VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 2

13. Miscellaneous
box 44/10



9

.


-

-


-





.

.

Der Hervorruf.
Um zunächst einmal von den Bühnenschriftstellern zu sprechen: sie
haben den Hervorruf abschaffen wollen; und Otto Brahm, der immer
der Apostel der guten, zurückhaltenden literarischen Sitten war und
der seinen Schauspielern ja das Vorhangstor zum Publikum stets ver¬
riegelt hielt, hat es ebenso durchgeführt, daß seine Autoren, die reisigen
Dichtermannschaften des Lessingtheaters, stets nur am Schlusse des
Premierenabends, also, wenn alle Chancen versucht, alle Trümpfe aus¬
gespielt waren, ihr Buckerl machten, vorausgesetzt, daß das Publikum
dieses Buckerl dann noch sehen wollte. Aber es befinden sich seit jenem
grundlegenden Abend, an welchem — am 24. Mai 1743 — der ver¬
bissene Voltaire nach seiner „Merope“=Premiere als erster Poet den
Honigseim des Hervorrufs kostete, unter den Herbergsgästen einer jeden
Erstaufführung stets muskel- und handflächenkräftige Leute — Hand¬
schuhnummer 93 —, welche sich dem Verfasser oder einem seiner
darstellerischen Mitarbeiter für die gütige Spende eines Freiplatzes
verpflichtet glauben, welche neugierig sind, „wie der Mann eigentlich
ausschaut, der den Schmarren g'schrieben hat", (ich zitiere wörtlich
die Aeußerung eines wohlwollenden, berlinisch-wienerischen Premiere¬
besuchers) oder welche gar, wie das denn wohl auch zu Zeiten kommen
mag, von dem Werte des aus der Taufe gehobenen Stückes über¬
zeugt sind. Diese alle sind (gelegentlich noch verstärkt von den freund¬
willigen Bannerträgern des Enthusiasmus und Personenkultus) die
Avantgarde des Hervorrufes diejenigen, die hinweg über alles „Ja
und „Nein" der wechselnden Stimmungen, mit ihrer applauslustigen
Hände Arbeit den Erfolg verdreifachen, den Mißerfolg einschrumpfen
lassen, optimistische Premierenwahrheiten unterstreichen, pessimistische
unterschlagen. Sie sind es, die dem Dichter oder Schriftsteller in
möglichster Vielzahl die glücklichste Sekunde bereiten, die er vor dem
kritischen Lendemain und nach dem seelischen Wackeltanz der Vor¬
probenzeit hat: die Sekunde nämlich, in welcher sich der Autor unter
dem starken oder halbstarken Beifall nicht weit hinter dem Soufleur¬
kasten verneigt und sich nun einbildet, einigen Besten seiner Zeit
genug getan zu haben. Der heitere, welterfahrene Skeptiker, der
über die Geschicke des Thaliatheaters in Hamburg gesetzt ist, Geheim¬
rat Max Sokrates Bacchur, sagte mir einmal: „Wissen Sie, das
kenn' ich nun schon! Premieren sind eigentlich immer Erfolge.