VII, Verschiedenes 13, 1933–1934, Seite 56

13.
Miscellaneous
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und
7. MRZ
Die neue gute alte Zeit
Es geht den Epochen genau wie den Moden
und den Menschen: sie treten an, mit Neugierde
empfangen, mit Begeisterung begrüßt wer¬
den zur Gewohnheit, gelangen ins Ausgedinge,
müssen sich als antiquiert belächeln lassen, bis
sie sterben und vergehen und dann unter der
Gloriole der Erinnerung, der verschönernden
Patina des pietätvollen Gedenkens wieder¬
erweckt werden.
Das Fin de siècle ist jetzt an der Reihe,
solche Urstand zu feiern. Wir blicken rück
und finden, daß es doch schön gewesen und
daß uns under hastiger jagender Fortschritt
ins gepriesene XX. Jahrhundert nur eben in
der Zeit viel weiter gebracht hat.
Es war natürlich Aufgabe des Films, den
Reiz jener Zeit zu entdecken, die wir denn
auch, dem optischen Moment folgend, die
„Roznicek Zeit benamsen. Daß Willy Forst
den neuen Wessely-Film ins Kostüm jener Zeit
stellt, daß May West den Mut hatte, Frauen auf
die Leinwand zu bringen, deren Konturen
Kurven, nicht gerade Linien aufwiesen — das
ist eine Folge jener historischen Filme, etwa
jenes, in der Diana Wyniard bewies, wie schön
die Frauen im toupierten Haar mit den
langen taillierten Röcken über schwarzen
Seidenstrümpfen ausgesehen haben.
Es war doch eine schöne Zeit — sogar die
Mode erkennt das. Man macht den Frauen
Kleider, die aussehen, als hätten sie sie von
ihren Großmüttern geborgt — denn die Mütter
haben sich in der Zwischenzeit so sehr ver¬
jüngt, daß keine zugeben wird, sie wäre schon
vor 1900 erwachsen gewesen. Man macht ihnen
Capes aus plissierten Tafft, man gibt ihnen
Spitzenjabots, man präsentiert ihnen wieder
ausgestopfte Vogelbälge und es sieht bald so
aus, als dürften wir uns wieder über modische
Fragen entrüsten, wie einst. Denn natürlich ge¬
fallen den Frauen diese verklungenen Motive
haben sie vorgestern über die antiquierte
Mode gelacht, so finden sie sie heute als
Kostüm entzückend.
Aber die Renaissance einer Epoche ist
niemals allein auf äußerlichkeiten fundiert.
Wir sehnen uns nach der Reznicek-Zeit als
nach der letzten, uns naheliegendeten, in der
es noch so etwas wie Romantik gab. Die
Menschen trugen nicht nur Dessous, sie trugen
auch ein Innenleben und sie verbargen und
enthüllten beides zur rechten Zeit und mit der
nötigen Wirkung.
Schnitzler-Menschen schritten durch eine
war von Problemen der Seele
und die Ibsen Leute exzellierten in einem Ober¬
schwang, den sich heute nur ein sehr sanierter
Mensch erlauben dürfte — also gar keiner.
Heute ist man auf Steuerbekenntnisse neu¬
gieriger denn auf Bekenntnisse einer schönen
Seele, man basiert die Probleme nicht auf die
Seiten der Tagebücher, sondern auf jene des
Kontoauszugs. Wir wünschen zu wissen, was
unser Held verdient und womit er es verdient
und welcher Nebenverdienst ihm die Reise in
die Schweiz möglich gemacht hat. Wie viel
zahlt er dort Pension? Und was bestet jener
Abend in der Bar, der in ihrem Schlaf¬
zimmer endet? Wir möchten, daß der Bau¬
meister Solnes seinen Bankrott mit falschen
Pfundspekulationen erklärt (es können auch
Dollar gewesen sein) und wir werden einer
neuen Ida Gabler nur dann ein Selbstmord
motiv zubilligen können, wenn das Vermögen
nachen sollte.