VII, Verschiedenes 13, 1936 undatiert, Seite 25

13. Miscellaneous
box 44/9

OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes Unternehmen für
Zeitungs-Ausschnitte

WIEN, I., WOLLEILE 11
-
R
Ausschnitt aus:

.


vom

OSP. 1936
-

Randbemerkungen
Das Lob Wiens ist vorgestern von dem fran¬
zösischen Unterrichtsminister Jean Zay in einer
außerordentlich sympathischen Art verkündet und
gepriesen worden. Bei festlichen Anlässen werden
gewöhnlich Reden gehalten, die bei aller Herz¬
lichkeit über den konventionellen Rahmen nicht
hinausgehen. Diesmal aber wurde Wien von
einem Franzosen so geschildert, wie es wirklich
ist und vor den Augen der Zuhörer entstand ein
Bild unserer Stadt, das sich von den verzerrten
Darstellungen Wiens, wie sie in Wort, Schrift
und tönender Photographie zu Dutzenden zirku¬
lieren, sehr stark unterscheidet. Der Minister
nannte als Repräsentanten österreichischen Geistes
Grillparzer, Schnitzler Hoffmannsthal und damit
ist schon gesagt, wie er Wien versteht, nämlich
richtig. Ja, unsere Wiener Leichtigkeit ist wahr¬
haftig nicht Sorglosigkeit, sondern jene leichte
Art, den Schmerz zu überwinden, die der fran¬
zösische Gast bewundernswert fand. Der Öster¬
reicher ist nie leichtsinnig gewesen, nicht einmal
der österreichische Städter, geschweige denn der
Bauer. Der Österreicher liebt bloß das Gewalt¬
same und das Verkrampfte nicht. Er zieht es vor,
sich selbst in schweren Stunden eher über sich
selbst lustig zu machen, statt alle Welt, nur nicht
sich selbst für das verantwortlich zu machen, was
ihm widerfährt. Der Wiener liebt es, zu lächeln,
auch wenn ihm weh ums Herz ist, und wenn er
sich wohl fühlt, dann vermag er seine Heiterkeit
zu äußern, ohne andere zu verletzen. Deshalb
besteht, wie Jean Zay in seiner ungewöhnlichen
Rede hervorheben konnte, eine sehr enge Ver¬
wandtschaft zwischen Wien und Paris, zwischen
österreichischer und französischer Lebensauffassung.
Es ist gut, daß das in einer hochoffiziellen Fest¬
rede überzeugend nachgewiesen werden konnte,
inmitten all der Unordnung, die auf dieser
Welt herrscht,
NEUE FREIE PRESSE
Meist verbreitete Tageszeitung in Europa.
Maßgebendes politisches u. wirtschaftspolitisches Organ.
Wirkungsvolles Inseratenblatt. Täglich zwei Ausgaben.
Administration:
WIEN, I. FICHTEGASSE 9—11.

„OBSERVER
I. österr. behördlich konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I. Wollzeile 11, Telephon R-28-0-48
Ausschnitt aus:
sen
vom
10.83
(Achtzigster Geburtstag des Malers Leo Diet.)
Professor Leo Diet, der jetzt in Graz lebt, ist ein gebürtiger
Prager. Zunächst Offizier, besuchte er die Akademie der bildenden
Künste in Wien und die Malerakademie in Prag, wo er besonders
von Canon gefördert wurde. Kronprinz Rudolf fand an dem hoch¬
begabten Artillerieleutnant großen Gefallen und erwirkte ihm
einen jahrelangen Ausbildungsurlaub in Kairo. Dort verfaßte
Diet die erste Landkarte von Aegypten, Sudan und Kordofan in
arabischer Sprache und arbeitete an einem Sphinxgemälde, das
über Wunsch des Kronprinzen für dessen Arbeitszimmer in der
Hofburg bestimmt war. Der koloristische und unter Makark
stilisierte Farbenhauch wich in späteren Jahren einer schlichten,
ungesuchten Hoheit der Tongebung. Die kulturelle Tradition des
Künstlers umfaßte beinahe das ganze literarische Oesterreich.
Unter seinen Werken finden sich die Köpfe von Friedrich v. Boden¬
stedt, Alfred Klaar, Alfred Gelber, Charles Weinberger, Glücks¬
mann, Hevesi, Ganghofer, Chiavacci, Goldbaum, Ferdinand Groß,
Eisenberg, Grünfeld, Popper-Lynkeus, Peter Altenberg, Otto
Erich Deutsch, Schnitzler, Roda-Roda, Lola Beth, Sahareth;
unter den Potentaten der ehemalige Vizekönig von Aegypten,
Herzog Nikolaus von Württemberg und General Gordon Pascha,
ssen Bild das Britische Museum in London seiner Sammlung
verleibt hat. Als hervorragend gelten auch seine von silber¬
auen Schatten umzogenen venezianischen Landschaften. Als
rofessor in Graz wirkend, malte Leo Diet eine Reihe von Per¬
nlichkeiten der Grazer Gesellschaft im Stil seiner Pariser Zeit.
in voller Frische beschäftigt sich der Jubilar gern mit mathe¬
tatischen Problemen auf Grund der von ihm gefundenen gonio¬
etrischen Funktionen.