VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 11

13.
Miscellaneous
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Carl Busse
das Wien der Proletarier, der Zuhälter, der
Tiefe bloß grau wäre und daß alle Töchter
Dirnen, der Mädchenhändler! Die alten
des Volkes die Opfer ihrer Armut und Schön¬
schönen Paläste, die vornehmen Salons, die
heit würden. „Alle Töchter sind net gleich,
„baumrauschenden Gärten versinken — un
läßt er den Kellerlacher in seinem letzten Briefe
ser Erzähler kennt sie nicht. Er kennt nur
schreiben, und verschieden wie die Menschen
die langweiligen geraden Gassen und ihre
ist ihr Los. Fünf Mädchenschicksale rollt
in schwindelndhohen Vogelkäfigen hausenden
er vor uns auf. Da ist die Reserl, die von
Menschen. „Die Reichen, Ästhetischen, Ge¬
Mädchenhändlern in Budapester Freuden¬
bildeten," sagt er, „haben genug Schilderer
häuser verschleppt wird; die Mirzl, die sich
die Leute, die ich vor euch hinstelle, sind
aus Furcht vor der Schande vergiftet; die
simple Dutzendware, aber sie lachen und
Tini, die das geborne Dirnchen ist und sich
weinen auch und sind im Notfall nicht heikel
ein behagliches Leben schafft; die Annerl,
eine Tragödie aufzubringe
die einen schlichten Mann ihrer Kreise heiratet
Schon in diesen Worten hört man vielleicht
und eine gute, tüchtige Geschäftsfrau wird;
einen Unterton von Groll und Liebe, und
die Poldi, die das große Los zieht und von
der Ton geht durch das ganze Buch. Immer
der wir etwas mehr sagen müssen. Die
wenn Karl Adolph an die „Gesellschaft
Poldi nämlich ist Karl Adolphs Liebling, sie
denkt, an die „besitzende Klasse", wird er
ist die ideale Heldin, sie hat einen Bruder,
kratzbürstig. Er gesteht ganz offen ein, daß
der Zuhälter, und eine Schwester, die Dirne
diese Kreise „sowohl seiner Erfahrung wie
ist, aber sie selbst blüht wie eine Lilie aus
seinem Verständnis fernliegen", daß er sie
Dürftigkeit und Elend, ist unmenschlich brav,
aber trotzdem mißbilligt. Er bekennt ehrlich
unmenschlich arm, unmenschlich schön: die
daß seine „Abneigung gegen Grafen und ihr
Tugend, die zuletzt zur reichbesetzten Tafel
Begleiterscheinungen darauf beruhen mag
geführt wird. Ein Künstler heiratet sie, ein
daß er „selber keiner“ ist, doch er sieht jeden „reckenhafter, siegfriedsgleicher Sänger“, der
falls „auf einen Grafen aus Grundsatz herab
„über alle Maßen schön und männlich“ ist,
Solche naiven Geständnisse haben etwas Ent¬
und liebliche Kinder umspielen sie in der
waffnendes. Sie fallen auch nicht weiter
glücklichsten Ehe. Das ist der köstliche Lohn
ins Gewicht, weil sich der Erzähler hütet
ihrer Bravheit.
Gestalten aus jenen mißmutig betrachteten
Da zuckt wohl ein Spottlächeln in den Mund¬
Bezirken zu beschwören. Er knurrt nur in winkeln, aber es verschwindet bald. Gewiß
einem instinktiven Groll. Und ebenso knurr
mahnt diese ganze Poldi an die klischierten
er gegen die Ästheten, gegen die „dilettieren¬
Engel der Kolportageromane, die zuletzt den
den Muttersöhnchen aus seinen Familien“
Grafen kriegen, doch wenn sie selbst nicht als
denen die Kunst „Selbstzweck“ ist. Ebenso
echt bezwingt, so bezwingt die echte Liebe
gegen die gewisse moderne Art „seliger
und Freude, mit der Karl Adolph jeden Preis
Schmalzl=Literatur, die uns vorligt, daß
des Lebens in ihre Hände legt. Das ganze
die Wiener Luft von Tönen Beethovens
übrige Werk sagt hochst realistisch: So ist
Schuberts, Mozarts durchklungen sei, während
das Leben! Aber vor der Poldi heißt es:
doch nur Grammophon, Operetten= und
So kann es auch einmal sein und so sollte es
Tingeltangelmusik sie durchschrillen. Aber
immer sein! Darüber zu höhnen bringe ich
wie hier der Zorn hervorbricht, so bricht nicht fertig, denn in ungeschicktester Form
rührend und verklärend, bricht hundertmal
ringt sich hier ein heißer, starker, gefühlsechter
stärker doch auch die Liebe hervor — die
Glaube an eine „göttliche Weltordnung" aus
Liebe zu dem Volke, das tiefgebückt im Fron¬
den Tiefen.
Er macht die literarischen Un¬
dienst arbeitet, die Liebe zu den Gestalten
möglichkeiten am Ende wett, besonders da
deren Schicksal verfolgt wird. Und das ist
sämtliche übrigen Gestalten auf festerem Grund
das Bezwingende dieses Romans, daß er so
und Boden stehn. Man könnte allerdings
warm und menschlich ist. Deshalb möchten
finden, daß in diesem Töchterroman über¬
wir seinem Verfasser eben die Hand schütteln.
haupt nicht die Töchter, sondern ihre Väter
Er zeigt uns wieder einmal, wie ärmlich
die stärkere Lebenskraft abbekommen haben.
und eng und feige die berühmte impassibi¬
Gegen die beiden „Spezi“, die „Standrat¬
lité der Artisten ist, wie sie sich durch ihre Un¬
schen“ und den Kellerlacher, kann sich nicht¬
persönlichkeit und Teilnahmslosigkeit selbst
Weibliches behaupten, selbst die Tini Trümmer
betrügen! Nein — der Dichter soll mit
nicht, und es steigt einem eine kleine dumme
seinem leidenschaftlichen Herzen offen hervor
Rührung auf, wenn die Schimpffreundschaft
treten, er soll in Liebe und Zorn Partei
der beiden „Fiaker sich zuletzt im Ernsten
ergreifen, er soll mit jedem seiner Werke
so schön bewährt. Auch der Hausmeister,
Zeugnis ablegen von der Entwicklungsstufe
der einarmige Vater Schaumann, der liebens¬
die er gerade erreicht hat. Nur wer selber würdige Lump und „Drahrer Herr Müller,
glüht, wird uns entzünden
der „a großer Fallot“ ist, sprechen noch zu
Er braucht deshalb noch lange kein Ten= uns, wenn das Buch selbst schon längst zu
denzmeier zu sein. Das ist auch unser Karl
Ende ist. Und höher wieder als die einzelnen
Adolph nicht. Er gibt nicht bloße Elends= und
Gestalten steht das Gesamtbild. Man braucht
Zustandsschilderungen im Anklagegeschmack niemals in Wien gewesen zu sein und wird
wie einst der Naturalismus. Es fällt ihm
doch jeden Schwur leisten, daß es bis zum
nicht ein zu behaupten, daß die Welt der i=Tüpfelchen echt und richtig gesehen ist.