13. Miscellanen
Gerüst seines Baues und kann über
der Zutaten nicht forttäuschen. Als
reller Lebenserfassung macht er zu¬
lichen Fund. Er trägt ihn in seine
erarbeit, die ihn nicht haben will.
man in Henri Bernsteins erstem Akt
le Guenn, der wahrhaft liebt und
sung wagt, weil er sein Mißtrauen
genheit der geliebten Frau nicht über¬
och nicht etwa ein berechtigtes Mi߬
glaubt den vollen, feurigen Glauben
einheit. Er besitzt ihn, aber das Leben
herein, daß er ihn nicht besitzen durfte.
Jahren ein Verhältnis gehabt, das
lück ergriffen, trotz ihrem ernsten Vor¬
gesteht. Hier nestelt sich in der Tat
and Tiefes, dem Franzosen nicht Zu¬
och er, der weder Henri noch Bernstein
Bernstein, vergißt im zweiten Akt,
gegeben. Laßt mich mit der Psycho¬
enkt er — ich muß vor allen Dingen
Szene kommen. Der dumme Deutsche
chenkt. Enttäuscht sieht er Denis und
em feinen Gespinst heraushüpfen und
riser Herrschaften der Grobschlächtig¬
st freilich besinnt sich Henri Bernstein,
gesgewiß zu werden, auch wieder auf
de. Aber der Faden, den er in die
eint nicht der richtige zu sein. Er hat
enden Moment vergriffen. Gabriele
undin Henriettens, hatte auch der Zu¬
ertrauen zu dürfen geglaubt; er hatte
men können, daß da eine giftige
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Schlange am Busen des Schauspiels genährt wurde.
Von solcher verderbten Psyche war im ersten und
zweiten Akt nichts vorbereitet worden. Doch im dritten,
ja im dritten, muß die arme Gabriele für Henri Bern¬
steins psychologisches Gewissen herhalten. Sie offenbart
sich plötzlich als ein wirres, psychopathisches Problem
des Neides. Man sitzt verdonnert vor einem Vulkan,
der aus einer blumigen Wiese bricht. Man erlebt die
erste große Szene à la psychologie. Aber man geht
nicht mit. Man sieht keinen Übergang und macht dem
klugen Architekten Vorwürfe. Das ist das Schlimmste
für ein französisches Drama.
Zwischen Import und Import leben wir Deutschen.
Aber wir dürfen dem Südosten treuer bleiben als dem
Nordwesten. Aus Österreich kam uns sogar immer
wieder die ersehnte, steigernde Ergänzung. In ein
goldenes, ewig zugängliches Land sehen wir hinüber,
wenn wir von Grillparzer zu Anzengruber, von Anzen¬
gruber zu Schnitzler blicken. Aber man mache beizeiten
seine Gefühle rar. Der deutsche Michel wird auch
leicht nach der anderen Seite hin zu gläubig. Das gal¬
lische Gift ist freilich in jedem Falle schlimmer als das
wienerische Zuckerwerk. Nun möge man sich zusammen¬
nehmen und nicht mit dem anmutig Gebärdenhaften,
immer Wiederholten seinen Magen überladen. Wir
begreifen hier nun einmal nicht, was eine „Jause" ist,
auch nicht die dramatische Jause. Das ist ein Geschlecht
von Komödien, die in Wien wohl hundertfach ge¬
schrieben worden sind, aber von Fall zu Fall die
Physiognomien der leitenden Dichter annehmen.
Martha Karlweis, deren Komödie „Der Herrenmensch
das Münchener Residenztheater ans Licht gebracht hat,
ist eine Tochter des handfesten, klugen Volksstückdichters
C. Karlweis, der nun schon lange im Jenseits weilt.
Ihre Kindheit war noch vom anzengruberischen Wien
umwittert, ihr Reisen sah den Aufstieg Artur Schnitzlers
und Hermann Bahrs. So plaudert sie im Banne der
Meister, eine sympathische junge Wienerin. Sie richtet
eine recht wohlschmeckende dramatische Jause her. Zu¬
weilen kriegt man sogar einen Ruck, wenn perlender
Kaviar auf ihren Brötchen serviert wird. Aber die Ver¬
gänglichkeit des Genusses muß erkannt werden. Man
geht als grausamer Genießer von ihm erst zur Kunst
über. Wie etwa in Wien von einer vornehmen Jause
ins Burgtheater. Dennoch „lügen solche Stunden nicht.
Man behält eine bessere Erinnerung an sie als an das
lauernde Raffinement des Pariser Salons. Die
Wienerin ist nicht raffiniert. Die Wienerin geht mit
ihrer Seele leichter Last durch das goldene Land unserer
Träume. Gerührt denkt man daran, daß diese junge
Dame, die sich nun lächelnd auf einer Münchener Bühne
verneigt, ein Spielkind gewesen ist, als man zum ersten¬
mal nach Wien gekommen, mit dem ganzen Glauben
noch an die Stadt der gewaltigen Erbschaft.
Walt Whitman,
Schritt für Schritt, doch unablässig und mit stetig zunehmen¬
der Einwirkung hat der innerste, neue, tragende Kultursinn
Amerikas, der „Neuen Welt“, und hat seine erste große geistig¬
synthetische Offenbarung, hat die Persönlichkeit Walt Whit¬
mans und haben seine „Grashalme" im Bereich unserer
modernen europäischen Kultur seit 22 Jahren Raum gewon¬
nen. Besonders erstaunlich aber muß die Beachtung anmuten,
die Whitman seither gerade in Frankreich und in den roma¬
nischen Ländern gefunden hat! Denn sie ist sogar eine ent¬
Gerüst seines Baues und kann über
der Zutaten nicht forttäuschen. Als
reller Lebenserfassung macht er zu¬
lichen Fund. Er trägt ihn in seine
erarbeit, die ihn nicht haben will.
man in Henri Bernsteins erstem Akt
le Guenn, der wahrhaft liebt und
sung wagt, weil er sein Mißtrauen
genheit der geliebten Frau nicht über¬
och nicht etwa ein berechtigtes Mi߬
glaubt den vollen, feurigen Glauben
einheit. Er besitzt ihn, aber das Leben
herein, daß er ihn nicht besitzen durfte.
Jahren ein Verhältnis gehabt, das
lück ergriffen, trotz ihrem ernsten Vor¬
gesteht. Hier nestelt sich in der Tat
and Tiefes, dem Franzosen nicht Zu¬
och er, der weder Henri noch Bernstein
Bernstein, vergißt im zweiten Akt,
gegeben. Laßt mich mit der Psycho¬
enkt er — ich muß vor allen Dingen
Szene kommen. Der dumme Deutsche
chenkt. Enttäuscht sieht er Denis und
em feinen Gespinst heraushüpfen und
riser Herrschaften der Grobschlächtig¬
st freilich besinnt sich Henri Bernstein,
gesgewiß zu werden, auch wieder auf
de. Aber der Faden, den er in die
eint nicht der richtige zu sein. Er hat
enden Moment vergriffen. Gabriele
undin Henriettens, hatte auch der Zu¬
ertrauen zu dürfen geglaubt; er hatte
men können, daß da eine giftige
box 44/10
Schlange am Busen des Schauspiels genährt wurde.
Von solcher verderbten Psyche war im ersten und
zweiten Akt nichts vorbereitet worden. Doch im dritten,
ja im dritten, muß die arme Gabriele für Henri Bern¬
steins psychologisches Gewissen herhalten. Sie offenbart
sich plötzlich als ein wirres, psychopathisches Problem
des Neides. Man sitzt verdonnert vor einem Vulkan,
der aus einer blumigen Wiese bricht. Man erlebt die
erste große Szene à la psychologie. Aber man geht
nicht mit. Man sieht keinen Übergang und macht dem
klugen Architekten Vorwürfe. Das ist das Schlimmste
für ein französisches Drama.
Zwischen Import und Import leben wir Deutschen.
Aber wir dürfen dem Südosten treuer bleiben als dem
Nordwesten. Aus Österreich kam uns sogar immer
wieder die ersehnte, steigernde Ergänzung. In ein
goldenes, ewig zugängliches Land sehen wir hinüber,
wenn wir von Grillparzer zu Anzengruber, von Anzen¬
gruber zu Schnitzler blicken. Aber man mache beizeiten
seine Gefühle rar. Der deutsche Michel wird auch
leicht nach der anderen Seite hin zu gläubig. Das gal¬
lische Gift ist freilich in jedem Falle schlimmer als das
wienerische Zuckerwerk. Nun möge man sich zusammen¬
nehmen und nicht mit dem anmutig Gebärdenhaften,
immer Wiederholten seinen Magen überladen. Wir
begreifen hier nun einmal nicht, was eine „Jause" ist,
auch nicht die dramatische Jause. Das ist ein Geschlecht
von Komödien, die in Wien wohl hundertfach ge¬
schrieben worden sind, aber von Fall zu Fall die
Physiognomien der leitenden Dichter annehmen.
Martha Karlweis, deren Komödie „Der Herrenmensch
das Münchener Residenztheater ans Licht gebracht hat,
ist eine Tochter des handfesten, klugen Volksstückdichters
C. Karlweis, der nun schon lange im Jenseits weilt.
Ihre Kindheit war noch vom anzengruberischen Wien
umwittert, ihr Reisen sah den Aufstieg Artur Schnitzlers
und Hermann Bahrs. So plaudert sie im Banne der
Meister, eine sympathische junge Wienerin. Sie richtet
eine recht wohlschmeckende dramatische Jause her. Zu¬
weilen kriegt man sogar einen Ruck, wenn perlender
Kaviar auf ihren Brötchen serviert wird. Aber die Ver¬
gänglichkeit des Genusses muß erkannt werden. Man
geht als grausamer Genießer von ihm erst zur Kunst
über. Wie etwa in Wien von einer vornehmen Jause
ins Burgtheater. Dennoch „lügen solche Stunden nicht.
Man behält eine bessere Erinnerung an sie als an das
lauernde Raffinement des Pariser Salons. Die
Wienerin ist nicht raffiniert. Die Wienerin geht mit
ihrer Seele leichter Last durch das goldene Land unserer
Träume. Gerührt denkt man daran, daß diese junge
Dame, die sich nun lächelnd auf einer Münchener Bühne
verneigt, ein Spielkind gewesen ist, als man zum ersten¬
mal nach Wien gekommen, mit dem ganzen Glauben
noch an die Stadt der gewaltigen Erbschaft.
Walt Whitman,
Schritt für Schritt, doch unablässig und mit stetig zunehmen¬
der Einwirkung hat der innerste, neue, tragende Kultursinn
Amerikas, der „Neuen Welt“, und hat seine erste große geistig¬
synthetische Offenbarung, hat die Persönlichkeit Walt Whit¬
mans und haben seine „Grashalme" im Bereich unserer
modernen europäischen Kultur seit 22 Jahren Raum gewon¬
nen. Besonders erstaunlich aber muß die Beachtung anmuten,
die Whitman seither gerade in Frankreich und in den roma¬
nischen Ländern gefunden hat! Denn sie ist sogar eine ent¬