VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 7

13.
box 447
Miscellaneous

en

9.
Wiener Autoren in Frankfurt am Main.
Die jüngste Novität des Akademietheaters, „Stille
Musik von Rudolf Holzer, ist an dem von Artur
Hellmer geleiteten Neuen Theater in Frankfurt am Main
zur Uraufführung gelangt. Hellmer ist Wiener und hat in den
23 Jahren, während der er die Frankfurter Bühne führt, wieder¬
holt Werk von Wiener Autoren, wie Bahr, Schnitzer und
Auernheimer, in mustergültigen Aufführungen dem westdeutschen
Theaterpublikum zugänglich gemacht.
GRA
eleg.

10
Gustav Pach gestorben. Am Sonntag ist
in Lainz Gustav Pach gestorben, nicht lange
nach seinem 85. Geburtstag. Aus diesem An¬
laß haben wir damals, es war im vergangenen
November, von einem Mann erzählt, von
dem man Generationen von Kaffeehaus¬
besuchern nichts zu erzählen brauchte.
35 Jahre hat er das Schweizerhaus
im Prater und das damals berühmteste
Kaffeehaus, das „Central“ in der Herren¬
gasse, geleitet. Ein aus Deutschland
stammender, gebildeter junger Mensch, mit
klarem Blick für das Wesentliche, ist er vor
mehr als sechzig Jahren nach Wien ge¬
kommen, wird Kassier im Brauhaus
Straßnitzky, und macht dann die Wirts¬
karriere, die ihm nicht nur Millionen von
ungezählte Anerkennungen,
Goldkronen,
sondern geradezu Lokalruhm eingetragen hat.
Billroth und Gersuny, Anton Bruckner und
Georg Reimers, Ernest v. Körber und
Trotzkij, um nur einige Namen
zu nennen, sind so wie Peter Altenberg und
Egon Friedell nicht nur seine Besucher,
sondern auch seine Vertrauten gewesen. Un¬
erschöpflich war Gustav Pach (bis in seine
letzten Tage von beneidenswerter Frische) an
Anekdoten, die er alle durch Briefe und
Bilder belegen und illustrieren konnte. Aus
einer Zeit, in der man in einem Kaffeehaus
1500 Goldkronen Tageslosung erzielen konnte,
ließ es sich schwer in die neue finden. 1916 hat
er das „Central“, um eine halbe Million
Kronen verkauft und damit begann sein Ab¬
stieg, der ihn endlich dazu brachte, auf die
Güte der Gemeinde angewiesen zu sein. Den
Höhepunkt eines reichen Lebens, das nun ab¬
geschlossen ist, bildete der Besuch, den er 1907
bei Roosevelt I. gemacht hat. Das Bild von
„Teddy" hing mit dem von Julius Tandler
neben seinem Lainzer Bett, und von jener
amerikanischen Reise hat er auch nicht minder
gern erzählt als von den Beziehungen zu
Artur Schnitzler, Felix Salten, Huberman,
Max Hussaren, Max Devrient, zu Hohen¬
traut, Speidel, Czedik, zum Hofopern=Jahn,
zur Materna, zum Baumeister — eine Liste
der Berühmtheiten stand in seinen Er¬
innerungen. Und eine Wirtsberühmtheit
selbst ist mit dem Mann dahingegangen, der
heute, Donnerstag, um ½11 Uhr, auf dem
Zentralfriedhof (4. Tor) zu einer Ruhe ein¬
geht, die er sich nach jahrzehntelanger Arbeit,
die reichlich dazu beigetragen hat, unsre Lokal¬
glorie, das Kaffeehaus, zu heben, redlich ver¬
den
„OBSERVER
1. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt au¬
le
19. 1934
vom
heater und uns
„Die gelehrten Frauen.
Molière im Reinhardt-Seminar.
Dies selten gezeigte Spielchen des
Molière, in der ausgezeichneten, dem
Urbild treubleibenden Uebersetzung Ludwig
Fuldas, gab den Reinhardt-Seminaristen
Gelegenheit, sich diesmal in Kostümen des
17. Jahrhunderts und bei der Beherrschung
des Reims (Knittelverses) zu zeigen. Sie
machten es sehr nett, und konnten sogar
manches aus dem Inhalt ins Neuzeitliche
heben. Molière verspottet hier die allzu sehr
der Philosophie ergebenen Damen seiner Zeit,
die Preziösen der Wissenschaft, von denen
nichtsdestoweniger die eine Hälfte recht gern
weg vom Geist, also von den Büchern, und hin
zum Stoff, das ist die Ehe, möchte. Die andre
Hälfte, die dem Geist leicht treu bleiben kann,
weil sie ohnehin schon verheiratet ist, wird
hier belehrt, daß auch höchste Bücherweisheit
noch nicht zum Menschenkenner macht. Das
heißt, Frau Philaminte will ihre Tochter einem
Schöngeist geben, der herrliche Verse zitiert,
die freilich abgeschrieben sind — außerdem
stellt sich heraus, daß er nicht nur nach
Zitaten, sondern auch nach Dukaten jagt.
Man sah einige Darsteller, die bisher noch
nicht aufgetreten waren. Regie führte Jane
Archer unter Emil Geyers Oberleitung,
und sie verschafften dem Ensemble ein¬
heitlicheren Eindruck. Im Chor der gelehrten
Frauen war Fräulein Eckener, die eine
Vis comica und auch entsprechendes Spiel¬
talent hat, die bemerkenswerteste. Die Damen
Lissa und Leddin sind ausgesprochene
Begabungen. Die Kleine, die auf Philosophie
von vornherein verzichtet, weil ihr das Herz
wichtiger ist, wird von Fräulein Kluge hübsch
gespielt. Als Vater und Pantoffelheid, der sich
später ernannt, war Herr Czerny zu
sehen, und man sah ihn mit Vergnügen,
konnte seine Wandlungen durchaus glaubhaft
Die Herren Tauchen und
machen.
Barten muß man nicht erst vorstellen, sie
füllten wieder ihren Platz. Fräulein
Marian, eine Köchin, die plötzlich zur
Räsonneurin des Stückes wird, war ebenfalls
wirkungsvoll.
Im übrigen möchte man jetzt gern wieder
einmal den Reinhardt=Nachwuchs heraus aus
dem Kostüm des 17. und 18. Jahrhunderts
schlüpfen und (man brachte bisher nur einen
verstaubten Shaw) im oft erst recht
schwierigen Kostüm des Heute sehen. Das
Einstundenspielchen von Molière zeigte in
jeder Beziehung zu wenig. Sie sollen wieder
Wildgans spielen oder Bahr, und erst recht
R. B.
Schnitzler.