13.
Miscellaneous
box 447
.
— Herr Kommerzialrat Julius
Zentralfriedhof, erstes Tor).
Herzberg zeigt den Tod seiner Gattin an, die nach langem,
schwerem Leiden gestorben ist. (Begräbnis erfolgt in aller Stille.
(Richtigstellung.) In dem Feuilleton von Marie Herz¬
feld „Die „Corona“=Schriften", das wir in der Nummer vom 9. d.
veröffentlicht haben, soll es Spalte zwei, Zeile 18, richtig heißen:
„Goethes Künstler wallen"; Spalte drei, Zeile drei: „Wenn er
stürbe.
Hermann Bahr.
Wien, 16. Januar.
Hermann Bahr ist gestern abend in München ge¬
storben. So erschütternd die Nachricht von seinem Hinscheiden
auf alle wirkt, die ihn gekannt und geliebt haben, sie mutet
beinahe versöhnlich an gegenüber jener Meldung, die vor
wenigen Wochen aus München kam und die davon sprach,
daß dieser Mann der steten Bewegung und Beweglichkeit,
Aneiferer und Befeuerer, Führer und Wegebereiter, zu lang¬
wierigem Siechtum, zu einem dumpfen, seiner selbst und der
Umwelt nicht bewußten Dahinwegetieren verurteilt sei. Un¬
faßbar ist es gewesen, daß Hermann Bahrs Lebensabend dem
eines bedauernswerten, seiner Vernunft beraubten, teil¬
nahmslos vor sich hinstierenden Kranken gleichen sollte. So
wird denn der Tod Hermann Bahrs ihm und uns zur Er¬
lösung. Kein Zufall, daß man den Nachschlagewerken mi߬
traut, die von ihm zu berichten wissen, daß er zweiundsiebzig
Jahre alt geworden sei. Die billige Nekrologphrase von der
ewigen Jugend, die ihm die Götter geschenkt hätten, wäre
fehl am Platz. Er selbst hat auf die Stürme seiner Jugend
mit einem abgeklärten, ein wenig ironischen Lächeln zurück¬
geschaut und sich schon seit Jahrzehnten mit besonderer Vor¬
liebe in der Rolle des Patriarchen gefallen, der mit nie ver¬
lagendem Interesse und vom Herzen kommender Teilnahme
die Aufsteigenden und die Werdenden auf ihren ver¬
schlungenen Lebenspfaden begleitete und behütete. Hermann
Bahr selbst aber ist insofern ein Junger geblieben, als er sich
bis zuletzt, bis zu seiner schweren Erkrankung jene Auf¬
nahmsfähigkeit und Aufnahmsbereitschaft für Menschen und
Ideen gewahrt hat, die ihn zu einer einzig dastehenden Er¬
scheinung in unserem Geistes- und Kulturleben gestempelt
hat, auch wenn der Dichter und Essayist nicht selbst von einer
wahrhaft staunenswerten Produktivität gewesen wäre.
Was hat man über Hermann Bahrs Wandlungen und Be¬
kehrungen gelächelt und gespöttelt! Wie oft hat man seine Ueber¬
zeugungstreue, die Echtheit seiner Begeisterung angezweifelt!
Mit Unrecht. Hermann Bahr hat zu allen Zeiten an das ge¬
glaubt, für was er sich begeisterte. Er hat den Mut gehabt,
seine Irrtümer öffentlich einzugestehen und von Ent¬
täuschungen unbeirrt, neue Wege einzuschlagen. Wer Her¬
mann Bahrs Wirkung auf eine ganze Generation verstehen
will, der muß sich jene Zeit vergegenwärtigen, in der Oester¬
reich geistig unendlich viel weiter von Westeuropa entfernt zu
sein schien, als es seiner geographischen Lage entsprach. Da
kam der junge Hermann Bahr aus Paris, wo er neue Ge¬
danken in sich aufgenommen hatte, für neue Dichter ge¬
schwärmt hatte, von neuen, hier unbekannten Schauspielern
in Ekstasen versetzt worden war. In Wien aber herrschte un¬
gestörte, ein wenig selbstgefällige Ruhe. Es war nicht gerade
ein Sumpf. Wohl aber stilles, unbewegtes Brachwasser, das
Hermann Bahr zu hochgehenden Wogen aufpeitschte. Daß er
im Widerspruch gegen die Schwerfälligen und die Be¬
harrenden, die Lobredner vergangener Tage, die selbstsicheren
Beherrscher des literarischen und künstlerischen Geschmackes
gelegentlich des Guten zu viel tat, daß ihm das épater le
bourgeois, den Spießbürger verblüffen, zur Hauptsache und
zum Selbstzweck wurde, gehört auf ein anderes Blatt. Aber
rückschauend wird man heute erkennen, daß eine Erscheinung
wie Hermann Bahr. Aufrührer und Rebell, für unsere geistige
Weiterentwicklung eine Notwendigkeit gewesen ist und ein
Segen zugleich.
Dieser Jüngling, dessen Lebensschmerz es bildete, nicht
auf den Pariser Boulevards geboren zu sein, kam aus Linz.
Sohn einer ehrenfesten, angesehenen bürgerlichen Patrizier¬
familie. Der Vater ein gesinnungstreuer, liberaler Politiker,
der sich in der oberösterreichischen Landesstube um das
Gedeihen seiner engeren Heimat ungemein verdient gemacht
hatte. Natürlich war der junge Bahr sofort ein wütender
Antiliberaler, Schönerianer von reinstem Wasser, Korn¬
blumenschwärmer und überzeugter Antisemit. Er war einer
der ersten, welche die Burschenschaft, der sie angehörten, ins
radikale Fahrwasser hinüberführten. Der „Albia gehörten
damals Hermann Bahr und — Theodor Herzl an. Wütende
Antipoden und persönliche Gegner. Was nicht ausschloß, daß
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— Herr Kommerzialrat Julius
Zentralfriedhof, erstes Tor).
Herzberg zeigt den Tod seiner Gattin an, die nach langem,
schwerem Leiden gestorben ist. (Begräbnis erfolgt in aller Stille.
(Richtigstellung.) In dem Feuilleton von Marie Herz¬
feld „Die „Corona“=Schriften", das wir in der Nummer vom 9. d.
veröffentlicht haben, soll es Spalte zwei, Zeile 18, richtig heißen:
„Goethes Künstler wallen"; Spalte drei, Zeile drei: „Wenn er
stürbe.
Hermann Bahr.
Wien, 16. Januar.
Hermann Bahr ist gestern abend in München ge¬
storben. So erschütternd die Nachricht von seinem Hinscheiden
auf alle wirkt, die ihn gekannt und geliebt haben, sie mutet
beinahe versöhnlich an gegenüber jener Meldung, die vor
wenigen Wochen aus München kam und die davon sprach,
daß dieser Mann der steten Bewegung und Beweglichkeit,
Aneiferer und Befeuerer, Führer und Wegebereiter, zu lang¬
wierigem Siechtum, zu einem dumpfen, seiner selbst und der
Umwelt nicht bewußten Dahinwegetieren verurteilt sei. Un¬
faßbar ist es gewesen, daß Hermann Bahrs Lebensabend dem
eines bedauernswerten, seiner Vernunft beraubten, teil¬
nahmslos vor sich hinstierenden Kranken gleichen sollte. So
wird denn der Tod Hermann Bahrs ihm und uns zur Er¬
lösung. Kein Zufall, daß man den Nachschlagewerken mi߬
traut, die von ihm zu berichten wissen, daß er zweiundsiebzig
Jahre alt geworden sei. Die billige Nekrologphrase von der
ewigen Jugend, die ihm die Götter geschenkt hätten, wäre
fehl am Platz. Er selbst hat auf die Stürme seiner Jugend
mit einem abgeklärten, ein wenig ironischen Lächeln zurück¬
geschaut und sich schon seit Jahrzehnten mit besonderer Vor¬
liebe in der Rolle des Patriarchen gefallen, der mit nie ver¬
lagendem Interesse und vom Herzen kommender Teilnahme
die Aufsteigenden und die Werdenden auf ihren ver¬
schlungenen Lebenspfaden begleitete und behütete. Hermann
Bahr selbst aber ist insofern ein Junger geblieben, als er sich
bis zuletzt, bis zu seiner schweren Erkrankung jene Auf¬
nahmsfähigkeit und Aufnahmsbereitschaft für Menschen und
Ideen gewahrt hat, die ihn zu einer einzig dastehenden Er¬
scheinung in unserem Geistes- und Kulturleben gestempelt
hat, auch wenn der Dichter und Essayist nicht selbst von einer
wahrhaft staunenswerten Produktivität gewesen wäre.
Was hat man über Hermann Bahrs Wandlungen und Be¬
kehrungen gelächelt und gespöttelt! Wie oft hat man seine Ueber¬
zeugungstreue, die Echtheit seiner Begeisterung angezweifelt!
Mit Unrecht. Hermann Bahr hat zu allen Zeiten an das ge¬
glaubt, für was er sich begeisterte. Er hat den Mut gehabt,
seine Irrtümer öffentlich einzugestehen und von Ent¬
täuschungen unbeirrt, neue Wege einzuschlagen. Wer Her¬
mann Bahrs Wirkung auf eine ganze Generation verstehen
will, der muß sich jene Zeit vergegenwärtigen, in der Oester¬
reich geistig unendlich viel weiter von Westeuropa entfernt zu
sein schien, als es seiner geographischen Lage entsprach. Da
kam der junge Hermann Bahr aus Paris, wo er neue Ge¬
danken in sich aufgenommen hatte, für neue Dichter ge¬
schwärmt hatte, von neuen, hier unbekannten Schauspielern
in Ekstasen versetzt worden war. In Wien aber herrschte un¬
gestörte, ein wenig selbstgefällige Ruhe. Es war nicht gerade
ein Sumpf. Wohl aber stilles, unbewegtes Brachwasser, das
Hermann Bahr zu hochgehenden Wogen aufpeitschte. Daß er
im Widerspruch gegen die Schwerfälligen und die Be¬
harrenden, die Lobredner vergangener Tage, die selbstsicheren
Beherrscher des literarischen und künstlerischen Geschmackes
gelegentlich des Guten zu viel tat, daß ihm das épater le
bourgeois, den Spießbürger verblüffen, zur Hauptsache und
zum Selbstzweck wurde, gehört auf ein anderes Blatt. Aber
rückschauend wird man heute erkennen, daß eine Erscheinung
wie Hermann Bahr. Aufrührer und Rebell, für unsere geistige
Weiterentwicklung eine Notwendigkeit gewesen ist und ein
Segen zugleich.
Dieser Jüngling, dessen Lebensschmerz es bildete, nicht
auf den Pariser Boulevards geboren zu sein, kam aus Linz.
Sohn einer ehrenfesten, angesehenen bürgerlichen Patrizier¬
familie. Der Vater ein gesinnungstreuer, liberaler Politiker,
der sich in der oberösterreichischen Landesstube um das
Gedeihen seiner engeren Heimat ungemein verdient gemacht
hatte. Natürlich war der junge Bahr sofort ein wütender
Antiliberaler, Schönerianer von reinstem Wasser, Korn¬
blumenschwärmer und überzeugter Antisemit. Er war einer
der ersten, welche die Burschenschaft, der sie angehörten, ins
radikale Fahrwasser hinüberführten. Der „Albia gehörten
damals Hermann Bahr und — Theodor Herzl an. Wütende
Antipoden und persönliche Gegner. Was nicht ausschloß, daß