Das Lebenselirier der schwer¬
mütigen Gymnasiastin.
Die achtzehnjährige Pauty hat ihren Eltern während
der letzten zwei Jahre viel Sorgen bereitet. Das unge¬
wöhnlich hübsche Mädchen, hochgewachsen, hell¬
blond, von den Eltern verwöhnt, von den jungen Leuten
umschwärmt, litt an Schwermut. Bis zu ihrem sech¬
zehnten Jahr war sie ein lustiges, übermütiges Ding, im
Gymnasium wegen ihrer ausgelassenen Streiche bekannt, bei
jedem Schaberack dabei. Im Winter ein reizendes „Ski¬
haser!“, eine glänzende Eisläuferin, in der Tanzstunde eine
gefeierte junge Schönheit. Im Sommer an dem Salzkammer¬
gutsee, den ihre Eltern fast alljährlich besuchen, ebenfalls
ein Liebling der Gesellschaft, eine trainierte Schwim¬
merin und Bergsteigerin.
Dabei war sie aber keineswegs von einer Sport¬
monomanie besessen. Im Gegenteil, ihre Hauptleiden¬
chaft war Lektüre. Vor allem für Arthur Schnitzler
hegte sie eine schwärmerische Verehrung der von der
Nüchternheit und Sachlichkeit, die man der heutigen Jugend
oft nachsagt, nichts anzumerken war. Das hochbegabte
Mädchen hatte beinahe jede Zeile von Arthur Schnitzler
gelesen und bewahrte davon ein starkes seelisches Erlebnis.
Im Spätsommer 1931 traten bei ihr allmählich
Symptome einer seelischen Verdüsterung auf. Sie fand
an übermütiger Gesellschaft keinen Gefallen mehr, wurde ein¬
siedlerisch, weinte leicht und vergrub sich immer mehr in die
Lektüre ihres Lieblingsdichters. Als ihre Familie aus dem
Salzkammergut wieder nach Wien kam, war Pauly noch
schöner geworden, aber in ihrem Wesen nicht
wieder zu erkennen. Verschlossen, schweig¬
am, schwermütig. Die Eltern sahen sich genötigt,
einen Nervenarzt zu Rate zu ziehen, der Zerstreuung und
Ablenkung empfahl, ohne aber durch diese Methode
eine Besserung ihres Zustandes zu erzielen. Arthur
Schnitzlers Tod im Oktober 1931 bedeutete für Pauly
sie hatte den Dichter nicht persönlich gekannt — eine furcht
bare seelische Erschütterung. Mit seinem letzten Buch „Flucht
in die Finsternis trieb sie einen förmlichen Kult. Während
des Winters verschlimmerte sich ihr Zustand, sie wurde blaß,
verlor an Gewicht, in der Schule fiel ihre Arbeitsunlust und
Unaufmerksamkeit auf. Sport und gesellschaft¬
liche Veranstaltungen wurden ihr wider¬
wärtig.
Ein Selbstmordversuch.
Die geängstigten Eltern waren ratlos. Im Sommer ver¬
suchten sie durch eine größere Reise die Gemütskrankheit ihrer
Tochter zu heilen. Wieder ein Fehlschlag. Im Herbst be¬
ging Pauly einen Selbstmordversuch durch
Einatmen von Leuchtgas. Sie wurde in leichter Be¬
täubung aufgefunden, der peinliche Zwischenfall wurde ver
tuscht. Es war nicht möglich, von Pauly die Ursache ihres
Lebensberdrusses zu erfahren.
Seit etwa zwei Monaten aber ist Pauly wieder
das strahlende, lebensfrohe Geschöpf, wie sie
es bis vor zwei Jahren war. Und diese Verwandlung ist
das Verdienst eines erfahrenen Pädagogen und Jugend¬
beraters. Er riet Paulus Eltern, in der Lebensweise ihres
Kindes eine radikale Aenderung eintreten zu lassen. Anfang
Mai kam Pauly zu einer holländischen Bauernfamilie. Aber
nicht als Sommerfrischlerin, sondern als
Bauernmagd. Bei Morgengrauen aus dem Bett, abends
zeitig in die Federn, den ganzen Tag schwere landwirtschaft
liche Arbeit auf den Feldern und im Stall. Derbe,
kräftige Kost.
Schon nach zwei, drei Wochen besserte sich Paulys Zu
stand auffallend. Im Juni waren ihr kaum noch Krankheits¬
symptome anzumerken. Sie lachte und sang wieder
und war mit Feuereifer bei der Arbeit. Nur ganz selten
und immer schwächer kam die alte Verstimmung über sie.
An ihre Eltern schrieb sie glückstrahlende Briefe. Kürzlich
haben Paulys Eltern ihre Tochter besucht. Sie ist gesund,
frisch, lebensfroh, schöner als je. Ihr Selbstmord¬
versuch kommt ihr wie ein unverständlicher
böser Traum vor. Im Herbst wird sie mit wieder¬
gewonnener Nervenkraft in Wien ihre Studien fortsetzen.
Sie will nach Beendigung ihrer Gymnasialstudien Ger¬
manistik studieren. Ihrer Leidenschaft für Literatur und vor
allem ihrem Lieblingsdichter ist sie treu geblieben.
mütigen Gymnasiastin.
Die achtzehnjährige Pauty hat ihren Eltern während
der letzten zwei Jahre viel Sorgen bereitet. Das unge¬
wöhnlich hübsche Mädchen, hochgewachsen, hell¬
blond, von den Eltern verwöhnt, von den jungen Leuten
umschwärmt, litt an Schwermut. Bis zu ihrem sech¬
zehnten Jahr war sie ein lustiges, übermütiges Ding, im
Gymnasium wegen ihrer ausgelassenen Streiche bekannt, bei
jedem Schaberack dabei. Im Winter ein reizendes „Ski¬
haser!“, eine glänzende Eisläuferin, in der Tanzstunde eine
gefeierte junge Schönheit. Im Sommer an dem Salzkammer¬
gutsee, den ihre Eltern fast alljährlich besuchen, ebenfalls
ein Liebling der Gesellschaft, eine trainierte Schwim¬
merin und Bergsteigerin.
Dabei war sie aber keineswegs von einer Sport¬
monomanie besessen. Im Gegenteil, ihre Hauptleiden¬
chaft war Lektüre. Vor allem für Arthur Schnitzler
hegte sie eine schwärmerische Verehrung der von der
Nüchternheit und Sachlichkeit, die man der heutigen Jugend
oft nachsagt, nichts anzumerken war. Das hochbegabte
Mädchen hatte beinahe jede Zeile von Arthur Schnitzler
gelesen und bewahrte davon ein starkes seelisches Erlebnis.
Im Spätsommer 1931 traten bei ihr allmählich
Symptome einer seelischen Verdüsterung auf. Sie fand
an übermütiger Gesellschaft keinen Gefallen mehr, wurde ein¬
siedlerisch, weinte leicht und vergrub sich immer mehr in die
Lektüre ihres Lieblingsdichters. Als ihre Familie aus dem
Salzkammergut wieder nach Wien kam, war Pauly noch
schöner geworden, aber in ihrem Wesen nicht
wieder zu erkennen. Verschlossen, schweig¬
am, schwermütig. Die Eltern sahen sich genötigt,
einen Nervenarzt zu Rate zu ziehen, der Zerstreuung und
Ablenkung empfahl, ohne aber durch diese Methode
eine Besserung ihres Zustandes zu erzielen. Arthur
Schnitzlers Tod im Oktober 1931 bedeutete für Pauly
sie hatte den Dichter nicht persönlich gekannt — eine furcht
bare seelische Erschütterung. Mit seinem letzten Buch „Flucht
in die Finsternis trieb sie einen förmlichen Kult. Während
des Winters verschlimmerte sich ihr Zustand, sie wurde blaß,
verlor an Gewicht, in der Schule fiel ihre Arbeitsunlust und
Unaufmerksamkeit auf. Sport und gesellschaft¬
liche Veranstaltungen wurden ihr wider¬
wärtig.
Ein Selbstmordversuch.
Die geängstigten Eltern waren ratlos. Im Sommer ver¬
suchten sie durch eine größere Reise die Gemütskrankheit ihrer
Tochter zu heilen. Wieder ein Fehlschlag. Im Herbst be¬
ging Pauly einen Selbstmordversuch durch
Einatmen von Leuchtgas. Sie wurde in leichter Be¬
täubung aufgefunden, der peinliche Zwischenfall wurde ver
tuscht. Es war nicht möglich, von Pauly die Ursache ihres
Lebensberdrusses zu erfahren.
Seit etwa zwei Monaten aber ist Pauly wieder
das strahlende, lebensfrohe Geschöpf, wie sie
es bis vor zwei Jahren war. Und diese Verwandlung ist
das Verdienst eines erfahrenen Pädagogen und Jugend¬
beraters. Er riet Paulus Eltern, in der Lebensweise ihres
Kindes eine radikale Aenderung eintreten zu lassen. Anfang
Mai kam Pauly zu einer holländischen Bauernfamilie. Aber
nicht als Sommerfrischlerin, sondern als
Bauernmagd. Bei Morgengrauen aus dem Bett, abends
zeitig in die Federn, den ganzen Tag schwere landwirtschaft
liche Arbeit auf den Feldern und im Stall. Derbe,
kräftige Kost.
Schon nach zwei, drei Wochen besserte sich Paulys Zu
stand auffallend. Im Juni waren ihr kaum noch Krankheits¬
symptome anzumerken. Sie lachte und sang wieder
und war mit Feuereifer bei der Arbeit. Nur ganz selten
und immer schwächer kam die alte Verstimmung über sie.
An ihre Eltern schrieb sie glückstrahlende Briefe. Kürzlich
haben Paulys Eltern ihre Tochter besucht. Sie ist gesund,
frisch, lebensfroh, schöner als je. Ihr Selbstmord¬
versuch kommt ihr wie ein unverständlicher
böser Traum vor. Im Herbst wird sie mit wieder¬
gewonnener Nervenkraft in Wien ihre Studien fortsetzen.
Sie will nach Beendigung ihrer Gymnasialstudien Ger¬
manistik studieren. Ihrer Leidenschaft für Literatur und vor
allem ihrem Lieblingsdichter ist sie treu geblieben.