VII, Verschiedenes 13, 1933–1934, Seite 8

13.
Miscellaneous
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ISCHEN ZEITUNG
Bochum sowie der Solisten eine imponierende Darstellung und
einen tiefgehenden Erfolg.
Am Sängertag selbst legten 28 westfälische Vereine in sieben
Sonderkonzerten Proben ihres Könnens ab. Die Programme
wiesen durchweg bekannte Namen von meist traditionsgebundener
„OBSERVER
Prägung auf. Eine mustergültige Aufführung des sinfonischen
1. österr. behördl. konzessioniertes
Chorwerkes „Das Leb von Josef Meßner durch den Frauenchor
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
des Dortmunder Lehrergesangvereins, ein Soldatenlied von Ottmar
Gerster, ein Variationswerk „Das klingende Jahr für Männer¬
WIEN, I., WOLLZEILE 11
chor, Solo und Orchester von Otto Siegl, ein Chorzyklus „Ruhr¬
TELEPHON R-23-0-43
gold“ auf plattdeutsche Gedichte von Nellius und eine Reihe von
volksliedhaftempfundenen Arbeiten des münsterischen Komponisten
Franz Ludwig waren, zum Teil als Uraufführungen, die wesent¬
Ausschnitt aus Vische
lichsten künstlerischen Ergebnisse dieser Sängertagung.
18.
Ein Leben mit Hermann Bahr
Aus dem Nachlaß von ARTHUR KAHANE
Tradition des Bodens, von Stifter über Kürnberger zu
Hermann Bahr feiert am 19. Juli seinen
Speidel, großväterlich gesichert fühlte. Eine so lebendige
70. Geburtstag.
Suggestion ging von dem Fluß und der farbigen Leiden¬
Als ich ihn kennenlernte, war es uns beiden, als ob wir
schaftlichkeit dieses Stiles aus, der die einen mit dem Reize
einander immer schon gekannt hätten. Mein ganzes Leben
eines täglichen Abenteuers entzückte, die anderen zur
war Begegnung mit Hermann Bahr. Ich bekenne, keinen
Raserei brachte, daß ihr alle unterlagen, ob sie nun in seiner
stärkeren persönlichen Einfluß erlebt zu haben als von dieser
Art oder in der eigenen Art oder, aus Wut, erst recht in
glänzendsten und lebhaftesten Erscheinung unserer Jugend,
der entgegengesetzten Art von ihm zu schreiben lernten.
diesem faszinierenden Anreger und gran animatore.
Jetzt gab es auf einmal eine Wiener Literatur. Er sagte
Wie mir erging es fast einer ganzen Generation. Nur
es so laut und so lange, bis es sogar die Wiener zu
daß es Menschen gibt, die von einer ersten Liebe nicht los¬
bemerken anfingen, daß Schnitzler, Beer=Hofmann, Hof¬
kommen und ihr treu bleiben. Und andere
mannsthal, Andrian und Peter Altenberg lebten und sogar
dichteten. Jetzt gab es eine österreichische Literatur: Bahr
Es war eine Liebe auf den ersten Blick. Als ich ihn das
entdeckte die „Provinz“. Jetzt gab es wieder ein Wiener
erstemal sah — in dem sagenumsponnenen Café Griensteidl —
Burg heater (das in den letzten Jahren zu einer norddeutschen
wußte ich, ohne daß es mir jemand sagte und ohne daß ich
Enklav. nit französischem Repertoire geworden war). Jetzt
je vorher ein Bild von ihm gesehen hatte, das ist Hermann
gab es eine Wiener Sezession. Die Kunst wurde zu einer
Bahr. Als ich das erste Buch von ihm las — es war der
Angelegenheit, über die sich die ganze Stadt aufregen durfte
Roman „Die gute Schule" in den grünen Heften der „Freien
Es gab den Kampf um Klimt, um Olbrich, um Burckhard,
Bühne —, wünschte ich, wenn ich Romane schreiben könnte
um Mahler. Und in jedem dieser Kämpfe war es Bahr, der
würde ich so schreiben.
gegen eine Welt kleiner Feindlinge, gegen eine unsichtbare
Es ist nicht zu sagen, welche Wirkung damals von Bahr
Camorra der Böswilligkeit nicht nachließ, bis sich eine
ausging, als er nach seinen wilden Wanderjahren von Berlin,
immer widerstrebende Gesellschaft, im guten oder im bösen,
Paris, Spanien, Rußland und wieder Berlin nach Wien
wenigstens vor der überlegenen Einmaligkeit dieser schöpfe¬
heimkehrte, um die in behaglichem Duseln sanft verduselte,
rischen Männer neigte.
süß dahinträumende Stadt aufzuwirbeln und sie aus dem
Das Geheimnis seiner Wirkung war, daß in dieser krit¬
allzu Oesterreichischen weg wieder Europa einzuverleiben.
telnden, aber eigentlich unkritischen Stadt ihr bester Kritiker
Die Wirkung war laut genug. Er trat nicht eben auf leisen
im Grunde auch kein Kritiker und keine kritische Natur,
Sohlen auf und bewies nicht die mindeste Scheu, an alle
sondern einer war, der zu aller Erscheinung ja sagen mußte.
heiligen Schläftigkeiten zu rühren. Er brachte das Bri¬
Dieser Mann ist in das Leben und in die Zeit, in der er
sämtlicher Revolutionen mit, die sich draußen in Literatur,
lebt, so leidenschaftlich verliebt, daß es den in allen Epochen
Kunst, Theater und Lebensgestaltung vorbereiteten, und ließ
der Kultur Behausten nicht eher ruht, als bis er die Super¬
es auf die schöne Schläferin Wien los. Die rieb sich verdutzt
lative der Vergangenheit, eifersüchtig fast in der Gegenwart
die Augen und tat mit. Weil nämlich der neue Freier nicht
wiedergefunden hat. Ist unsere Zeit nicht reich, schön und
bloß jung, fesch und elegant war, was in Wien nun einmal
stark genug, um ihren Dante, ihren Franziskus, ihren Nova¬
dazu gehört, nie fad, nie langweilig, immer amüsant, und
lis, und ihren Kleist hervorzubringen? Darf man sich durch
weil er nicht bloß graziöser schreiben, witziger reden konnte
die Nähe, bloß dadurch, daß unsere Dante, Franziskus, No¬
als alle anderen, sondern weil er sie mit der verwegenen
valis Kleist mitten unter uns wandeln und jene nicht, die
Frechheit anpackte, gegen die sie nun einmal alle wehrlos
Augen gegen ihre Größe verschließen lassen? Dieselben, die
sind. So möchte man sich den jungen Alcibiades vor¬
unsere Großen verkennen, wären auch blind an jenen vor¬
stellen, wie Bahr damals auftrat. Jeden Tag mit einer neuen
übergegangen. Und aus diesem Gefühl, dieser ehrfürchtigen
Ueberraschung, mit einer neuen Gaminerie, einem neuen
Sehnsucht nach dem Großen, die ihn lieber überschätzen als
Einfall, einer neuen Entdeckung, einer neuen Ueberwindung
verkennen läßt, ist Bahr zu dem fast sprichwörtlichen End¬
die Wiener verblüffend. Redend, schreibend, in einem auf¬
decker so vieler geworden.
regend neuen Ton voll Grazie und Elan, organisierend
Was geschah damals in der europäischen Kunst, in der
Zeitungen gründend, im Theater, in der Gesellschaft, aggressiv
europäischen Kultur, in der europäischen Seele, das nicht in
gegen alles Verkalkte im Wienertum, und mit einer jähen
Wien sein wirkendes Echo fand? Weil dieser unermüdliche
überrumpelnden Begeisterung ohnegleichen sich für alles Neue
der das Kommende erriet, witterte, beschrieb