VII, Verschiedenes 13, 1936 undatiert, Seite 24

vom
Epilog zum Theater¬
kongreß
Der neunte Internationale Theater¬
kongreß, der bis gestern in Wien tagte, ist
zu Ende. Die Bilanz, die heute zu ziehen
wäre, kann nur eine vorläufige sein. Die
wahren Auswirkungen und Früchte einer
solchen Veranstaltung muß erst die Zukunft
bringen, sie müssen langsam reifen, man
möchte fast sagen: kaum merklich.
Denn was ist denn der Sinn dieser Kon¬
gresse? Nicht zuletzt ihre Mehrzahl. Die stän¬
dige Fühlungnahme der führenden Theater¬
persönlichkeiten aller Länder, der ständige
Austausch der Gedanken, Pläne und Erfah¬
rungen, die immer wieder erneuerte beson¬
dere Festlichkeit, die das Theaterereignis
umgibt und das Theater zum Ereignis macht.
Jeweils in anderen Städten, aber gerade so
durch den Kranz der Theaterfestlichkeiten die
Weltstädte umschlingend und vereinigend.
Was in den Vorträgen der Delegierten
zum Ausdruck kam — es ist nur ein Teil,
gewissermaßen der sicht lar programmatische,
des Kongresses. Ein wichtiger Teil, gewiß,
denn es ist immer wichtig, wenn in klarer
Formulierung die Erkenntnis auch gesagt
wird, daß die Keime und Triebkräfte des
Theaters, trotz aller notwendigen natio¬
nalen Varianten, doch eine gemeinsame
Angelegenheit der Menschen sind, Kräfte die
an den gleichen Ursachen erkranken und ge¬
nesen, die man aber deswegen auch besonders
pflegen soll, weil sie, im überzeugend
Gefühlmäßigen wurzelnd, ein inniges Band
der Völkereinigung sind — oder doch sein
könnten. Gerade in der gestrigen Rede des
französischen Unterrichtsministers Jean Zay
wurde dies deutlich — denn kein Oesterrei¬
cher hätte sein eigenes Wesen schöner und
treffender formulieren können als dieser
Franzose, wenn er, von Grillparzer, Schnitz¬
ler und Hofmannsthal ausgehend, erklärte
„Wir befinden uns hier in dem einzig¬
artigen Klima, in dem einige der wunder¬
barsten Lieder der menschlichen Seele ent¬
standen sind, und das, was wir gerade be¬
wundern, ist, daß diese Lieder, oft schmerz¬
list, sich von einer, ich weiß nicht, welcher,
Leichtigkeit zu begleiten wissen, die nicht Sorg¬
losigkeit ist, sondern eine bewunderswerte
und leichte Art, den Schmerz zu über
winden.
Aber der zweite, nicht minder wichtige
Teil des Kongresses ist weniger programma¬
tisch, ist eigentlich seine Nebenerscheinung: die
gesellschaftliche Bewegung, der Glanz der
Veranstaltungen. Ja: denn wir alle wissen,
wie innig das Wesen des Theaters mit sol¬
chen nur scheinbar äußerlichen Umständen
zusammenhängt. Gerade sie regen die Lust
und das Interesse des Publikums an, für
das ja das Theater immer eine festliche An¬
gelegenheit sein soll. Sicher hat sich die Auf¬
merksamkeit vieler, denen das Theater, von
Sport und Film überschattet, zu einer
grauen Angelegenheit geworden war, wieder
der Welt im Rampenlicht zugewandt. Die
übervollen Häuser während des Kongresses
scheinen dafür zu zeugen. Es wird nun unsere
Sache sein, dieses nun einmal angeregte
Interesse weiter wach zu halten — und in
dem Maße, in dem uns dies gelingt, wer¬
den sich die Früchte des Kongresses zeigen.
a—3.

Ausschnitt aus:
Ve¬
vom

Minister Jean Zay beim
Theaterkongreß.
Die Beratungen des Internationalen
In der Theaterausstellung.
Theaterkongresses wurden gestern zum Ab¬
Die
Internationale Ausstellung
schluß gebracht. Den Vorsitz führte Hofrat
Theaterkunst empfing gestern den Besuch
Herterich.
des französischen Unterrichtsministers Jean
Direktor Professor Röbbeling hielt
Zay.
einen Vortrag über das Theater als völker¬
verbindender Faktor. Der nachste Redner war
der französische Unterrichtsminister Jean
Zay.
Wien und Paris Hauptstädte des Theaters.
Der französische Unterrichtsminister führte
unter anderm aus: „Es ist mir eine große
Freude, den Gruß der französischen
Regierung und des französischen Volkes

andauan
VORFÜHRUNGEN
UND VORTRAGEM
erbepalast
PAVILLON.
-13 SEPTEMBER 1936
dem Bundesstaat Oesterreich zu überbringen,
dem österreichischen Volke und seiner
Regierung, dem Bundeskanzler Doktor
Schuschnigg, dem hervorragenden Staats¬
mann, der so lange und so vornehm das
Portefeuille des öffentlichen Unterrichtes
innegehabt hat, und meinem Kollegen Doktor
Perner, der eine so bedeutende Rolle bei
der Herstellung jenes Kultur¬
abkommens gespielt hat, dessen Abschluß
für uns alle ein Gegenstand lebhafter Be¬
friedigung ist." Der Redner führte sodann
aus, daß Wien und Paris, die so oft mit¬
einander verglichen wurden, Hauptstädte
des Theaters und der Musik seien.
Was Frankreich betrifft, so gehöre dort das
Theater zu den ersten Gegenstanden, denen die
Regierung ihre Sorgfalt zuwendete. Er sei
damit beschäftigt, das Theater zu verjüngen.
Wir befinden uns hier im Vaterland
Grillparzers, Schnitzlers und Hofmanns¬
thal", sagte der Redner, in dem wunderbaren
Land, in dem Beethoven geträumt und
Schubert das Licht der Welt erblickt hat. Wir
befinden uns in dem einzigartigem Klima, in
dem einige der wunderbarsten Lieder der
menschlichen Seele entstanden sind.
schloß mit dem Wunsch, daß Wien den Ruf
der Anmut ewig bewahre und daß die Musik
und die Kunst sich weiterhin hier ein Stell¬
dichein geben mögen.
Sodann ergriff Vizepräsident Henri
Clerc zu einer Schlußrede das Wort. Er
warf einen Rückblick auf die ersprießliche
Arbeit des Kongresses, dankte allen ma߬
gebenden Stellen für die Unterstützung,
gedachte mit Worten höchster Bewunderung
der Wiener Theaterausstellung und rühmte
die kunstgesättigte Atmosphäre Wiens. Zum
Schluß kündigte er als Sitz des nächsten
Theaterkongresses Paris im Welt¬
ausstellungsjahr 1937 an.