13. Miscellaneous
box 44/10
Bühne und Welt.
29
Nach dem zweiten Akt kommen die Autoren heraus — der Vorhang
fliegt dann so unheimlich schnell in die Höhe —, und Sie umarmen
Bozenhard, und Bozenhad umarmt zurück, und dann umarmen Sie
die Franck=Witt und die Bré, und die umarmen wieder zurück, und
dann beschließen Sie alle zusammen, ein Freudenfest zu feiern, das
ich selten mitmache.... Das ist das Typische Aber der Hinweis
auf die wahre Resonanz des Erfolges wird immer erst mit dem Kassen¬
rapport der zweiten Aufführung gegeben!“ Ich bin gewiß gern
bereit, zu bekennen, daß auch diese Notiz aus der hamburgischen
Dramaturgie des Realphilosophen Bachur Hand, Fuß und Rückgrat
hat. Aber ich bin dennoch geneigt, das Potemkinsche Dorf des Dichter¬
Hervorrufs mit bauen zu helfen, diese schöne Augenblickswelt bestehen
zu lassen und dem Dramatiker (von abends 11 bis morgens 7 Uhr:
dann sitzt er ja doch bei den Zeitungen) diese wärmende, vom Moment
des Hervorrufs zuerst inspirierte Fata morgana zu gönnen. Wie
gesagt: ich weiß, daß die Echtheit des Hervorrufs und seine Existenz¬
berechtigung nicht immer (oder besser: in den meisten Fällen nicht)
der mikroskopischen Untersuchung des Nachprüfenden standhält. Man
kennt die gewissen „heiteren“ Premieren der deutschen Reichshaupt¬
stadt, bei welchen das Haus künstlich mit Lachgas parfümiert ist, bei
welchen Leben oder Tod des ganzen Unternehmens im Schoße dieses
auf einem Vulkan tanzenden Abends ruhen und nach den „Schlagern
die Applausfäuste so lange in Bewegung gesetzt werden, bis
auch
entgegen jeder inneren Notwendigkeit — jeder Vers wiederholt wird
nach den Aktschlüssen so lange, bis sich eine Reihe schwarzgekleidete
Herren, in denen man mit Recht die Hausdichter, Hauskomponisten,
Direktoren, Regisseure, Kapellmeister und andere Granden des be¬
teiligten Theaterstaates vermutet, in der Pose größerer oder minderer
Verlegenheit, auf der Bühne in Permanenz erklärt hat. Man weiß
auch
— geliebte Brüder in Apoll, ihr verzeiht schon, wenn ich hier
ein wenig aus der Schule schwätze —, daß gewisse Hervorrufe wirk¬
lich nur dazu da sind, um in den Zeitungen festgestellt zu werden
selbst die Klischeenotiz: „Der Autor durfte sich dem Publikum wieder¬
holt zeigen“ tut da ihre bescheidenen Dienste —: um die Angel nach
den Theaterdirektoren im Reiche auszuwerfen und dem Stück die
Lebensreise von Provinzstadt zu Provinzstadt zu erleichtern. Man
kennt auch die Akustik der Schauspiel= und Opernhäuser, die an Akt¬
schlüssen noch trügerischer ist als das Weiberherz, die das Ohr des
Autors gegen Zischlaute zu verstopfen, gegen Applausgewitter aber
besonders empfindlich zu machen pflegt — der Ruf „Raus" kann ja
ebensogut bedeuten, daß der Verfasser kommen, wie daß er gehen
soll —, und die dem Dichter bei der Beobachtung eines Mißtrauens¬
votums oder einer „geteilten Aufnahme" stets ein — Ueber=Höhr¬
rohr in die Hand zu geben scheint. Und auch die Meistbetroffenen,
die Dichter selbst, ob sie nun, wie Hermann Sudermann in chevale¬
resker Stattlichkeit, wie Gerhart Hauptmann in feierlichem, von der
Weihe des Augenblicks getragenem Ernst, wie Artur Schnitzler düster
und kurz, aber immer in routinierter Gewandtheit der Geste danken,
oder ob sie stolpernd, mit den Armen fuchtelnd, beengt lächelnd einen
unfreiwillig heiteren Dilettantismus der Bewegung und der Mimik
box 44/10
Bühne und Welt.
29
Nach dem zweiten Akt kommen die Autoren heraus — der Vorhang
fliegt dann so unheimlich schnell in die Höhe —, und Sie umarmen
Bozenhard, und Bozenhad umarmt zurück, und dann umarmen Sie
die Franck=Witt und die Bré, und die umarmen wieder zurück, und
dann beschließen Sie alle zusammen, ein Freudenfest zu feiern, das
ich selten mitmache.... Das ist das Typische Aber der Hinweis
auf die wahre Resonanz des Erfolges wird immer erst mit dem Kassen¬
rapport der zweiten Aufführung gegeben!“ Ich bin gewiß gern
bereit, zu bekennen, daß auch diese Notiz aus der hamburgischen
Dramaturgie des Realphilosophen Bachur Hand, Fuß und Rückgrat
hat. Aber ich bin dennoch geneigt, das Potemkinsche Dorf des Dichter¬
Hervorrufs mit bauen zu helfen, diese schöne Augenblickswelt bestehen
zu lassen und dem Dramatiker (von abends 11 bis morgens 7 Uhr:
dann sitzt er ja doch bei den Zeitungen) diese wärmende, vom Moment
des Hervorrufs zuerst inspirierte Fata morgana zu gönnen. Wie
gesagt: ich weiß, daß die Echtheit des Hervorrufs und seine Existenz¬
berechtigung nicht immer (oder besser: in den meisten Fällen nicht)
der mikroskopischen Untersuchung des Nachprüfenden standhält. Man
kennt die gewissen „heiteren“ Premieren der deutschen Reichshaupt¬
stadt, bei welchen das Haus künstlich mit Lachgas parfümiert ist, bei
welchen Leben oder Tod des ganzen Unternehmens im Schoße dieses
auf einem Vulkan tanzenden Abends ruhen und nach den „Schlagern
die Applausfäuste so lange in Bewegung gesetzt werden, bis
auch
entgegen jeder inneren Notwendigkeit — jeder Vers wiederholt wird
nach den Aktschlüssen so lange, bis sich eine Reihe schwarzgekleidete
Herren, in denen man mit Recht die Hausdichter, Hauskomponisten,
Direktoren, Regisseure, Kapellmeister und andere Granden des be¬
teiligten Theaterstaates vermutet, in der Pose größerer oder minderer
Verlegenheit, auf der Bühne in Permanenz erklärt hat. Man weiß
auch
— geliebte Brüder in Apoll, ihr verzeiht schon, wenn ich hier
ein wenig aus der Schule schwätze —, daß gewisse Hervorrufe wirk¬
lich nur dazu da sind, um in den Zeitungen festgestellt zu werden
selbst die Klischeenotiz: „Der Autor durfte sich dem Publikum wieder¬
holt zeigen“ tut da ihre bescheidenen Dienste —: um die Angel nach
den Theaterdirektoren im Reiche auszuwerfen und dem Stück die
Lebensreise von Provinzstadt zu Provinzstadt zu erleichtern. Man
kennt auch die Akustik der Schauspiel= und Opernhäuser, die an Akt¬
schlüssen noch trügerischer ist als das Weiberherz, die das Ohr des
Autors gegen Zischlaute zu verstopfen, gegen Applausgewitter aber
besonders empfindlich zu machen pflegt — der Ruf „Raus" kann ja
ebensogut bedeuten, daß der Verfasser kommen, wie daß er gehen
soll —, und die dem Dichter bei der Beobachtung eines Mißtrauens¬
votums oder einer „geteilten Aufnahme" stets ein — Ueber=Höhr¬
rohr in die Hand zu geben scheint. Und auch die Meistbetroffenen,
die Dichter selbst, ob sie nun, wie Hermann Sudermann in chevale¬
resker Stattlichkeit, wie Gerhart Hauptmann in feierlichem, von der
Weihe des Augenblicks getragenem Ernst, wie Artur Schnitzler düster
und kurz, aber immer in routinierter Gewandtheit der Geste danken,
oder ob sie stolpernd, mit den Armen fuchtelnd, beengt lächelnd einen
unfreiwillig heiteren Dilettantismus der Bewegung und der Mimik