VII, Verschiedenes 13, 1933–1934, Seite 11

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13. Miscellaneous
„OBSERVER
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WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
vom
.
Dan
gernder gewesen, der Selbstwiderspruch in Person zu müssen. Er hat einmal nicht unrichtig gesagt, Oberst
Tod
darum vielleicht echtester Deutscher. Indem er er habe „eigentlich stets dasselbe Buch geschrieben
der Belege.
bloß in verschiedenen Sprachen“. Dabei zwingt übera
sich aber stets rasch berichtigte, erkannte er das
er uns, mit seinen Augen zu sehen. Seine Ge¬
dauer¬
Unwandelbare in sich; indem er sich an nichts
Zu seinem siebzigsten Geburtstag am 19. Juli
stalten sind von vollendeter Griffigkeit. Jede hat
band, blieb er durch alle Untreue an seine Ver¬
ihr ganz besonderes Stilgepräge. Immer ist es
Von Paul Witto.
gangenheiten treu seinem Selbst, seiner sich
ihm darum zu tun, so etwas wie den richtigen
ständig erneuernden Erlebniskraft.
In allen deutschen Gauen kennt man Hermann
Tert des Lebens herzustellen.
Die Wandlung seiner politischen und künst¬
Bahr als Vortragsmeister. Schon seine Erschei¬
lerischen Anschauungen führte den deutschnatio¬
Am wenigsten sympathisch von seinen Romanen
nung fesselte: das monumentale, hochgestirnte
nalen Rechtsstudenten, der ein kleines Martyrium
ist „Die Hexe Druth", die etwas wie die Geschichte
Kopfgebirge mit den suchenden, fragenden, immer durchmachte, zum Freischärler und Verfechter der
der Ursachen des Unterganges Altösterreichs zei¬
nen sich zurechtfindenden Augen, der wallenden
französischen Dekadenz, zum Naturalismus, zur
gen möchte und in der es von unerfreulichen Er¬
Mähne und dem lang herabfallenden Silberbarte. Neuromantik und zum Expressionismus, schließlich
scheinungen wimmelt. Am schwächsten ist „Der
zur rechten Sachlichkeit. Bis ihm auf seine
Besonders gern erinnere ich mich eines Vor¬
inwendige Garten"; am anziehendsten, mitrei¬
trages kurz vor dem Weltkriege, in dem er über Wanderschaft durch nahezu die gesamte Geistes
sendsten, neben dem Schauspielerroman „Die
Wien sprechen wollte. Er gab auch wirklich eine welt nichts anderes mehr blieb, als, auf Tolstoi¬
Rahl“ und dem Künstlerroman „O Mensch!"
anziehende Charakteristik des Wienertums. Kei- Wegen, fromm zu werden, bis er fand, daß es
Plauderbüchern von bestechender Liebenswürdig¬
neswegs eine Lobeshymne. Er sagte damals von doch das allergescheiteste sei, Ruhe zu suchen in
keit und feinster Ironie, „Die Rotte Korah“. In
Vater aller Dinge. Und indem er seinen innerer
den Wienern eine Menge unerfreulicher Dinge
diesem Buche trifft Bahr mit spitzen Pfeilen un¬
sprach von ihrer Lässigkeit, ihrer Willensschwäche, Menschen wahrhaft kreuzigte, wurde er mit Got¬
zählige Male ins Schwarze. Es ist, mit seinem
ihrem Dornröschenschlaf, ihrer Unternehmungs¬ tes Hilfe Herr aller äußeren Anfechtungen. Schon
letzten, doch schwächeren Roman „Oesterreich in
in jungen Jahren wollte er „die Kunst als da¬
losigkeit, ihrem romantischen Dämmerungsmen
Ewigkeit", Bahrs wuchtigste Kritik der Zeitge¬
schentum, ihrem ewigen Zeithaben, aber auch von gemeinsame Werk des ganzen Volkes betrieben
schichte, bittere Kritik aller Kräfte, die in Oester¬
ihrer vornehmen Beschaulichkeit, ihrer gemüthaf= wissen, und zwar im Geiste der einzigen Ewigkeit
reich wie in Deutschland dafür sorgten, daß unser
nämlich des ewigen Wandels, in dem, wie alle
ten Wärme. Er tat das in spöttelnd anmutigen
angestammtes Wesen verfälscht, zersplittert und
und doch gleich darauf wieder wohlwollend lie= Natur, auch alle Kunst sich verjüngt.
zerrieben wurde.
benswerter und heiter behaglicher Art, die von
Bahrs Romane haben mit dieser Dichtungsar
Manche seiner vielen Bühnenstücke, vor allen
fern ein wenig an den alten Fontane erinnerte
im landläufigen Sinne wenig zu tun; sie haber
das anmutige Konzert", sind voll Glanz, Witz
Bahr, dieser rechte Oesterreicher von wunder¬
den Ehrgeiz, keine Romane zu sein. Sie besitzen
und Gemüt und gesättigt von Leben, Beobachtung
lichster Beweglichkeit des Geistes, vermittelte sei¬
keine spannende Handlung, gleichen dahinplät
und Erfahrung. Aber sie werfen zumeist nur sehr
nen Hörern in einem anregenden Sammelsurium
schernden Sommerbächen, die Begebenheiten sind
geschickt Probleme auf, ohne je sie zu lösen.
von Augenblickseindrücken das kennzeichnende
belanglos, nicht im mindesten erregend. Sie füh¬
Am höchsten steht er in seinen zahlreichen, ge¬
Aroma der Wiener Stadt. Und plötzlich schauten en keine schweren Gedankengänge, geben keine
seine Augen nicht mehr nach Wien, sondern zu den tüftelnde Psychologie, keine letzten geistigen Tie- haltvollen, stilschönen, wortmelodiösen Bekenntnis¬
büchern, von denen freilich die letzten, das vom
Menschen vor ihm, als habe er wahrgenommen
fen; dafür aber den Anschauungsreichtum eines in
„Expressionismus", in dem er recht kurzweilig von
die Wesenheiten des Menschlichen, Allzumensch¬
daß dieser und jener ihm mit Mißtrauen zuhöre
allem anderen, nur nicht vom Expressionismus
Flugs wechselte er sein Thema und sagte: man lichen Blickenden, eine Fülle von Geschautem und
redet, und „Labyrinth der Gegenwart die meisten
könne gewiß z. B. über Artur Schnitzler auch an
Erlebten, von gedanklichen Gesichtern. Sein reiz
früheren nicht voll erreichen, auch nicht die Tage¬
ders urteilen als er, denn eigentlich habe doch voller Plauderton ist auf tönende Schönheit der
bücher. In ihnen gibt Bahr wohl am meisten von
Form gestellt. Er redet unermüdlich, weil er
jeder recht, jeder einzelne für sich, von seinen
immer wieder von neuem hofft, sich doch endlich der Höhe und Klarheit seiner heutigen Weltbe¬
Standpunkte aus.
Bahr ist jahrzehntelang ein Suchender, an einmal aussprechen zu können. Das ist ihm wohl trachtung.
„Haben wir uns erst wieder", sagt er im „La¬
das Gefundene nie Gebundener, ein immer neu noch immer nicht ganz gelungen. Kein Wort sagt
Werdender, Wachsender, sich über sich Hinausstei= ihm genug, darum meint er, vieles dreimal sagen byrinth der Gegenwart", „hüben und drüben, einer