13. Miscellaneous
box 44/10
30
Bühne und Welt.
markieren, sie alle haben gegen das „Entwürdigende dieses Vor¬
ganges“ schon manches Prinzipielle gesagt. Aber man glaube ihnen
nicht! Es gibt nur eine kleine Anzahl von Asketen des Hervorrufs:
Hermann Bahr, den man allerdings früher an Premierenabenden
zuweilen derb angeschossen hat, der herbe Max Dreyer, Herbert Eulen¬
berg — mitunter —, auch Gustav Freussen, verzichten dankend. Aber
der Haß der andern gegen den Hervorruf zerstiebt an der ersten
Applaussalve (und es ist verständlich, daß es so ist). Wenn die
Schauspieler nach der Witz= und Effektrakete des zweiten Aktschlusses
die Arme in der Richtung der Seitenkulisse ausstrecken, winken und
nicken, als gälte es, den Verfasser schlimmstenfalls an den Haaren
herbeizuschleifen, so stehen die Herren längst im Anschlag. Ja, sie
kommen, sie kommen, die Himmlischen alle. Dieser kühlt gleich Oskar
Blumenthal das München seiner Nervosität während der ersten
Stunden der Vorstellung an zerbissenen Taschentüchern. Jener tut,
was ich zunächst einmal staunend bei meinem ehemaligen geschätzten
„confrater in comedia“, dem Freiherrn von Schlicht, gewährte, der
bei jedem Lachecho, das einen seiner Scherze im Publikum will¬
kommen hieß, strahlend den in der Kulisse stehenden Feuerwehrmann
an die breite Männerbrust preßte. Ein Dritter endlich zieht die
neutrale Atmosphäre des Konversationszimmers dem mit Elektrizität
überladenen Dunstkreis der Bühne vor, hat sich aber einen Staffetten¬
dienst von freundwilligen Schauspielern eingerichtet, die, gleich
Shakespeareschen Boten, alle fünf Minuten ein anderer, den warten¬
den Autor anfallen und ihm jedes „Hata", jedes „Hihi, jedes „Pßt
der Zuhörer, kurz, jedes kleinste Auf und Ab der Stimmung brüh¬
warm neben das Bierglas oder das Zigarettenetui legen. Aber ob
sie den Komplex des Publikums lieben, hassen oder ihn nur als
möglichst eifrig zu milchende Kuhherde nehmen: ob sie, sobald zwei
Handflächen einander berühren, blitzschnell aus der Kulisse schießen
oder, nach dem gesitteteren Paragraphen eines Umgangskoder mit dem
Theaterpublikum, den zweiten Aktschluß und kräftigere Applausent¬
ladungen abwarten: ob sie dann mit Frank Wedekinds Fünf=Milli¬
meter=Kopfneigung oder mit Gustav Kadelburgs vertraulichem Nicken
grüßen: sobald der intensivere Beifall mit dem Finger winkt, hält
die Gemeinschaft deutscher Dramatiker es genau wie die Liebe: sie
kommt, und sie ist da.
Freilich, dem Schauspieler ist der Applaus, (der übrigens als
ersten Mimen den Charakterspieler Franz Hieronymus Brockmann
am 8. Januar 1778 in Hamburg und als „Hamlet“ vor die Rampe
riß), ein noch stärkerer Lebenstropfen als em Bühnenschriftsteller.
Auch ihn, das im Durchschnittsvergleich mit dem Dramatiker impul¬
sivere, leichter beeinflußbare, von Augenblicksstimmungen abhängigere
Temperament, hat man ja schon häufig, um ihn vor Brutalisierungen
seitens des Publikums zu bewahren, oder auch, um das Desillu¬
sionierende aus dem Rahmentreten des kostümierten Schauspielers zu
vermeiden, vom Applaus abgesperrt. Es weist ja auch wirklich in
vorweltliche Theaterzeiten zurück, wenn z. B. Hamlet, der Däne,
König Claudius, Ophelia am Schlusse des letzten „Hamlet“=Aktes
zugunsten eines lächelnden, winkenden und nickenden Verbeugungs¬
box 44/10
30
Bühne und Welt.
markieren, sie alle haben gegen das „Entwürdigende dieses Vor¬
ganges“ schon manches Prinzipielle gesagt. Aber man glaube ihnen
nicht! Es gibt nur eine kleine Anzahl von Asketen des Hervorrufs:
Hermann Bahr, den man allerdings früher an Premierenabenden
zuweilen derb angeschossen hat, der herbe Max Dreyer, Herbert Eulen¬
berg — mitunter —, auch Gustav Freussen, verzichten dankend. Aber
der Haß der andern gegen den Hervorruf zerstiebt an der ersten
Applaussalve (und es ist verständlich, daß es so ist). Wenn die
Schauspieler nach der Witz= und Effektrakete des zweiten Aktschlusses
die Arme in der Richtung der Seitenkulisse ausstrecken, winken und
nicken, als gälte es, den Verfasser schlimmstenfalls an den Haaren
herbeizuschleifen, so stehen die Herren längst im Anschlag. Ja, sie
kommen, sie kommen, die Himmlischen alle. Dieser kühlt gleich Oskar
Blumenthal das München seiner Nervosität während der ersten
Stunden der Vorstellung an zerbissenen Taschentüchern. Jener tut,
was ich zunächst einmal staunend bei meinem ehemaligen geschätzten
„confrater in comedia“, dem Freiherrn von Schlicht, gewährte, der
bei jedem Lachecho, das einen seiner Scherze im Publikum will¬
kommen hieß, strahlend den in der Kulisse stehenden Feuerwehrmann
an die breite Männerbrust preßte. Ein Dritter endlich zieht die
neutrale Atmosphäre des Konversationszimmers dem mit Elektrizität
überladenen Dunstkreis der Bühne vor, hat sich aber einen Staffetten¬
dienst von freundwilligen Schauspielern eingerichtet, die, gleich
Shakespeareschen Boten, alle fünf Minuten ein anderer, den warten¬
den Autor anfallen und ihm jedes „Hata", jedes „Hihi, jedes „Pßt
der Zuhörer, kurz, jedes kleinste Auf und Ab der Stimmung brüh¬
warm neben das Bierglas oder das Zigarettenetui legen. Aber ob
sie den Komplex des Publikums lieben, hassen oder ihn nur als
möglichst eifrig zu milchende Kuhherde nehmen: ob sie, sobald zwei
Handflächen einander berühren, blitzschnell aus der Kulisse schießen
oder, nach dem gesitteteren Paragraphen eines Umgangskoder mit dem
Theaterpublikum, den zweiten Aktschluß und kräftigere Applausent¬
ladungen abwarten: ob sie dann mit Frank Wedekinds Fünf=Milli¬
meter=Kopfneigung oder mit Gustav Kadelburgs vertraulichem Nicken
grüßen: sobald der intensivere Beifall mit dem Finger winkt, hält
die Gemeinschaft deutscher Dramatiker es genau wie die Liebe: sie
kommt, und sie ist da.
Freilich, dem Schauspieler ist der Applaus, (der übrigens als
ersten Mimen den Charakterspieler Franz Hieronymus Brockmann
am 8. Januar 1778 in Hamburg und als „Hamlet“ vor die Rampe
riß), ein noch stärkerer Lebenstropfen als em Bühnenschriftsteller.
Auch ihn, das im Durchschnittsvergleich mit dem Dramatiker impul¬
sivere, leichter beeinflußbare, von Augenblicksstimmungen abhängigere
Temperament, hat man ja schon häufig, um ihn vor Brutalisierungen
seitens des Publikums zu bewahren, oder auch, um das Desillu¬
sionierende aus dem Rahmentreten des kostümierten Schauspielers zu
vermeiden, vom Applaus abgesperrt. Es weist ja auch wirklich in
vorweltliche Theaterzeiten zurück, wenn z. B. Hamlet, der Däne,
König Claudius, Ophelia am Schlusse des letzten „Hamlet“=Aktes
zugunsten eines lächelnden, winkenden und nickenden Verbeugungs¬