VII, Verschiedenes 13, 1936 undatiert, Seite 9

13.
Miscellaneous
box 449
Wollzeile 11. Telephon R 23-0-43
Ausschnitt aus

93
vom
Eine viel zu gebildete Braut
Will er Schnitzler — will sie Schopenhauer, will
er zum Heurigen, will sie ins atonale Konzert!
Ich habe eine Braut, deren Bekanntschaft ich
in der Sommerfrische machte. Dort hatte ich
nicht so Gelegenheit gehabt, ihr Wesen kennen¬
zulernen wie jetzt in Wien und ich muß sagen,
daß mir dieses große Bedenken macht. Sie ist
24 Jahre alt, ich bin 29, habe Mittelschulbil¬
dung und bin in einer sicheren Anstellung. Nach
des Tages Mühe habe ich nun das Bedürfnis,
bei leichter Musik, bei einem Lustspiel u. dgl.
geistig auszuspannen. Meine Braut aber hat eine
vollkommen gegenteilige Einstellung. Will ich
Schnitzler — will sie Schopenhauer, will ich zur
„Madame Pompadour“ oder zum „Gütigen
Antonius, will sie zu Shakespeare und Richard
Wagner. Will ich zu Johann — will sie zu
Richard Strauß. Sie ist empört, ihr einen
„unseinen Heurigenbesuch vorzuschlagen und
ihr die während des Tages gesammelte Er¬
hebung, die sie in Museen und Bibliotheken
geholt hat, zu zerstören. Sie versäumt keine Ge¬
legenheit, mir die Inferiorität meiner Bildung
und banalen Durchschnittlichkeit fühlen zu lassen.
Dazu erklärt mir meine Braut, kein wirtschaft¬
liches Interesse zu haben, daher ein Dienstmäd¬
chen gehalten werden muß. Dies alles macht
mir schwere Sorgen. Mein Gefühl sagt ja, mein
Verstand nein! Wem soll ich da folgen!
Antwort: Wenn Sie können, natür¬
lich dem Verstand; und der ist bei Ihnen hand¬
fest genug, um zu durchschauen, daß diese
ganze hochgeistige Bildungsflunkerei Ihrer
Braut nur Mache ist. Es gibt solche Mädchen
heute mehr denn je: Blaustrümpfe, die mei¬
nen, je weniger der Durchschnittsmensch von
irgend einer Kunstrichtung oder Welt¬
anschauung versteht, desto mehr müsse er sich
dafür interessiert zeigen. Frauenzimmer, deren
Gehör einen Schuhplattler oder den Radetzky¬
Marsch kaum von einer Symphonie unter¬
scheiden können, füllen die Konzertsäle, wo
atonale Musik in Freiheit vorgeführt wird.
In Wahrheit würde ihnen ein Heurigenguar¬
tett mehr zusagen. Sie sitzen in den Biblio¬
theken ernsten Studierenden die Plätze weg
und flunkern dann daheim mit angelernten
Bildungsbrocken. Sie verstehen den Sinn
indischer Aphorismen, aber keinen guten Witz,
sie haben empfindsame Nerven, aber keinen
Humor und sie spielen die gekränkte Leber¬
wurst, wenn einer an den Ernst ihrer psycho¬
logischen Forschung zweifelt. Kurz gesagt! Sie
sind unausstehlich und die noch in allen
Dingen ungeschickt, die jedes andere Durch¬
schnittsmädel im kleinen Finger hat. Sie
wissen, daß in den Speisen Vitamine sind
und daß sie Kalorienwerte haben, nicht aber,
daß man in ein gutes Gullasch viel Zwiebel
geben muß und daß man den Reis vor Ge¬
brauch waschen muß. Diese primitiven Kennt¬
nisse mutet sie nur einem Dienstmädel zu, das
von Nietzsche keine Ahnung hat. — Nein, mein
lieber Freund! Das ist kein Kaffeehaus für
Sie! Ihr Verstand muß über das Gefühl
siegen, sonst wird er sich einst bitter rächen
Sie sind nämlich gar nicht so inferior, als
Ihre Braut annimmt. Sie haben sehr recht
daß Sie nach des Tages Schinderei die sauer¬
töpfige Philosophie Schopenhauers lieber mit
den Weisheiten des „Gütigen Antonius ver¬
tauschen und daß Ihnen an solchem Abend
die nette „Pompadour mehr zu sagen hat
als Hamlet. Recht verstanden: der gebildete
Mensch wird sich auch an Shakespeare er¬
bauen und auch ein Museum anschauen, aber
doch nicht fortgesetzt und ausschließlich! Gerade
der wirklich Gebildete nimmt gerne Teil am
Vergnügen des harmlosen und unverbildeten
Volkes, und vor allem spricht er nie über
seine hohen ästhetischen Gefühle, er drängt
ich mit seiner Hochgeistigkeit nicht auf, son¬
dern ist bescheiden, natürlich und versteht
Spaß. Den aber versteht Ihre liebe Braut
auf keinen Fall! Und eine Ehe so ganz scherz¬
los und so ganz klassisch auf Nietzsche und
Schopenhauer eingestellt, ist zum Sterben
langweilig — aber es dauert lang, bis man
an ihr stirbt. Nein; Sie sind wirklich zu
guter Durchschnitt und deshalb folge
der Stimme des Verstandes!
Herzensfreund.