VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 29

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13. Miscellaneous
er nur an die
gäßchen. Aufführung des Festspieles,
zu dem J. Graven den Text und der
Komponist der Chansons valai-
sannes, Hanni, die Musik geschrie¬
ben hat.
Ein anderer Bäcker heißt sogar Dichtl, was fast
ein paar steingebaute Wohnstätten dicht um den gen beiderseits an der Längswand des Kirchen
schiffes sehen sich ausgezeichnet. Vor jedem von wie eine Anspielung klingt; denn es ist ein hoch¬
stämmigen Kirchturm zusammen, der sie be¬
ihnen brennt eine überlange Wachskerze, wogegen literarisches Ufer, das unsrige. Wir haben einen
schützend überragt wie der wachsame Hirte die
Hofmannsthal-Weg, einen Emil Ertl Weg, eine
Herde. Dort ist das eigentliche Dorf, und dort ist die vorm Altar erst etwas später von rotbäckigen
Wassermann-Villa, die jetzt leider verwitwet ist.
es auch schon seit dem 15. Jahrhundert. Die Ministranten mit weißen Spitzenkragen sachkundig
Arthur Schnitzler kam oft hierher, Beer-Hofmann
entzündet werden. Einstweilen spricht noch der
Kirche in ihrer jetzigen Form ist kaum viel
junge Pfarrer oben auf der seitlich angebrachten kommt noch und hält, der letzte große Dichter
jünger. Die Uhr muß uralt sein, denn ihre Zeiger
des einstmals Jungen Wien, eine große Tradition
Kanzel. Er spricht von der „Gottesverheerung
sind verkehrt dimensioniert, der Stundenzeiger ist
aufrecht, die weit zurückreicht. Hierher korrespon¬
womit er die Gottesverehrung meint, und verlaut¬
lang, der Minutenzeiger kurz, was das Entziffern
dierten im Herbst 1870 Kürnberger und der
bart auch die Begünstigungen, die die Bundes
der Zeit für den nicht Eingeweihten zu einer köst
Hebbel-Biograph Emil Kuh, und worüber korre¬
lichen Schwierigkeit macht. Aber der Schaden, bahnen anläßlich des Katholikentages gewähren.
der daraus entstehen könnte, ist gering, da die Unter der Woche kann man dem braven Gottes- spondierten sie? Kein Wort vom Deutsch=Franzö¬
sischen Krieg, nur dem Grünen Heinrich von Gott¬
mann auch beim Heuen zusehen. Im schwarzen
hoch angebrachte Uhr meist nicht geht. Hingegen
fried Keller galt die gewählte Unterhaltung. Da¬
Predigerrock, dessen Schöße im Sommerwind weit
klingen die Glocken sehr melodisch, in verschie¬
auseinanderflattern, schwingt er die Heugabel und mals und auch später noch war der See ein
denen Tonstufen; sie sind die Stimme des Dorfes
türmt das mühsam getrocknete Gras in mächtigen schwarzes Tintenfaß, und die am Rande sitzenden
mit der es in Freud und Leid seine Bewohner
Dichter tauchten ihre Federn darein. Einer von
Schwängen um den in den Wiesengrund geramm¬
anredet. Vor ein paar Jahren wurde für eine neue
ihnen war vor Zeiten Rudolf Alexander Schroeder,
Glocke unter den Sommergästen gesammelt. Eine ten Pfahl, wo es die ihm behilfliche Magd mit ein
der eine hübsche hexametrische Ode auf unseren
aufgeklärte alte Dame fügte ihrer Spende den paar liebevollen Umarmungen zu einem wolken¬
Ort geschrieben hat. Ich habe nur einen einzigen
Wunsch bei, man möge lieber die Uhr, die nie artigen Gebilde zusammendrückt. Später legt er
Vers behalten: „Und am Abend das Licht, grüßend
warm geworden, den Rock ab und arbeitet in der
ginge, wieder instandsetzen. Man kehrte sich nicht
Weste und Hemdärmeln rüstig weiter. Ich gehe,
vom Freunde zum Freund.“ Das gibt ein reizendes
daran und kaufte eine neue Glocke,
aus meinem Haus tretend, an ihm vorüber, und da Bild von den hügelauf und hügelab verstreuten
Sonntags ruft sie mit geläuterter Stimme die
er freundlich aufblickt, spinnt sich ein kleines
Sommerhäusern, von denen ein jedes seinen Weg
Gläubigen von allen Seiten, weit über See und
Gespräch an. „Herr Pfarrer geben Ihrer Gemeinde
hat, seine Aussicht, sein Licht und sein Geheimnis.
Anger, zum Gebet. Sie sammeln sich langsam
gleichsam nur tropfenweise, und während der Pre- ein gutes Beispiel.“ Worauf er, fast erschrocken Eine weise Unübersichtlichkeit macht es dem
und indem er jede erzieherische Absicht ablehnt,
Nichteingeweihten nahezu unmöglich, ein Land¬
digt, die zu versäumen unter den Frommen für
plötzlich Hochdeutsch sprechend, mit christlichen
haus zwischen Hang und Bach, zwischen Wald
fein gilt, füllt sich das Gestühl mit einer gemisch¬
Bescheidenheit erwidert: „Die Arbeit macht mir und See und Bühl und Acker aufzuspüren. Es ist
ten Gesellschaft. Kopftuchweiber sitzen aufrecht,
Vergnügen.
eine Tätigkeit, nur der des Östereiersuchens ver¬
die schwieligen Hände gefaltet, in den schmalen
Etwas freundlich Vertracktes wie die verstellte gleichbar und fast ebenso lustig. Um das Ei un¬
unwirtlichen Bänken: Sommergäste schieben sich
Kirchenuhr haben auch die Namen der Orts- auffindbar zu machen, hat die Ortsverwaltung
unsicher ein, vorn nimmt der ortsansässige Ade
Unterbezirke geschaffen, die ganz anders heißen
fast vollzählig Platz. Vor Gott sind alle gleich, ansässigen. Jeder heißt ungefähr so, wie sein
als unser Hauptort. Niemand wohnt dort, wo er
aber ein Unterschied muß sein, und darum ist das Nachbar heißen müßte. Wir haben einen Bäcker
wohnt, sondern dort, wo er nicht wohnt; der eine
Betpult der Adelsbank oben rot gepolstert. Ihr Bretterebner, was kein übler Name für einen
in „Puchen“, der andere in „Reithern“, ein dritter
Tischler wäre, einen Schuster Krug, wie der Wirt
gegenüber, dicht beim Altar, grüßen ein paar Erb¬
in Fischerndorf, Jeder dieser sechs Vororte hat
begräbnisse die noch lebenden Angehörigen der sich nennen dürfte, und einen Wirt Denkscherz
selben Familien. Auch die holzgeschnitzten Heili¬ wie ein hier weilender Schriftsteller heißen könnte, zudem seine eigene Numerierung, die überall mit