13. Miscellaneous
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in der Gruftkapelle bei der Beerdigung des Herrn Grafen. Masian
„Zu dienen, hochwürdiger Herr, die Bäuerin ist da, wo sollt sie
derart in Schmerz aufgelöst, daß er sogar Denen leid that, die ihn am
sein? Im Garten ist sie, in den Erbsen. Ich wer sie gleich rufen.
wenigsten mögen. Evi ciskalt und eher trotzig dreingeschaut. Sie wird
Der Pfarrer wehrte ab: „Nein, führen Sie nich zu ihr."
wohl gedacht haben: um mich würdest du nicht weinen, wie um deinen
„Wie befehlen — wie der hochwürdige Herr befehlen", und die
todten Herrn. Zehn Jahre sind seitdem vergangen. In seinem Testa¬
Kleine lief vor ihm her um das Haus, in den Gerten und rief aus
mente bestimmte der Herr Graf, daß Maslan die herrschaftliche Mühle
allen ihren Kräften: „Bäuerin! Bäuerin. Der hochwürdige Herr Pfarrer
in Pacht haben soll, unter Bedingungen, bei denen er leicht ein wohl¬
will Euch besuchen!"
(Forts. folgt.)
habender Mann hätte werden können. Er hat sich aber seiner Sach
im Anfang wenig angenommen. Erst in letzter Zeit ist er ordentlicher
geworden. Wer weiß, warum — vielleicht die Jahre, vielleicht weil
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seine Gesundheit ausspannt“
„Warum sagen Sie nicht einfach: durch die Gnade Gottes?" fragte
der geistliche Herr.
Aus der Hauptstadt.
Der Doctor reagirte nicht darauf: „Ich betrachte mir die zwei
Leute, wenn sie am Sonntag in die Kirche kommen," fuhr er fort.
Hermann Bahr.
„Er in der ersten Bank rechts, sie in der ersten Bank links. Früher
haben sie vermieden, einander zu treffen, beim Eingang oder beim Aus¬
Von Hermann Bahr. Eine Imitation von Theodor von Sosnosky.
gang; jetzt nicht einmal mehr das".
Da ist Einer, dessen künstlerische Formel ich suchen will, welche
„Und wohnen dem heiligen Liebes= und Versöhnungsopfer un¬
gilt. Das ist dieser Hermann Bahr, den höhnischer Undank den „Herrn
versöhnten Herzens bei?"
aus Linz“ genannt hat. Aus Linz ist er wirklich. Eine spielerische
„Aeußerlich unversöhnt wohl, aber wer weiß, was in ihren Herzen
Laune des Schicksals hat sich den wunderlichen Scherz geleistet, auf dem
vorgeht!"
Mostobstbaume Ober=Oesterreichs diese seltsame, fremdartige Frucht hervor¬
„Ich will suchen, es zu erforschen," versetzte der Priester und er¬
zubringen. Seine Mitbürger, die braven Linzer, lieben die breuen,
hob sich. „Wenn die Frau wirklich noch einen Funken Liebe für ihren
bequemen Philister= und Pensionisten=Wege, welche Herkommen sind. Er
Mann übrig hat, wird sie auch Erbarmen mit ihm haben. Ich werde ihr
aber sucht sich die steilen, heimlichen Pfade, seitab von den andern, die
Erbarmen mit dem Sterbenden anrufen, und hoffentlich nicht umsonst...
locken und verwirren. Verwegene Schwänke im Sinn und köstliche
Sie zweifeln?" unterbrach er sich mit einem mißbilligenden Blick auf
Pläne schlenderte er durch die hellen Straßen und Plätze seiner ehrsamen
Vanka, der die Achseln zuckte.
Vaterstadt. Aber es verdroß ihn dieser ewige Wigidak mit seinen
„Leider kann ich nicht zweifeln, Hochwurden, weil ich weiß, daß
Cravatten und Hemden und der ewige Pupp mit seinen Consitüren, es
hier nichts mehr zu hoffen ist."
verdroß ihn das Café Traelmayr mit den Hofräthen und den Provinz¬
„Davon will ich mich selbst überzeugen."
gigerl. Jähe Dränge reizten ihn, und heilige Wünsche zupften an
Er verabschiedete sich, und der Doctor sah dem stattlichen Herrn
seinen Nerven. Das Wort dieses Rod war es, das ihn trieb, ohne daß
nach, der, rasch und energisch ausschreitend, den Weg in's Dorf
er es noch kannte: „sortir de la banalité“. Und ein anderes Wort
einschlug.
vom weisen Lemaître, welches die Formel ist für die Menschen, die nicht
wie die Andern sind, das setzte er zur That um: „La recherche
pédantesque des sensations rares,
Das Haus Frau Maslan's lag auf dem ziemlich großen und ziemlich
Auf diese Suche ging er und schüttelte den Alltagsstaub seiner
gut gehaltenen Platze des Dorfes, dem Teiche gegenüber, zu dem hin das
Vaterstadt von den ruhelosen Sohlen, um die müssige Provinzathmosphäre
Terrain sich senkte. Als Seitenstück zum siebenhügeligen Rom durfte Raud¬
mit der freien, aber schwülen Luft des einzigen Paris zu vertauschen.
nowitz sich die Siebenbücklige nennen, denn nicht weniger Erhöhungen bil¬
Und er wandelte nun die Boulevards entlang auf und ab, immer
dete der Boden, auf dem die Ortschaft erbaut war. Den höchsten von allen
fort und freute sich sehr, daß er nicht mehr den Wigidak sah und den
krönte das stattlichste Gehöft. Sein mit Schieferplatten gedecktes Dach
Pupp, und eine große Lust kam über ihn, er blähte die Nüstern, spreizte
überragte alle, sogar die ansehnlichsten Bauernhäuser, die den Platz
die Lippen, um den seltenen Duft einzufangen, einzuschlürfen, der diesem
nach rechts und links im unregelmäßigen Halbkreis umschlossen.
gewaltigen Paris aus allen Poren seiner gleißenden Haut strömt, der
Der Pfarrer trat in das Vorgärtchen. Es war von einem grün
berauscht und verführt.
angestrichenen Lattenzaun umgeben, und am Eingang standen zwei
Wie mit liebesgierigen Händen tasteten seine Augen an den
riesige Sonnenblumenstauden wie ein paar Wächter. Ein breiter, gut
Schönheiten und Wundern, die sie da sahen. Die erhabene Gothik der
besandeter Weg führte zwischen Gemüsebeeten geradehin zu den ge¬
Notre Dame, welche erbaut und läutert, die medicatsche Ueppigkeit des
mauerten Stufen der Hausthür, theilte sich dort und lief dem Obst¬
Louvre sah er, den kalten, strengen Classicismus der Madeleine, dieses
garten hinter dem Hause zu. Junge Birn= und Aprikosenbäume, an
griechischen Tempels, der eine römische Kirche ist, und die ungeheuere
Treillagen gezogen, breiteten ihre mit Früchten behangenen Zweige
Kuppel des Invalidendomes, der dem Atlas mit der Weltkugel gleicht
zwischen den sechs Fenstern der Fronte aus. Große Fenster mit blinkenden
Sein Ohr aber vernahm die kecken Chansons dieser dicken Judic und
Scheiben und vorspringenden Simsen, auf denen ein farbenheiterer Flor
die boulangisirenden Gesänge des Paulus, der in Wien Guschelbauer
von Rosen, Geranien und Nelken duftete und prangte.
heißt. Er vernahm auch die Glockentöne von Saint=Germain l'Auxerrois,
Eine kleine, alte Person, die, mit Unkrautjäten beschäftigt, auf
welche einstmals die blutigen Brünste der Bartholomäusnacht einge¬
dem Boden gekauert hatte, wendete beim Eintreten des Geistlichen den
läutet haben.
Kopf, schob das Tuch, das ihr über das halbe Gesicht gefallen war,
Und dann ging er in die Museen. Da fiel es ihm wie Schuppen
zurück und kam auf den Besucher zu mit einem freundlich demüthigen:
von den Augen, die starrten und sogen. In seiner jauchzenden Seele
„Gelobt sei Jesus Christus!"
hub es an zu blühen von den unerhörten Wundern des Pinsels, von
„In Ewigkeit, Amen,“ erwiderte er, und sie legte die schmutzigen
den gewaltigen Gesängen der Farbe. Die schillernde Pracht des Besnard,
Hände auf den Rücken, streckte den Hals und küßte, ohne sich bücken zu
die seltene Kunst des Whistler, der das je ne sais quoi der fragenden
müssen, die herabhängende Hand des Priesters.
Seele malt und die Mystik des Knopff, welchen man den Maeterlinck
„Ich möchte mit der Frau sprechen," sagte er. „Ist sie da?"
der Malerei nennen möchte.
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in der Gruftkapelle bei der Beerdigung des Herrn Grafen. Masian
„Zu dienen, hochwürdiger Herr, die Bäuerin ist da, wo sollt sie
derart in Schmerz aufgelöst, daß er sogar Denen leid that, die ihn am
sein? Im Garten ist sie, in den Erbsen. Ich wer sie gleich rufen.
wenigsten mögen. Evi ciskalt und eher trotzig dreingeschaut. Sie wird
Der Pfarrer wehrte ab: „Nein, führen Sie nich zu ihr."
wohl gedacht haben: um mich würdest du nicht weinen, wie um deinen
„Wie befehlen — wie der hochwürdige Herr befehlen", und die
todten Herrn. Zehn Jahre sind seitdem vergangen. In seinem Testa¬
Kleine lief vor ihm her um das Haus, in den Gerten und rief aus
mente bestimmte der Herr Graf, daß Maslan die herrschaftliche Mühle
allen ihren Kräften: „Bäuerin! Bäuerin. Der hochwürdige Herr Pfarrer
in Pacht haben soll, unter Bedingungen, bei denen er leicht ein wohl¬
will Euch besuchen!"
(Forts. folgt.)
habender Mann hätte werden können. Er hat sich aber seiner Sach
im Anfang wenig angenommen. Erst in letzter Zeit ist er ordentlicher
geworden. Wer weiß, warum — vielleicht die Jahre, vielleicht weil
6
seine Gesundheit ausspannt“
„Warum sagen Sie nicht einfach: durch die Gnade Gottes?" fragte
der geistliche Herr.
Aus der Hauptstadt.
Der Doctor reagirte nicht darauf: „Ich betrachte mir die zwei
Leute, wenn sie am Sonntag in die Kirche kommen," fuhr er fort.
Hermann Bahr.
„Er in der ersten Bank rechts, sie in der ersten Bank links. Früher
haben sie vermieden, einander zu treffen, beim Eingang oder beim Aus¬
Von Hermann Bahr. Eine Imitation von Theodor von Sosnosky.
gang; jetzt nicht einmal mehr das".
Da ist Einer, dessen künstlerische Formel ich suchen will, welche
„Und wohnen dem heiligen Liebes= und Versöhnungsopfer un¬
gilt. Das ist dieser Hermann Bahr, den höhnischer Undank den „Herrn
versöhnten Herzens bei?"
aus Linz“ genannt hat. Aus Linz ist er wirklich. Eine spielerische
„Aeußerlich unversöhnt wohl, aber wer weiß, was in ihren Herzen
Laune des Schicksals hat sich den wunderlichen Scherz geleistet, auf dem
vorgeht!"
Mostobstbaume Ober=Oesterreichs diese seltsame, fremdartige Frucht hervor¬
„Ich will suchen, es zu erforschen," versetzte der Priester und er¬
zubringen. Seine Mitbürger, die braven Linzer, lieben die breuen,
hob sich. „Wenn die Frau wirklich noch einen Funken Liebe für ihren
bequemen Philister= und Pensionisten=Wege, welche Herkommen sind. Er
Mann übrig hat, wird sie auch Erbarmen mit ihm haben. Ich werde ihr
aber sucht sich die steilen, heimlichen Pfade, seitab von den andern, die
Erbarmen mit dem Sterbenden anrufen, und hoffentlich nicht umsonst...
locken und verwirren. Verwegene Schwänke im Sinn und köstliche
Sie zweifeln?" unterbrach er sich mit einem mißbilligenden Blick auf
Pläne schlenderte er durch die hellen Straßen und Plätze seiner ehrsamen
Vanka, der die Achseln zuckte.
Vaterstadt. Aber es verdroß ihn dieser ewige Wigidak mit seinen
„Leider kann ich nicht zweifeln, Hochwurden, weil ich weiß, daß
Cravatten und Hemden und der ewige Pupp mit seinen Consitüren, es
hier nichts mehr zu hoffen ist."
verdroß ihn das Café Traelmayr mit den Hofräthen und den Provinz¬
„Davon will ich mich selbst überzeugen."
gigerl. Jähe Dränge reizten ihn, und heilige Wünsche zupften an
Er verabschiedete sich, und der Doctor sah dem stattlichen Herrn
seinen Nerven. Das Wort dieses Rod war es, das ihn trieb, ohne daß
nach, der, rasch und energisch ausschreitend, den Weg in's Dorf
er es noch kannte: „sortir de la banalité“. Und ein anderes Wort
einschlug.
vom weisen Lemaître, welches die Formel ist für die Menschen, die nicht
wie die Andern sind, das setzte er zur That um: „La recherche
pédantesque des sensations rares,
Das Haus Frau Maslan's lag auf dem ziemlich großen und ziemlich
Auf diese Suche ging er und schüttelte den Alltagsstaub seiner
gut gehaltenen Platze des Dorfes, dem Teiche gegenüber, zu dem hin das
Vaterstadt von den ruhelosen Sohlen, um die müssige Provinzathmosphäre
Terrain sich senkte. Als Seitenstück zum siebenhügeligen Rom durfte Raud¬
mit der freien, aber schwülen Luft des einzigen Paris zu vertauschen.
nowitz sich die Siebenbücklige nennen, denn nicht weniger Erhöhungen bil¬
Und er wandelte nun die Boulevards entlang auf und ab, immer
dete der Boden, auf dem die Ortschaft erbaut war. Den höchsten von allen
fort und freute sich sehr, daß er nicht mehr den Wigidak sah und den
krönte das stattlichste Gehöft. Sein mit Schieferplatten gedecktes Dach
Pupp, und eine große Lust kam über ihn, er blähte die Nüstern, spreizte
überragte alle, sogar die ansehnlichsten Bauernhäuser, die den Platz
die Lippen, um den seltenen Duft einzufangen, einzuschlürfen, der diesem
nach rechts und links im unregelmäßigen Halbkreis umschlossen.
gewaltigen Paris aus allen Poren seiner gleißenden Haut strömt, der
Der Pfarrer trat in das Vorgärtchen. Es war von einem grün
berauscht und verführt.
angestrichenen Lattenzaun umgeben, und am Eingang standen zwei
Wie mit liebesgierigen Händen tasteten seine Augen an den
riesige Sonnenblumenstauden wie ein paar Wächter. Ein breiter, gut
Schönheiten und Wundern, die sie da sahen. Die erhabene Gothik der
besandeter Weg führte zwischen Gemüsebeeten geradehin zu den ge¬
Notre Dame, welche erbaut und läutert, die medicatsche Ueppigkeit des
mauerten Stufen der Hausthür, theilte sich dort und lief dem Obst¬
Louvre sah er, den kalten, strengen Classicismus der Madeleine, dieses
garten hinter dem Hause zu. Junge Birn= und Aprikosenbäume, an
griechischen Tempels, der eine römische Kirche ist, und die ungeheuere
Treillagen gezogen, breiteten ihre mit Früchten behangenen Zweige
Kuppel des Invalidendomes, der dem Atlas mit der Weltkugel gleicht
zwischen den sechs Fenstern der Fronte aus. Große Fenster mit blinkenden
Sein Ohr aber vernahm die kecken Chansons dieser dicken Judic und
Scheiben und vorspringenden Simsen, auf denen ein farbenheiterer Flor
die boulangisirenden Gesänge des Paulus, der in Wien Guschelbauer
von Rosen, Geranien und Nelken duftete und prangte.
heißt. Er vernahm auch die Glockentöne von Saint=Germain l'Auxerrois,
Eine kleine, alte Person, die, mit Unkrautjäten beschäftigt, auf
welche einstmals die blutigen Brünste der Bartholomäusnacht einge¬
dem Boden gekauert hatte, wendete beim Eintreten des Geistlichen den
läutet haben.
Kopf, schob das Tuch, das ihr über das halbe Gesicht gefallen war,
Und dann ging er in die Museen. Da fiel es ihm wie Schuppen
zurück und kam auf den Besucher zu mit einem freundlich demüthigen:
von den Augen, die starrten und sogen. In seiner jauchzenden Seele
„Gelobt sei Jesus Christus!"
hub es an zu blühen von den unerhörten Wundern des Pinsels, von
„In Ewigkeit, Amen,“ erwiderte er, und sie legte die schmutzigen
den gewaltigen Gesängen der Farbe. Die schillernde Pracht des Besnard,
Hände auf den Rücken, streckte den Hals und küßte, ohne sich bücken zu
die seltene Kunst des Whistler, der das je ne sais quoi der fragenden
müssen, die herabhängende Hand des Priesters.
Seele malt und die Mystik des Knopff, welchen man den Maeterlinck
„Ich möchte mit der Frau sprechen," sagte er. „Ist sie da?"
der Malerei nennen möchte.