VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 28

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13. Miscellaneous
OBSERVER
I. österr., behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLEILE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
seine
vom 7 SEP. 1934

ein paar steingebaute Wohnstätten dicht um den gen beiderseits an der Längswand des Kirchen¬
Ein an
Brief aus Steiermark
schiffes schen sich ausgezeichnet. Vor jedem von wie ein
stämmigen Kirchturm zusammen, der sie be¬
ihnen brennt eine überlange Wachskerze, wogegen litterari
schützend überragt wie der wachsame Hirte die
Von Raoul Auernheimer
Herde. Dort ist das eigentliche Dorf, und dort ist die vorm Altar erst etwas später von rotbäckigen Hofman
es auch schon seit dem 15. Jahrhundert. Die Ministranten mit weißen Spitzenkragen sachkundig
Wasser.
Lieber Freund, vor allem: was ich Dir hier
Kirche in ihrer jetzigen Form ist kaum viel entzündet werden. Einstweilen spricht noch der Arthur
schreibe, hat nichts zu tun mit einer gewissen
junge Pfarrer oben auf der seitlich angebrachten
jünger. Die Uhr muß uralt sein, denn ihre Zeiger
Fremdenverkehrspropaganda, die auf die Reize des
sind verkehrt dimensioniert, der Stundenzeiger ist Kanzel. Er spricht von der „Gottesverheerung
des ein
„Vaterlandes mit einer Gründlichkeit und Ent¬
womit er die Gottesverehrung meint, und verlaut¬ aufrech
lang, der Minutenzeiger kurz, was das Entziffern
schlossenheit aufmerksam macht, als ließe sich,
bart auch die Begünstigungen, die die Bundes
der Zeit für den nicht Eingeweihten zu einer kost¬
dierten
was in Jahrhunderten versäumt wurde, in einem
bahnen anläßlich des Katholikentages gewähren
lichen Schwierigkeit macht. Aber der Schaden,
Hebbel¬
einzigen Sommer nachholen. Wenn man dieser
Unter der Woche kann man dem braven Gottes
der daraus entstehen könnte, ist gering, da die
spondien
gutgemeinten, wiesengrünen Reden traute, gäbe
mann auch beim Heuen zusehen. Im schwarzen sischen
hoch angebrachte Uhr meist nicht geht. Hingegen
es Berge, Wälder, Gletscher, Matten und malerisch klingen die Glocken sehr melodisch, in verschie¬
Predigerrock, dessen Schöße im Sommerwind weit fried K
gelegene Alpenhotels nur in Oesterreich. Aber
denen Tonstufen; sie sind die Stimme des Dorfes,
auseinanderflattern, schwingt er die Heugabel und als
wer, der die Schweiz kennt, wüßte nicht, daß es
türmt das mühsam getrocknete Gras in mächtigen schwarz
mit der es in Freud und Leid seine Bewohner
derlei, und in noch höherem Maße, auch ander¬
Schwungen um den in den Wiesengrund geramm¬ Dichter
anredet. Vor ein paar Jahren wurde für eine neue
wärts gibt? O morgenfrisches Lauterbrunnental
Glocke unter den Sommergästen gesammelt. Eine ten Pfahl, wo es die ihm behilfliche Magd mit ein ihnen w
o nächtliches Luzerner Seeufer, o himmlisches
paar liebevollen Umarmungen zu einem wolken¬ der eine
aufgeklärte alte Dame fügte ihrer Spende den
Rosenleu, o Riffelalp, o Gornergrat, o Genfersee
Wunsch bei, man möge lieber die Uhr, die nie artigen Gebilde zusammendrückt. Später legt er
Ort ges
in Abendfarben! Was es anderwärts nicht gibt
warm geworden, den Rock ab und arbeitet in der
ginge, wieder instandsetzen. Man kehrte sich nicht
Vers be¬
das ist die österreichische Sommerfrische. Bei ihr
daran und kaufte eine neue Glocke
Weste und Hemdärmeln rüstig weiter. Ich gehe, vom Fre
laß mich einen Augenblick verweilen
aus meinem Haus tretend, an ihm vorüber, und da Bild von
Sonntags ruft sie mit geläuterter Stimme die
Die Sommerfrische, wie wir sie verstehen, ist Gläubigen von allen Seiten, weit über See und
er freundlich aufblickt, spinnt sich ein kleines Sonder
keine Bodenform, sondern eine Lebensform. Ein
Anger, zum Gebet. Sie sammeln sich langsam, Gespräch an. „Herr Pfarrer geben Ihrer Gemeinde
hat, sei
geruhsames Sommerfrischenideal voraussetzend,
ein gutes Beispiel.“ Worauf er, fast erschrocken
gleichsam nur tropfenweise, und während der Pre¬
Eine
ist sie in dieser automobilhastigen Zeit ein Ueber¬
digt, die zu versäumen unter den Frommen für und indem er jede erzieherische Absicht ablehnt
Nichten
bleibsel aus der Biedermeierzeit, aber ein erhal¬
plötzlich Hochdeutsch sprechend, mit christlichen
fein gilt, füllt sich das Gestühl mit einer gemisch
haus zu
tungswürdiges. Regellos auseinandergestreut, in
ten Gesellschaft. Kopftuchweiber sitzen aufrecht
Bescheidenheit erwidert: „Die Arbeit macht mir und See
Vergnügen.
ihrer örtlichen Lage scheinbar durch nichts be- die schwieligen Hände gefaltet, in den schmalen,
eine Ta¬
stimmt als die Laune, liegen die auf einen Mieter
unwirtlichen Bänken: Sommergäste schieben sich
Etwas freundlich Vertracktes wie die verstellte
gleichba
wartenden Holzhäuser — nur das Erdgeschoß ist unsicher ein, vorn nimmt der ortsansässige Adel Kirchenuhr haben auch die Namen der Orts¬ auffind¬
meist aus Stein gebaut und verrät in seinen
fast vollzählig Platz. Vor Gott sind alle gleich, ansässigen. Jeder heißt ungefähr so, wie sein Unterbe¬
Grundrissen das ehemalige Bauernhaus — in den
aber ein Unterschied muß sein, und darum ist das
Nachbar heißen müßte. Wir haben einen Bäcker
als uns
Falten des vielfach gestuften Geländes, dessen Betpult der Adelsbank oben rot gepolstert. Ihr
Bretterebner, was kein übler Name für einen
wohnt,
Täler und Talchen, mannigfach gekreuzt und
gegenüber, dicht beim Altar, grüßen ein paar Erb
Tischler wäre, einen Schuster Krug, wie der Wirt
in Puol
überschnitten, kelchartig gegen den See zu ab¬
begräbnisse die noch lebenden Angehörigen der¬
sich nennen dürfte, und einen Wirt Denkscherz, in „Fisch
fallen. Nur drunten an seinem Ufer drängen sich selben Familien. Auch die holzgeschnitzten Heili¬ wie ein hier weilender Schriftsteller heißen könnte, zudem