VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 33

13 Miscellaneous
box 44/10
Die Capus und die anderen Ausländer.
In der morgen erscheinenden Nummer der „Danzerschen
Armee-Zeitung" lesen wir folgende treffenden Worte:
Die Waffenbrüderschaft im Felde hat in Deutschland
auch in literarischen und künstlerischen Dingen ein
gesteigertes Interesse für Oesterreich hervorgerufen. Dies
beweisen nicht allein die Neugründung der „Oester¬
reichischen Bibliothek des Leipziger Inselverlages und
die Erfolge der Wiener Modebestrebungen auf deutschem
Boden, sondern auch die Gestaltung der Spielpläne der
deutschen Theater. So wurde beispielsweise in einem
großen französischen Freilufttheater, die sich im Bereiche
der deutschen Armee befinden, von ersten deutschen
Schauspielern Grillparzers unvergängliches Lustspiel
Weh dem, der lügt!“ aufgeführt. Das Hamburger
Schauspielhaus kündigt für die kommende Spielzeit einen
Zyklus von Werken österreichischer Dichter in chrono¬
logischer Reihenfolge an, um, wie es in der Verlaut¬
barung heißt, „das dramatische Schaffen auf der
Seite unserer Bundesgenossen von Beginn des vorigen
Jahrhunderts an bis zur heutigen Zeit auf die Bühne
zu bringen.“ Aber auch in den Spielplänen aller an¬
deren deutschen Bühnen nehmen die Werke österreichischer
Dichter einen sehr breiten Raum ein. Leider sehen wir
aber vielfach auch einen Anlaß zu dieser Bevorzugung
österreichischer Autoren, der uns mit gemischten Gefühlen
erfüllt: Der Krieg fegte die gewohnte leichte französische
Ware aus der deutschen Offentlichkeit und die Capus,
Cavuillet und de Flers, Richerin, Becque, Lavedan usw.
dürfen nicht erscheinen, zum Schmerz der Theaterleiter
und des unkritischen großen Publikums, die die pikante
und flotte Mache bitter entbehren. Hier erscheint nun
jene gewisse Gattung von Wiener Literaten als Rettung,
wobei die Waffenbrüderschaft, Grillparzer, Raimund und
Anzengruber nur den Vorwand bilden. Die Auern¬
heimer, Salten, Schnitzler, Hirschfeld, Hans Müller
usw. usw. machen ja ihre Sache beinahe ebenso reizvoll,
anzüglich, vieldeutig und leicht obenhin wie die
Franzosen, man merkt kaum den Unterschied.
Daß die Ware, die wir solcherart exportieren — vor
allem die Wienerische Operette, die ja auch schon vor
dem Kriege den deutschen Markt beherrschte — minder¬
wertig ist, wäre an sich kein so großes Unglück — wem
das seichte Geplätscher und das gedankenlose Geklingel
gefällt, möge sich daran ergötzen — aber leider hat
dieser Export minderwertiger literarischer Ware noch
eine unvorhergesehene, höchst bedauerliche Wirkung:
Unsere Freunde im Deutschen Reiche bilden sich ganz
unwillkürlich nach den geistfunkelnden und gleichzeitig
sentimentalen und stets zum Ehebruch geneigten Männ¬
lein und Weiblein dieser Wiener Salonstücke und nach
den niedriggestirnten Tenorhelden der Operettentexte ihre
Vorstellung von dem Wesen des Oesterreichers. Aber
aus den Werken der Auernheimer und Salten spricht
auch nicht ein Hauch des wirklichen Wiens, geschweige
des wirklichen großen Oesterreichs und wir wollen so
oft und so nachdrücklich wie nur möglich unsere schwache
Stimme gegen solche Mißverständnisse erheben!
Situationen zu stellen, wenn
Tagesbericht.
der Alltäglichkeit sehen wollen,
a
Szenen, die Beschränkung
L'esprit du coeur auf der Bühne.
fordern, wie ermöglichen Sie
Von Marcel Schulz.
vor uns erstehen zu las
Aus einer in der Alliance Française abgehaltenen Conference.
verständlich zu machen, ei
Jeder hat eine andere Auffassung von der Bedeutung
schildern?
des Theaters: die einen wollen ihm durchaus eine mora¬
Daß die Frage doch lot
lische, erziehende Rolle zuteilen, in der festen Ueberzeugung,
Donnay, Porto-Riche, und
daß es ein verfeinerer Automat für beredte Strafpredigten
zustande gebracht? Mit Hilf
gegen die Laster der Gesellschaft sei; andere wieder bevor¬
fälligen kleinen Gottes, der sie
zugen heftige Erregungen; andere suchen im Theater bloß
Lippen zu setzen braucht, um
Zerstreuung, groben Witz, Nervenkitzel oder gar bloß ein
Seele hervorzuzaubern. Dieser
angenehmes Schlafmittel. Ich würde nicht fertig werden,
als der „Esprit.
wollte ich alle die Gründe aufzählen, die Pariser und
Vor einiger Zeit, als
Wiener dazu treiben, sich zwischen sieben und zehn, oder neun
reizenden französischen Stücke
und zwölf, in diese seltsamen Gebäude zusammenzudrängen,
die man Theater nennt.
ma femme“, schrieb J. N.
auf den „Esprit" und sagte
Beobachten wir aber vor einer „Premiere etwas ge¬
es nicht glauben, aber der „E
nauer diese kaum merkliche innere Unruhe, die durch das
Herzen einen reizenden, innige
Publikum zittert, so muß es uns zum Bewußtsein kommen
daß hier doch eine Anzahl von Menschen vor allem darauf
Schnitzler Donnay und
ungeduldig wartet, einige Stunden lang ein intensiveres
gepriesenen dramatischen
Leben zu leben. Ich erinnere mich, wie einmal, bei der
„Esprit" und Herz in dieser
Aufführung des „Duel“ von Lavedan, eine Dame hinter
also, was aus dieser Verbindu¬
mir plötzlich, ohne die geringste Pose, ohne die mindeste
reich entsprungen ist, und ver¬
Affektation, plötzlich ausrief: „Ah! j'aime le théâtre,
Theater zu legitimieren, da sie
parce que c'est la vie exaltée de l'esprit et du coeur!
In den meisten ihrer
Ob sie nicht recht hatte!
nannten Dramatiker mitten in
Wenn aber das Theater wirklich eine Steigerung des
das Leben, wo keine theatral
Geistes- und Seelenlebens hervorrufen soll, wie kann er
Handlung während eines Alt¬
diesen Zweck erreichen? Mit anderen Worten, wann sehen
in so kurzer Zeit so viele E¬
wir uns am meisten ergriffen, wann fühlen wir uns in Dialoge, in welchen troß allem
unserem Geiste am meisten geweckt und leicht? Ueber den
aus denen Charaktere lebendi¬
Punkt gerät man oft in Irrtümer, denn wir sind geneigt,
alles dank dem „Esprit des
die stärkste Wirkung, den außerordentlichsten Situationen
Dieser „Esprit" des
beizumessen, die man übrigens „dramatisch" zu nennen
nicht etwas Abstraktes, Un¬
übereingekommen ist, den Lustspielszenen, wo die „Charge
hübsches Wort, das vielerlei
sich bereits dem Unsinn nähert. Und doch steht das nicht
wort", wie Sie sagen, ein,
höher, als die einfache Erschütterung der Nerven, wie sie
sagen, und ich möchte Sie auf
etwa einen Schuß auf der Bühne begleitet. Nein, wir suchen
weisen, in welchen er zutage
vor allem im Theater, daß man uns lebenwahre Menschen
besten an den verschiedenen A
vorführe, die ein unmittelbares Echo in uns wecken, und
Donnay, Porto-Riche und
an denen wir Lust und Schmerz, Freude und Leiden
Temperament, dieser „Esprit
Hoffen und Verzichten sehen können — all das ohne grobe
Porto-Riche ist eine lei
Effekte, ohne grelle Farben, ohne falsche Beleuchtung, der feinen Stimmung, zu de
Freilich verlangt die Bühne ihre eigene Perspektive, ihre
stellt er sie in einem Augenbli¬
eigenen Gesetze, und wenn Sie dem Dichter das Recht ab¬
wo jede Ausdrucksfähigkeit üb¬
sprechen, seine Personen in aufregende und ungewöhnliche weint, aber man weint nicht be¬