VII, Verschiedenes 13, 1933–1934, Seite 59

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„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON -23-0-43
Ausschnitt aus:
Salzburger Volksblatt,
3.4.1934.
vom
Hermann Bahr und seine Bi
bliothek.
Dr. Ludwig Praehauser.
Suchen wir deutsche, dänische oder skandinavische Dichtung,
so werden wir beinahe alle markanten Erzähler und Drama¬
tiker finden: Ibsen, Strindberg, Björnson, Hermann Bang,
J. V. Jensen, Jacobsen, dann die Führer des deutschen
Naturalismus Michel Georg Conrad, Arno Holz, Johannes
Schlaf, dann den Friedrichshagener Kreis um Wilhelm
Bölsche, Bruno Wille, Julius und Heinrich Hart, weiters
Gerhart Hauptmann, Frank Wedekind, Herbert Eulenberg,
Schnitzler, Schönherr, Werfel, Wildgans, Thomas und Hein¬
rich Mann, Stephan Zweig, aber auch Dichter wie Hermann
Hesse, Hermann Stehr, Kolbenhayer, Riccarda Huch, Handel¬
Mazzeti, die geschichtlich oder psychologisch die geistigen Per¬
spektiven wieder erweitern und Dichter, die den Menschen
wieder in verklärter Bedeutung erkennen und gestalten, in der
Richtung eines überzeitlichen Mythos: Theodor Däubler und
vor allem Stephan George. Wichtigste Vertreter des franzö¬
sischen Naturalismus sind in der Bibliothek vorhanden:
Maurice Barré, Jules Lemaitre, Zola, Anatole France,
Stendhal=Beyle, Flaubert, Baudelaire, Maupassant, aber auch
Spätere, wie Rolland, Claudel, Barbusse, Marcel Proust, die
Vlamen André Gide, Verhaeren und der abseits Wandernde
Maurice Maeterlinck. Wir können aber auch die Entwicklung
zurückverfolgen über Murget, Rostand, Huysman, die Brüder
Goncourt, Hippolyt Taine, Victor Hugo, ja zurück zu den
klassischen Geistern Voltaire, Racine, Molière, Rabelais.
Hier seien gleich andere ausländische Autoren der Biblio¬
thek angeführt: von Engländern natürlich Shakespeare (über
ihn auch die bekannte Werke von Brandl, Gundolf, Gustav
Landauer, Georg Brandes), dann Milton, Walt Whitman,
Ruskin, Emerson, außerdem noch manche neuere Autoren.
Von Spaniern Cervantes, Calderon, beide auch in deutscher
Übersetzung, Lope de Vega und der moderne Ortegay Gasset.
Von Italienern Dante, Goldoni, Manzoni, auch in deutscher
Übersetzung, darunter die vorzügliche Übertragung der
Promessi sposi (die Verlobten) von Johanna Schuchter,
weiters Fogazarro, D'Annunzio und die Werke des Philo¬
sophen Benedetto Croce.
Die Kritik der Moderne ist in den schon genannten Fran¬
zosen Lemaitre, Barrés vertreten, in leider noch zu wenigen
Büchern des Stifters selber, dann in Kürenberger, Speidel,
Alfred Kerr und Alfred Polgar. Bemerkt sei noch, daß, was
in Buchbänden nicht vorhanden ist, meist in den Bänden der
Zeitschriften „Freie Bühne" und „Neue Rundschau“ zu finden
ist, die von ihren ersten Anfängen an wichtige Belege für die
deutsche Literaturentwicklung bieten.

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1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
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Ausschnitt aus:
3.1.1934
vom
* Berta Zuckerkandl. Die Schriftstellerin
Berta Zuckerkandl, eine Zierde des
Wiener Gesellschaftslebens, dort, wo es sich
in erhöhter Geistigkeit entfaltet, ist nunmehr
siebzig Jahre alt geworden. Ihre vielen
Freunde aus der Kunstwelt und aus dem
Kreis der Literatur haben es sich nicht nehmen
lassen, diese bedeutende Frau anläßlich des
festlichen Datums zu feiern, auch auf die
Gefahr hin, vom Geburtstagskind eine Rüge
zu erhalten. Berta Zuckerkandl ist die Witwe
des unvergessenen Gelehrten Professor Emil
Zuckerkandl, der viele Jahre an der Wiener
Universität als Ordinarius für Anatomie
gewirkt hat. Als Tochter eines einst berühmten
Journalisten — Moritz Szeps — hat schon
die junge Dame an den Ereignissen des
Wiener Kunstlebens teilgenommen und früh
zu einem gereiften Urteil über Probleme der
bildenden Kunst und Literat sich durch¬
gekämpft. In ihren kritischen Aufsätzen, in
denen sie in kraftvollen, geradezu männlichem
Stil mit hinreißendem Temperament für
wirkliche Kunst und gegen Kitsch des Alltags
kämpfte, zeigte sich von allem Anfang an
eine farbige Eigenart der Darstellung und
eine hohe Kunst, die Form zu meistern. Vor
allem aber eine imponierende Ueberzeugungs¬
kraft. Berta Zuckerkandt hat als eine der
ersten Schriftstellerinnen Wiens für Klimt
und sein Werk die Feder geführt — zu einer
Zeit, als man noch mit höhnischem Zweifel
über Gegenwart und Zukunft des genialen
Künstlers sprach. In ihrem so interessanten
Heim hat diese geistvolle Frau, die so fesselnd
plaudern kann, die ganzen Jahrzehnte her
hervorragende Künstler, Dichter, Gelehrte,
Staatsmänner empfangen. Da traf man
Männer wie Klimt, Kolo Moser, Artur
Schnitzler, Hofmannsthal, Wildgans, den
Direktor Mahler und seine bedeutendsten
Mitarbeiter. Die Beziehungen ihrer Familie
die jüngere Schwester der Hofrätin
Zuckerkandl ist in Paris mit dem Ingenieur
Paul Clemenceau verheiratet, dem jungeren
Bruder des verstorbenen Ministerpräsi¬
denten —, kam sie oft nach der französischen
Hauptstadt und wurde dort heimisch. Sie hat
an der Schaffung wertvoller Beziehungen
zwischen den ersten Theatern Wiens und
Pariser Bühnendichtern bedeutendes Ver¬
dienst. Wie viele bedeutende Werke der be¬
kanntesten Pariser Autoren hat sie in meister¬
hafter Uebersetzung den Wiener Theatern zu¬
gänglich gemacht? Man braucht nur an
Lenormand zu denken, an Jules Romain, an
Alfred Savoir. Berta Zuckerland hätte längst
die Hände in den Schoß legen können, aber
immer von neuem treibt es sie zu geistiger
Arbeit, zum kritischen Kampf für alles, was
gut ist und fortschrittlich und doch nicht vor¬
wärtskommt. Da hilft sie dann mit ihrer
anzen leidenschaftlichen Streitkraft der guten
Sache weiter, womöglich ans Ziel. Solcher
Kampf aber erhält jung. Und darum ist dieses
kokeit weißhaarige Geburtstagskind viel jünger
als es der Kalender behauptet und wird's
noch lange bleiben!