VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 37

13. Miscellaneous
box 44/10
164
so verkündeten die Literaturgiger des Café
Grössenwahn
ihr Jungwiener Theater auffangen
und gleichsam wie in einem Brennspiegel wiedergeben.
Und siehe da, alle Hände regten sich, um den
Wienern die neuen Ausdrucksformen, zu vermitteln.
Obercommandant Felix Salten bestieg den Nudel¬
brettschimmel der Moderne und theilte die Parole aus.
Hugo v. Hofmannsthal erhielt den Auftrag, das
Goethe'sche Terrain zu recognoscieren und den Alten
von Weimar, der ja gottlob für unsere Generation
bereits zu den Ueberwundenen zählt, ins Moderne
um- und abzuschreiben. Ueberdies sollte Herr v. Hof¬
mannsthal die dunklen Ahnungen der Seele, die
nach Ausdruck ringen, in einem Ballett zusammen¬
fassen, in welchem der Erbe, der das Salböl der
todten alten Frau an Adler, Lamm und Pfau ver¬
schwendete, als Hauptperson ein Menuettchen tanzen
müsste, dessen Musik Herr Hugo Felix beizubringen
verpflichtet wurde. Hermann Bahr, der, so oft er sich
wieder einmal selbst überwindet, ein Stück seiner
Stirnlocke opfert und sich infolgedessen fast schon
einer lang herabwallenden Glatze erfreut, wurde com¬
mandiert, sich zunächst wieder eine ordentliche Locke
wachsen zu lassen und dann eine Pantomime zu
dichten, deren Hauptperson der liebe Augustine
seligen Angedenkens persönlich werden sollte. Die
Rolle des lieben Augustin war dem berühmten
Coulissen demolierungs-Tenor Streitmann zugedacht,
der sein Engagement in Berlin eigens abbrechen
musste, um den Wienern das Jungwiener Theater¬
mund gerechter zu machen. Man denke sich nun das
dionysische Entzücken der Wiener, wenn sie Herrn
Streitmann in einer Pantomime auftreten sehen, in
der er nicht singen darf, weil sich das bei einer
Pantomime nun einmal nicht schickt. Hermann Bahr
setzte sich auch stracks nieder und dichtete seinen
Lieben Augustin. In den Kreisen des Literaturgiger¬
thums erzählte man sich geradezu Wunder, wie gross¬

165 —
artig Herr Bahr den pantomimischen Augustin auf¬
gefasst hatte. Wie der betrunkene Augustin mit seinem
picksüssen Hölzel in weinseliger Laune durch die
Strassen der Stadt torkelt, dann in die Kalkgrube fällt
und mit der linken grossen Zehe bedeutungsvoll in
der Luft hin- und herwackelt, mit welcher Bewegung
er gleichsam blitzartig die morsch und faul gewordene
Moral der Wiener Gesellschaft zur Zeit der grossen
Pest beleuchtet
das soll das Gewaltigste und
Grossartigste sein, was Symbolismus und Mysticismus
seit Maeterlinck und dem Clownkomiker Josef
Link der Welt geoffenbart haben. Sonderbarer¬
weise gesellte sich auch Arthur Schnitzler zu
den Jungwienern, indem er ihnen das Versprechen
gab, eine seiner Anatoliaden Herrn Maran auf des
Leib zu schreiben und solcherart den ewig wehleidigen
Anatol endlich einmal geniessbarer zu machen. Auch
Vincenz Chiavacci war schwach genug, sich par
ordre de mufti die weissen Haare blond färben zu lassen,
und leistete in die Hände des General-Feldmarschalls
Salten den Eid, dass er Scenen aus dem gemüthlichen
Wien, aus Lichtenthal und Thury sowie aus allen
jenen schönen Gegenden, wo die Fenster und Köpf
verpickt san mit Lahm, beisteuern werde zur höheren
Ehre des von den Jungwienern neu erfundenen
Wienerthums. Endlich Peter Altenberg der Göttliche
und Gewaltige, hatte die Aufgabe, die complicierte
Psychologie der modernen Gesellschaft durch eine
seiner berühmten Causerien noch complicierter und
unverständlicher zu machen. Alle Mann an Bord, Felix
Salten und seine Getreuen zogen die Wache auf.
Die Welt wird staunend erschauen, was wir Jung¬
wiener zu leisten imstande sind!
Jawohl, die Welt staunte und schaute. Etwas
Läppischeres und Jämmerlicheres hat man in Wien
wohl noch niemals gesehen. Also das ist der Liebe
Augustin, um dessen willen die jungen Herren Literatur¬
gigerin von Wien seit einem halben Jahre so viel