VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 35

13. Miscellaneous
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Pronie, scharf, beißend, die nichts schont, die aus In dem reizenden Einakter Abschiedsouper das auch
stimmt, wenn auch nichts mehr darin liegt. Deshalb wird
orte oder einer Situation aufblitzt.
in Paris unter dem Titel „Souper d'adieu“ einen durch¬
man so bald jenes „Esprit müde, der aus dem bloßen
ders sind Donnay und Schnitzler: auch ihr
schlagenden Erfolg erzielt hat, beschreibt Anatol seinen
Verstand stammt, wie der berlinerische Witz oder die geist¬
ergreifen uns, weil wir sicher sind, daß sie leiden, Freunde Max mit folgenden Worten die Frau, die er liebt: reichen und talentvollen Gaukeleien à la Wilde, die keinen
dieses Leiden so weit wie möglich zu verbergen
„Sie erinnert mich," sagt er, „an einen ein wenig
dauerhafteren Eindruck hinterlassen als ein Feuerwerk.
bloß erraten, ahnen zu lassen, hüllen sie es gerne getragenen Walzer — sentimentale Heiterkeit — lächelnd
Wenn aber in diesem „Esprit etwas mehr zu finden ist,
etwas geistvolles, feines und reizendes: Maurice Tränen —
wenn dieses „mehr ganz einfach das Herz ist, wenn das
in die „Blague" und Schnitzler in das „Gemüt
Nun, der „Esprit du coeur“ bei Schnitzler erinner
Gefühl durch die Ironie zugleich verfeinerter und lebendiger
so verschieden sie auch scheinen, lebt immer der
mich oft an einen echten Walzer, an einen von dieser
wird (mag diese Ironie an den Worten oder an der
u coeur". Die „Blague" ist ein echt französi¬
Walzern — wissen Sie —, von denen Wien allein das
Handlung haften), da empfindet man einen wirklichen
mütiges Geschöpf. Man hat sie oft verdammt
Geheimnis kennt, an einen „Wiener Walzer“, dem man Genuß daran, sich zu fragen, was denn eigentlich hinter
behauptet, sie habe vor nichts Achtung, sie trockne
mit Erstaunen folgt, denn die Paare drehen sich in so dieser Ironie stehen kann.
aus: das ist nicht wahr! Nein! durchaus nicht
schwindelnder Schnelligkeit und die Musik ist manchma
Und zum Schlusse möchte ich noch die Frage auf¬
so füß und melancholisch.
maliziöse „Chat noir, der vor Vergnügen zu
werfen, warum diese Art von Theater, wie wir sie in
anfing, als Donnay eines Abends die Schwelle
Und das ist kein bloß äußerlicher Vergleich, dem
Porto-Riche, Donnay und Schnitzler finden, so viele Reize
nen Wirtes Rodolphe Salis überschritt, dort au
Schnitzler besitzt vor allem ein musikalisches Temperament
für uns bietet
martre, und der — mögen ihn die werten Herren
und darum üben seine Gestalten auf uns eine so große
Ganz einfach, weil im Theater wie im Leben, es
den nicht übel nehmen — ihn bis in die „Akademie
Suggestionskraft aus. Die Musik ist nicht immer heiter: glücklicherweise viele Menschen gibt, die das Feine groben
dennoch aber drehen sich lächelnd die Paare.
gleitete, dieser maliziöse „Chat noir" ist in
Effekten vorziehen, die wissen, daß die Dinge, die man
i sehr rätselhaftes Tier, dem man nicht gleich auf
errät, viel tiefer ergreifen als die, die drastisch vor uns
kommt. Man müßte vorher von Montmartre
stehen, daß ein Händedruck oft mehr beunruhigt als ein
Der „Esprit du coeur“ auf dem Theater kann
sigen, die Seine überschreiten, und dort beim Quai
Kuß, daß Hände, die sich suchen, manchmal mehr sagen als
also verschiedene Gestalten annehmen, denn Sie werden Lippen, die sich finden, und schließlich, daß es kein noch so
sich zu einem alten Bouquinist flüchten (was
zugestehen, daß im Prinzip kein größerer Gegensatz be¬
Ziemlich schwer wäre, da die alten Bouquinister
bitteres, noch so tief trauriges, noch so verzweifeltes Gefühl
stehen kann, als der „Chat noir" und ein „Wiener
jener werden): da müßte man eine alte Ausgabe
gibt, das sich nicht in einem ... Lächeln wiederspiegeln
Walzer“. Doch halte ich ihn immer für sehr willkommen
sais, einen Original-Beaumarchais mit Kupfer
könnte.
auf dem Theater, wenn er uns ein interessantes Bild
„Comédies et Proverbes" von Musset finden
hervorzaubert oder wenn er uns plötzlich eine Situation
schon spät sein wird, wenn Sie sich zufällig noch
oder einen Charakter ganz eigenartig lebendig macht. Man
Galerien des „Odéon" aufhalten, und ein Buch
soll mich nicht mißverstehen: Ich habe durchaus nicht die
ers von Meilhac und Halévy aufschlagen, da
Absicht, dem banalen Wortspiele oder Preziositäten der
e plötzlich mit Erstaunen auf Ihrer Schulter ein
Sprache das Wort zu reden. Gerade auf dem Theater
. Wenn Sie dann den Kopf wenden, werden Sie
gibt es nichts Hohleres
fte schwarze Katze, den „Chat noir" bemerken
Sie erinnern sich an die berühmte Balkonszene in
mten Vertreter der französischen „Blague,
„Cyrano, wo er die Preziöse Roxane zu überzeugen sucht
werden Sie das Buch schließen, und da Si¬
daß es eine Sünde sei, in einer so berauschenden Nacht
daran verwenden werden, um mit diesem „Chat
an geistreiche Pointen und sogenannte schöne „Pointen
Ihnen sicher gefallen wird, Bekanntschaft zu
zu denken.
werden Sie dann nicht mehr genau
„Je crains tant que parmi notre alchimie exquise
er Ihnen erschienen ist: War es bei der „Belle
Le vrai du sentiment ne se volatilise,
bei der „Petite Marquise" oder bei
Que l'âme no se vide à ces passe-temps vains,
Et que le fin du fin ne soit la fin des fins.
— Mais l'esprit erwidert immer Roxane,
Gemüt kennen Sie alle. Es ist — wie soll in
und Cyrano:
in durchaus wienerisches Element, das wir schon
„Je le hais dans l'amour ! C'est un crime
rzer, Raimund und Bauernfeld finden. Un
Lorsqu'on aime de trop prolonger cette escrime.
ich diesen „Esprit du coeur“ bei Schnitzle
Le manent vient d'ailleurs inévitablement,
dem Worte „Gemüt bezeichnen, das der Berlin
— Et je plains ceux pour qui ne vient pas à manent !
lität zu nahe kommt, und ich ziehe es vor, ih
Où nous sentons qu'on nous une amour noble existe,
zu vergleichen, das für Sie viel lebendiger i
Que chaque joli mot que nous disons rend triste:
Sie wissen alle wie wahr das ist und wie jedes hübsche
Wort, das wir auf dem Theater hören, uns oft traurig