VII, Verschiedenes 13, 1933–1934, Seite 29

13.
Miscellaneous
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verschließen sollte. Der erste heißt: Es gibt keine guten Neu¬
heiten oder, wie es die Direktion ausdrückt: „Viel Spreu und
wenig Weizen!" Dem ist nicht ganz so: Nur gehört freilich
Entdeckerfreude und talent dazu, die gar nicht so seltene
Weizenkörner in der Spreu aufzuspüren. Allerdings noch
etwas Drittes gehört dazu: Zeit, sogar sehr viel Zeit, um aus
der Fülle der zu lesenden Stücke den Weizen auszusondern.
Und wenn die ersten beiden Vorbedingungen bei der Direktion
sicherlich vorhanden sind, an der letzten dürfte es ihr begreif¬
lichrweise umso empfindlicher mangeln, als sie ja tatsächlich
erst seit einer Woche wieder besteht.
Ein weiterer Trugschluß wäre es, das Provinztheater¬
Repertoire von Großstadterfolgen bestimmen zu lassen, und
zwar deshalb, weil in überwiegenden Fällen diese Erfolge
nicht solche des Werkes, sondern der jeweils ausgesuchten
individuellen Darstellung sind, während der Provinzdirektor
mit einem ständigen Ensemble zu rechnen hat. In diesem Zu¬
sammenhange sei erwähnt, daß die Entscheidung zwischen
Werfel und Schreyvogel selbstverständlich zugunsten des Erste¬
ren fallen müßte.
Eine andere Frage ist es, ob die mutigen und löblichen
Pläne der Direktion auch alle ausführbar sein werden, bei der
Kargheit der finanziellen Unterstützung durch Stadt
und Land, die im allgemeinen ja nur im Nachlassen oder
Streichen von Forderungen und Abgaben besteht. (Hierher
gehört z. B. die nahezu unbegreifliche „Abnützungsgebühr
für einen wahrscheinlich schon längst amortisierten Kostüm¬
fundus.)
Die Erhaltung einer Schaubühne ist eine
Kulturaufgabe, nicht zuletzt auch im nationalen Sinne,
und ihre Vernachlässigung eine verhängnisvolle Kurzsichtig
keit. Gibt es nicht zu denken, daß gerade jene Städte Öster¬
reichs, die ihre Theater verloren haben, wie z. B. Klagen¬
furt, Baden bei Wien, St. Pölten, Krems und Leoben, heute
die allerstärksten Brandherde politischer Verhetzung geworden
sind? Nicht nur am einzelnen Theaterbesucher, nicht nur an
privaten Organisationen wie Theatergemeinden, vor allem an
den maßgebenden Körperschaften in Stadt und Land liegt es,
positiv fördernd und gebefreudig mitzuwirken an der
Erhaltung eines österreichischen Theaters.
Und nun zuletzt — doch nicht als Letztes -
sei noch ein
Wunsch ausgesprochen: Im Vorjahre waren hie und da Ge¬
rüchte aufgetaucht, die von bestimmten politischen Strömungen
im hiesigen Theaterbetriebe zu erzählen wußten; Gerüchte, die
sich besonders um ein Mitglied verdichteten, das auch heuer
dem Ensemble angehört. Bodenständige österreichische Kunst
kann nur von solchen Künstlern mit Überzeugung gepflegt
werden, die ihrer österreichischen Heimat die Treue halten.
Möge daher jeder Mitwirkende dessen eingedenk sein, daß er
außer seiner künstlerischen Sendung gerade in diesen
Zeiten vor allem auch eine vaterländische zu erfüllen
hat: nämlich die, ein österreichischer Schauspieler
zu sein!
Das Schlußkonzert des Bad Ischler Künstler=Quartetts fand
Samstag abends im dichtgedrängten und vollbesetzten kleinen Kur¬
haussaal vor musik= und beifallsbegeisterten Besuchern statt. Die
Künstler übertrafen bei diesem Schlußkonzert sozusagen sich selbst, in


RATIS
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Neue Freie Presse.
vom
27. SEP. 195
(Amerika liest.) Mr. B. W. Huebsch, Mitinhaber und
literarischer Leiter der „Viking Preß, eines der führenden
Newyorker Verlagshäuser, erzählt anläßlich seines Wiener Auf¬
enthaltes: „Was wir am liebsten lesen? Gute amerikanische und
die beste europäische Literatur. Wir verhehlen uns gewiß nicht,
daß unsere eigene Dichtung auf den Schultern der europäischen
steht, aber heute, in der zweiten literarischen Generation, haben
wir schon unsere modernen Klassiker: Theodore Dreiser, Sinclair
Lewis, Sherwood Anderson; und auf der Bühne Eugene ONeill.
Dreiser hat sich bis zum wahrhaften Volkserfolg seiner „Amerika¬
nischen Tragödie" nur Schritt vor Schritt durchgesetzt. Zunächst
eigentlich mehr durch einen charakteristischen Verlegerzufall:
Sein Frühwerk „Schwester Carrie" war eine Zeitlang auf Be¬
treiben der — Gattin seines Verlegers wegen angeblicher Anstößig¬
heit aus dem Buchhandel gezogen. Dies machte den Dichter (völlig
ohne sein Zutun) zum Märtyrer und alles schrie nach seinen
Werken. Aber neben diesen literarischen Bötern gibt sich in letzter
Zeit eine höchst erfreuliche literarische Jugend kund, dritte
Generation also. Sie stammt fast durchwegs aus den Südstaaten
und atmet deren, wie man heute sagt, Erdgeruch. Ein literarisches
Abenteurertum lebt in diesen Jungen, diesen Falkner, Cald¬
well usw. — Deutsche und österreichische Literatur in Amerika?
Mein erster deutscher Autor war Anno 1905 der Wiener Arzt
Feuchtersleben mit seiner „Diätetik der Seele". Dann kam Suder¬
manns „Hohes Lied", und damit hielt ich bei den Naturalisten.
Ich hatte die Ehre, Gerhart Hauptmanns ganzes Oeuvre dem
amerikanischen Publikum zu vermitteln. Mehreren meiner
Kollegen wurde die gleiche Auszeichnung durch die Werke Ihres
und die Romane
viel zu früh dahingegangenen
Jakob Wassermanns zuteil. Heute gewinn Franz Werfel drüben
von Jahr zu Jahr mehr Anhänger. Besonders gefallen auch meinen
Landsleuten die Tiergeschichten Felix Saltens und die Tier¬
bücher Paul Eippers. Aber ein hervorragendes Interesse gilt, wie
auch auf dem Kontinent, seit einer Reihe von Jahren der modernen
Biographik, und seit Stracheys Tod ringen bei uns André
Maurois und Stefan Zweig um die Palme. — Amerikanische
Buchpropaganda und Vertriebsmethoden? Gewiß, es tauchen
immer wieder Leute auf, die beredsamst dartun, nur dieser und
jener phantastisch aufgeputzte Bücherwagen, dieses Büchergewinst¬
Preisausschreiben oder jener Sprechchor: Kennen Sie schon
X Y's neuestes Werk, sei der einzige Weg ins Verleger¬
paradies. Man gibt das eine oder andere Mal nach — schließlich
muß man ja auf irgendeine Weise sein Geld verlieren. Aber glauben
Sie, bitte, nicht, daß alles wirklich amerikanisch ist, was man
dafür ausgibt. Und wundern Sie sich nicht, aus dem Munde eines
Amerikaners zu hören: Für den Artikel „Buch“ bekenne ich
mich letzten Endes zum Ausspruch jenes alten Forsyte: Gute
Mare empfiehlt sich von selbst.
V. P.