VII, Verschiedenes 13, 1934–1935, Seite 31

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13. Miscellaneous
1
le

Neu¬

Der unbekannte Dichter
von Tirol.
Lesensweg des Romanciers Josef Leitgeb.
Von
Hans v. Tabarelli.
Eine verwitterte, stahlblau=grüne Kulisse, die Nordkette:
davor schlafen die Türmchen und geruhsamen Dächer von
Innsbruck. Dieses Innsbruck ruht derart in Gottes riesiger,
felsiger, mächtiger Hand. In seiner hohlen Hand, denn gegen
irgendein Nichts zum Ereignis wird, ein unschuldiges Wesen von artigen Zustand zurückzusinken,
Süden zu wird die Welt den Innsbruckern offen. Dort tummelt
den Krallen der Wirklichkeit erfaßt, dann abgeurteilt und dazu des Blutes, die Schauer der Se
sich die liebe Sonne auf den blanken Hügeln. Wohl steigt da¬
verurteilt wird, das Leiden der Kreatur bis zum Ende durch magischer Kräfte wieder entbren
Tiroler Land auch dort noch an, aber sanfter, gutmütiger. Das
zudulden, das ist das Thema. Leitgeb schreibt im Vorwort zu
Geschröf da hinten ist nicht mehr so unheimlich, ist viel freund¬
Es ist Pflicht, österreichisch¬
seinem Roman: „Es ist, als hielten wir es von Zeit zu Zeit für
licher. Ein Tannenwald umkränzt den Berg Isel. Das Sill¬
nötig, das Licht der Erkenntnis — wie auf eine stumme Ver¬ zu fördern. Es ist Notwendigk
flüßchen kokettiert mit dem alten Inn. Und auf einem Separat¬
einbarung hin — auszulöschen, um im Dunkel nach einander zu sehr wenig deutsche Dichter gibt.
hügel steht eine kleine Villa, in der ein wichtiger österreichischer
greifen, miteinander zu verschmelzen und gemeinsam in einen schlaf= nicht zum Aushalten!
Dichter seine Weihen empfing, der Dichter Josef Leitgeb, von
dem ich jetzt erzählen will und von dem alle wissen müßten¬
denn er ist wahrhaftig ein großer Dichter!
Erste Erinnerung: an einem sonst belanglosen Nachmittag
bekamen winzig junge Gymnasiasten schulfrei, weil der Vater
eines Mitschülers begraben werden sollte. Es war das erste
Begräbnis in meinem kleinen Bubendasein, das ich inwendig
spürte. Man muß den Sachverhalt erklären. Zwischen dem
damals noch sehr engumhegten Innsbruck und dem sogenannten
Mittelgebirge liegt, wie man bei Goethe und Heine nachlesen
de
MATRATZEN
Steilig, Leinenstreifgradl, la Afrique . . . .
Roßhaar- und Lotterbettmatratzen in reichster Auswahl.
Adressen der Fabrik und Nieder¬
lagen siche Intent auf Seite 3 ADOLF GANS A.-G.

kann, das liebliche Oertchen Wilten. (Heute längst Stadtgebiet,
heute längst umgebaut, heute schon unromantisch.) Linker Hand
von der Straße zur Sillschlucht schlich sich ein schmächtiger
Feldweg, die Neurauthgasse. Und dort wiederum, rechter Hand,
kauerte inmitten von Georginen und Efen ein unscheinbar
mageres Haus. Sah aus wie ein ausgebrochener Zahn, den
jemand auf einer bunten Wiese verloren hat. Und aus diesem
Hause krümmelte sich der Trauerzug. Und es war ganz unsagbar
traurig. Und meine Augen, mein Verstand, meine Hände suchten
unaufhörlich den kleinen Leitgeb, der ebenso klein war wie ich,
denn es war so entsetzlich, daran zu denken, daß jemand seinen
Vater verloren habe.
Ein paar Tage später erschien der kleine Pepi bei uns in
der Klasse als Zögling des Waisenhauses, uniformiert und mit
einem schwarzen Käppchen; wurde täglich abgeholt und in Rei¬
und Glied ins Institut zurückgebracht. (Wir durften allein
wißt ihr, was das heißt, allein!
heimgehen.)
Als wir Jünglinge waren, gingen wir beide sehr oft
nicht heim. Wir dichteten gemeinsam, erfanden ein Drama
„Leonidas, schrieben unserem Deutschprofessor zu Ehren um
die Wette, waren aufeinander eifersüchtig und entkamen uns
langsam. Als der Weltkrieg da war, schmiß er uns beide um
Wir waren beide Kaiserjäger, aber zunächst weit auseinander.
Kollegen und Verwandte wurden uns in allen Ecken und Enden
der Monarchie zusammengeschossen. Aber — der Himmel meinte
es gut mit uns — da ergab sich uns einmal, ein einzigesmal,
ein kleines Glück, wir waren gemeinsam auf Urlaub. Er von
der Südfront, ich aus Beneschau. Und nun saßen wir gemeinsam
in jener kleinen Villa am samtgrünen Hang des Iselberges.
Was taten wir da? Pepi spielte Cello, ich Geige, der Doktor
Spörr die zweite Violine, Leitgebs Onkel, der blondbärtige
Doktor Pallhuber, der eines Nachts vor vielen Jahren seine
Seele aushustete, die Bratsche. Eine Handvoll Frühlingsabende