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Bühne und Welt.
Stillebens nebeneinander ihren Auferstehungstag feiern, oder wenn
Johanna d'Arc sich unter dem ihren Leichnam deckenden Fahnen¬
teppich wieder hervorarbeitet, um ihrem geliebten Publikum Gute
Nacht zu sagen. Aber es ist mir bekannt, daß gerade sensible, leicht
antastbare Stimmungsmenschen, wie Josef Kainz und Albert Basser¬
mann, sich seit je bei Diskussionen und Rundfragen mit Entschieden¬
heit auf die Seite des Hervorrufes geschlagen haben: und ich hörte
es von Adalbert Matkowsky selber, daß das Volumen seiner Leistung
stets zusammenschrumpfte, wenn er nach dem Gesetze der Königlichen
Hoftheater in Berlin hinter der Gardine bleiben mußte, während der
Donnersalut der Begeisterung minutenlang, ja viertelstundenlang
gegen den Vorhang Sturm lief. Ich sage: das Publikum ist nicht
immer barmherzig, sondern auch grausam in seinem fanatischen „Nein“.
Hundertmale hat der ständige Spaziergänger durch die Theaterwelt
es erlebt, daß — während der Autor bei Beginn des Schiffbruches
den Abstand wahren konnte — gerade der Schauspieler inner¬
halb der Gefechtslinie rücksichtslos verantwortlich gemacht wurde: und
man weiß, daß Rudolf Rittner gerade an jenen Abenden, an welchen
der Berliner Premierenpöbel nicht nur Herbert Eulenbergs Drama
„Ritter Blaubart“ und Artur Schnitzlers Schauspiel „Der Ruf des
Lebens“, sondern auch die Leistungen Rittners in unmanierlichster
Form in Stücke schlug, aus dieser Respektlosigkeit, die sogar vor dem
„beliebten und verdienten Darsteller“ nicht ins Mauseloch kroch, den
Entschluß faßte, die letzten Konsequenzen zu ziehen und dem Theater
abzusagen! Und dennoch braucht die respektive Eigenart des
Schauspielers diese ständige Korrespondenz mit dem Publikum braucht
den Stimmungselevator des in wohlwollendem Beifall sich aus¬
sprechenden „Ja, ja"; ja, sie ist sogar der Meinung, daß ein Augen¬
blick, gelebt im Paradiese einer am Anfang oder auf dem Zenith
des Abends bejubelten Szene schlimmstenfalls nicht zu teuer mit dem
Tode einer später erfolgenden, glatten Ablehnung gebüßt ist. Und
nur ein großer Künstler, Friedrich Kayßler, begegnet dem Applaus,
diesem Sichaussprechen der großen Menge, wenn er sich ihm stellen
muß, stets mit finsterem Gesicht, mit verachtungsvoll geschürzten
Lippen und mit ernst gerunzelten Brauen, das Schlagwort: „Odi
profanum vulgus et arceo" auf der Zunge. Ihm ist eben die Kunst
Tempeldienst ein heiliges Sichloslösen und Sichentfernen vom
Irdischen, und mit dieser Auffassung hat das Allzuirdische des
Hervorrufs, den ich gewiß als eine Notwendigkeit, bei genauer
Charakterisierung aber nur als ein Erregungsmittel, eine hübsche¬
Spielerei oder einen Geschäftstrick einschätze, natürlich durchaus nichts
zu schaffen.
Walter Turszinsky.

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