13.
Miscellaneous
box 44/6
sie Zeitung Innsbruck.
5. AUG.
Nr. 177. Seite 5.
„Neueste Zeitung"
die beste Medizin.
Rückkehr zur Natur
Wunderbare Heilung einer schwermütigen Gymnasiastin durch Bauernarbeit.
sich ihr Zustand, sie wurde blaß, verlor an Gewicht, in der
Ueber die merkwürdigen seelischen Wandlungen eines
verwöhnten jungen Mädchens lesen wir in der „N. Fr.
Schule fiel ihre Arbeitsunlust und Unaufmerksamkeit auf. Sport
Pr." folgende interessante Schilderung:
und gesellschaftliche Veranstaltungen wurden ihr wider¬
wärtig.
Die achtzehnjährige Pauly hat ihren Eltern während der
Ein Selbstmordversuch.
letzten zwei Jahre viel Sorgen bereitet. Das ungewöhn¬
lich hübsche Mädchen, hochgewachsen, hellblond, von den
Die geängstigten Eltern waren ratlos. Im Sommer ver¬
Eltern verwöhnt, von den jungen Leuten umschwärmt, litt
suchten sie durch eine größere Reise die Gemütskrankheit ihrer
an Schwermut. Bis zu ihrem sechzehnten Jahr war sie ein
Tochter zu heilen. Wieder ein Fehlschlag. Im Herbst beging
lustiges, übermütiges Ding, im Gymnasium wegen ihrer aus¬
Pauly einen Selbstmordversuch durch Einatmen von Leucht¬
gelassenen Streiche bekannt, bei jedem Schaberack dabei. Im
gas. Sie wurde in leichter Betäubung aufgefunden, der pein¬
Winter ein reizendes „Skihaser!", eine glänzende Eisläuferin,
liche Zwischenfall wurde vertuscht. Es war nicht möglich, von
in der Tanzstunde eine gefeierte junge Schönheit. Im Sommer
Pauly die Ursache ihres Lebensberdrusses zu erfahren.
an dem Salzkammergutsee, den ihre Eltern fast alljährlich be¬
Seit etwa zwei Monaten aber ist Pauly wieder das strah¬
suchen, ebenfalls ein Liebling der Gesellschaft, eine trainierte
lende, lebensfrohe Geschöpf, wie sie es vor zwei
Schwimmerin und Bergsteigerin.
Jahren war. Und diese Wandlung ist das Verdienst eines er¬
Dabei war sie aber keineswegs von einer Sportmonomanie
fahrenen Pädagogen und Jugendberaters. Er riet Paulys
besessen. Im Gegenteil, ihre Hauptleidenschaft war
Eltern, in der Lebensweise ihres Kindes eine radikale Aende¬
Lektüre. Vor allem für Arthur Schnitzler hegte sie eine
rung eintreten zu lassen. Anfang Mai kam Pauly zu einer hol¬
schwärmerische Verehrung, der von der Nüchternheit und Sach¬
ländischen Bauernfamilie.
lichkeit, die man der heutigen Jugend oft nachsagt, nichts an¬
Aber nicht als Sommerfrischlerin, sondern als Bauern¬
zumerken war. Das hochbegabte Mädchen hatte beinahe jede
Zeile von Arthur Schnitzler gelesen und bewahrte davon ein
magd. Bei Morgengrauen aus dem Bett, abends zeitig in
starkes seelisches Erlebnis.
die Federn, den ganzen Tag schwere landwirtschaftliche Ar¬
Im Spätsommer 1931 traten bei ihr allmählich Symptome
beit auf den Feldern und im Stall. Derbe, kräftige Kost.
einer seelischen Verdüsterung auf. Sie fand an über¬
Schon nach zwei, drei Wochen besserte sich Paulys Zustand
mütiger Gesellschaft keinen Gefallen mehr, wurde einsiedlerisch,
auffallend. Im Juni waren ihr kaum noch Krankheitssymptome
weinte leicht und vergrub sich immer mehr in die Lektüre ihres
anzumerken. Sie lachte und sang wieder und war mit
Lieblingsdichters. Als ihre Familie aus dem Salzkammergut
Feuereifer bei der Arbeit. Nur ganz selten und immer schwä¬
wieder nach Wien kam, war Pauly noch schöner geworden,
cher kam die alte Verstimmung über sie. An ihre Eltern schrieb
aber in ihrem Wesen nicht wieder zu erkennen. Ver¬
sie glückstrahlende Briefe. Kürzlich haben Paulys Eltern ihre
schlossen, schweigsam, schwermütig. Die Eltern sahen sich ge¬
Tochter besucht. Sie ist gesund, frisch, lebensfroh, schöner als je.
nötigt, einen Nervenarzt zu Rate zu ziehen, der Zerstreuung
Ihr Selbstmordversuch kommt ihr wie eine unverständ¬
und Ablenkung empfahl, ohne aber durch diese Methode eine
licher böser Traum vor. Im Herbst wird sie mit wieder¬
Besserung ihres Zustandes zu erzielen. Arthur Schnitzlers Tod
gewonnener Nervenkraft in Wien ihre Studien fortsetzen. Sie
im Oktober 1931 bedeutete für Pauly — sie hatte den Dichter
will nach Beendigung ihrer Gymnasialstudien Germanistik
nicht persönlich gekannt — eine furchtbare seelische Erschütte¬
studieren. Ihrer Leidenschaft für Literatur und vor allem für
rung. Mit seinem letzten Buch „Flucht in die Finsternis trieb
ihren Lieblingsdichter ist sie treu geblieben.
sie einen förmlichen Kult. Während des Winters verschlimmerte
Miscellaneous
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sie Zeitung Innsbruck.
5. AUG.
Nr. 177. Seite 5.
„Neueste Zeitung"
die beste Medizin.
Rückkehr zur Natur
Wunderbare Heilung einer schwermütigen Gymnasiastin durch Bauernarbeit.
sich ihr Zustand, sie wurde blaß, verlor an Gewicht, in der
Ueber die merkwürdigen seelischen Wandlungen eines
verwöhnten jungen Mädchens lesen wir in der „N. Fr.
Schule fiel ihre Arbeitsunlust und Unaufmerksamkeit auf. Sport
Pr." folgende interessante Schilderung:
und gesellschaftliche Veranstaltungen wurden ihr wider¬
wärtig.
Die achtzehnjährige Pauly hat ihren Eltern während der
Ein Selbstmordversuch.
letzten zwei Jahre viel Sorgen bereitet. Das ungewöhn¬
lich hübsche Mädchen, hochgewachsen, hellblond, von den
Die geängstigten Eltern waren ratlos. Im Sommer ver¬
Eltern verwöhnt, von den jungen Leuten umschwärmt, litt
suchten sie durch eine größere Reise die Gemütskrankheit ihrer
an Schwermut. Bis zu ihrem sechzehnten Jahr war sie ein
Tochter zu heilen. Wieder ein Fehlschlag. Im Herbst beging
lustiges, übermütiges Ding, im Gymnasium wegen ihrer aus¬
Pauly einen Selbstmordversuch durch Einatmen von Leucht¬
gelassenen Streiche bekannt, bei jedem Schaberack dabei. Im
gas. Sie wurde in leichter Betäubung aufgefunden, der pein¬
Winter ein reizendes „Skihaser!", eine glänzende Eisläuferin,
liche Zwischenfall wurde vertuscht. Es war nicht möglich, von
in der Tanzstunde eine gefeierte junge Schönheit. Im Sommer
Pauly die Ursache ihres Lebensberdrusses zu erfahren.
an dem Salzkammergutsee, den ihre Eltern fast alljährlich be¬
Seit etwa zwei Monaten aber ist Pauly wieder das strah¬
suchen, ebenfalls ein Liebling der Gesellschaft, eine trainierte
lende, lebensfrohe Geschöpf, wie sie es vor zwei
Schwimmerin und Bergsteigerin.
Jahren war. Und diese Wandlung ist das Verdienst eines er¬
Dabei war sie aber keineswegs von einer Sportmonomanie
fahrenen Pädagogen und Jugendberaters. Er riet Paulys
besessen. Im Gegenteil, ihre Hauptleidenschaft war
Eltern, in der Lebensweise ihres Kindes eine radikale Aende¬
Lektüre. Vor allem für Arthur Schnitzler hegte sie eine
rung eintreten zu lassen. Anfang Mai kam Pauly zu einer hol¬
schwärmerische Verehrung, der von der Nüchternheit und Sach¬
ländischen Bauernfamilie.
lichkeit, die man der heutigen Jugend oft nachsagt, nichts an¬
Aber nicht als Sommerfrischlerin, sondern als Bauern¬
zumerken war. Das hochbegabte Mädchen hatte beinahe jede
Zeile von Arthur Schnitzler gelesen und bewahrte davon ein
magd. Bei Morgengrauen aus dem Bett, abends zeitig in
starkes seelisches Erlebnis.
die Federn, den ganzen Tag schwere landwirtschaftliche Ar¬
Im Spätsommer 1931 traten bei ihr allmählich Symptome
beit auf den Feldern und im Stall. Derbe, kräftige Kost.
einer seelischen Verdüsterung auf. Sie fand an über¬
Schon nach zwei, drei Wochen besserte sich Paulys Zustand
mütiger Gesellschaft keinen Gefallen mehr, wurde einsiedlerisch,
auffallend. Im Juni waren ihr kaum noch Krankheitssymptome
weinte leicht und vergrub sich immer mehr in die Lektüre ihres
anzumerken. Sie lachte und sang wieder und war mit
Lieblingsdichters. Als ihre Familie aus dem Salzkammergut
Feuereifer bei der Arbeit. Nur ganz selten und immer schwä¬
wieder nach Wien kam, war Pauly noch schöner geworden,
cher kam die alte Verstimmung über sie. An ihre Eltern schrieb
aber in ihrem Wesen nicht wieder zu erkennen. Ver¬
sie glückstrahlende Briefe. Kürzlich haben Paulys Eltern ihre
schlossen, schweigsam, schwermütig. Die Eltern sahen sich ge¬
Tochter besucht. Sie ist gesund, frisch, lebensfroh, schöner als je.
nötigt, einen Nervenarzt zu Rate zu ziehen, der Zerstreuung
Ihr Selbstmordversuch kommt ihr wie eine unverständ¬
und Ablenkung empfahl, ohne aber durch diese Methode eine
licher böser Traum vor. Im Herbst wird sie mit wieder¬
Besserung ihres Zustandes zu erzielen. Arthur Schnitzlers Tod
gewonnener Nervenkraft in Wien ihre Studien fortsetzen. Sie
im Oktober 1931 bedeutete für Pauly — sie hatte den Dichter
will nach Beendigung ihrer Gymnasialstudien Germanistik
nicht persönlich gekannt — eine furchtbare seelische Erschütte¬
studieren. Ihrer Leidenschaft für Literatur und vor allem für
rung. Mit seinem letzten Buch „Flucht in die Finsternis trieb
ihren Lieblingsdichter ist sie treu geblieben.
sie einen förmlichen Kult. Während des Winters verschlimmerte