheinungen der künstlerischen Welt
vollwertige Erziehung unter Berücksichtigung
Ueber mancher vergänglichen Tages¬
mann an sich vorüberziehen lassen und ihnen ihr
weitester Willensfreiheit der Zöglinge mög¬
erscheinung sollte der feinkünstlerische, frucht¬
aber
charakteristischestes Merkmal scharfängig ab¬
lich sei. Und wenn im „Konzert“, dem erfolg= bare, vielseitige Künstler und Literaturwissen¬
schen
gesehen. Ibsen, Schnitzler, Hofmannsthal,
reichsten Lustspiel des Dichters, rein äußer¬
schaftler Hermann Bahr nicht völlig vergessen
und
Maeterlinck, Verlaine, Hugo Wolf, die Duse,
lich wohl nichts als eine oberflächliche Lust¬
werden.
were
Girardi und Kainz: eine unübersehbare
spielhandlung durchgeführt wird, so ist den¬
ran ist Reihe hochragender Gestalten passiert Revue
noch gleichzeitig eine treffende Charakteristik
reichsten und Bahr erfühlt den besonderen Herzschlag
urwienerischen und österreichischen Wesens
jedes einzelnen mit einer Einfühlungskraft
der Vorkriegszeit gegeben, wie sie eine lang¬
ohne gleichen. Allen Namen und Dingen, von
atmige psychologische Untersuchung nicht deut¬
wie im
denen in seinen Schriften zu lesen steht, ist der
licher zu erhellen vermöchte. Bahrs Formen
ihre
Rang gehörig, den Bahr ihnen zuteilt. Aber
sind elegant, beschwingt und gefällig. Er ist
ignisse
als sie diesen später erreichten Rang noch
der Apostel und Prophet (auch in seiner
fel und
nicht innehatten, wußte er bereits, fast wie
äußeren Erscheinung) des Salons. Sein
dert Jah¬
ein Prophet, um ihre Größe mit unfehlbarer ethischer und individueller Gehalt ist von
tel dieser
nur in das Gewißheit. Das ist das Auszeichnende, das
philosophischer Eindringlichkeit.
Dem Romandichter kommen die Uni¬
Bahr über andere Kritiker und Essayisten
zu schauen,
hinaushebt: er hat die Qualität eines schöpfe versalität seines Wissens, der große, weite
dieser Zeit er¬
rischen Geistes immer schon dann erkannt, Bezirk seiner Erfahrung, die starke Kraft