VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 42


13. Miscellanes
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wenn der moderne Bodenmensch sich vom Boden
heutigen Dichter. Die Hauptmann und Hof¬
Glocken geworden wären, und sie werden stam¬
glücklich erhebt. Die Masse kennt heute ein
mannsthal sind bereits ersucht worden, gro߬
meln und wieder stammeln und sich weinend
eigenes Glück, und dazu bedarf es nicht einmal
zügig und volksmäßig zu empfinden; man rech
aus dem Bund der Brüder stehlen als die allein
besonderer Veranstaltungen.
Die Großstadt
net auf die fruchtbare Begeisterung, die von der
Unbezauberten. Das Wort, das Wort haben sie
selbst ist zum Theater geworden, zu einem am
festlich harrenden Menge ausgehen muß. Unsere
vergessen.
santen Ungeheuer, das uns mit täglichen und
Dramatiker, denen Reinhardt ein Volk bietet,
Reinhardt, und die ihm folgen, glauben im
stündlichen Sensationen unterhält.
Das
um sie auf die bekannte Linie der Großzügig
Ernst, daß das anders organisierte Theater
öffentliche Leben strotzt von den Wundern der
keit, der festspielmäßigen Beredsamkeit
auch die innerliche Organisation der Schaffen¬
Technik, dehnt sich zu rauschvollen Dimensionen; bringen, werden, wie ich fürchte, sehr verlegene den bestimmen wird. Sie versprechen einen
die Häuser werden immer höher, die Straßen
Gesichter machen. Es wachsen die Räume, es
neuen Liebesfrühling zwischen der Literatur
breiter, alle Verkehrsmittel gewaltiger,
dehnt sich das Haus. Die Bühne wandelt sich
und der Bühne, wie ihn die Menschheit einmal
donnert unter der Erde, es braust in der
und glaubt sie damit auch wandeln zu können
erlebt hat, im geheiligten dionysischen Bezirk
Lüften. Warum soll allein das Theater vor
Als sie sich zu den Kammerspielen und anderen
der Akropolis, als unten die Ritter und
diesem Wachstum, von diesem Rhythmus, der
architektonischen Bijous verkleinerte, wurden die
Staatsmänner, oben die Ackerbürger aus den
nimmer nachläßt, sich ausschließen?
Unten
Dichter aufgefordert, intim, graziös und plau¬
kleinen attischen Gauen saßen. Sie wissen nicht,
Fünfhundert und oben Fünftausend, wenn
derhaft zu werden. Kaum hatten sie recht er
wie wenig sie trotz vollen Händen dem uner¬
nicht mehr sein können; in der Arena Lärm
folglos versucht, sich klein und niedlich zu
sättlichen Gemüt der Dichter bieten. Wer
und Bewegung als präzise Funktion vom
machen, da will die öffentliche Begeisterung sie
schreibt, begnügt sich nicht mit Fünftausend
Scheinwerfer verklärt, im Amphitheater ein¬
auf ihrem Prokrustesbett schon wieder in die
und auch nicht mit Fünfzigtausend, die gerade
dunkle Masse in stumpfer Erregung: auch da¬
Länge ziehen. Und dieses ist das letzte und
anwesend sein können. Der Dichter mein
ist Haschisch fürs Volk, dionysischer Taumel
schwerste Mißverständnis; man bildet sich ein
immer ein ganzes Volk und die Unsterblichkeit.
Das Theater soll wieder werden, was es
die gegenwärtige Literatur durch ein unge¬
Es ist ihm auch gleichgültig, ob die Bühne
gewesen ist, die Kultstätte der großen Zere
heures Angebot an Mitteln und Aussichten in
groß oder klein, rund oder viereckig ist. Die
monie, und den humanistisch gebildeten Ober¬
eine fruchtbare Raserei versetzen zu können
Phantasie richtet sich nach ganz anderen Ge¬
bürgermeistern, die sich für Festspielhäuser be¬
Vulgus schenkt ihr seine Seele zur Bearbeitung
setzen, bewegt sich nur im idealen Raum. Die
geistern, schwebt gewiß etwas vor von bekränzten
diese armen Dichter könnten es so viel besser
Bühne kann ihr nicht vorschreiben. Sie war
Männern und Frauen, die schön gewandet in
haben. Was versperren sie sich vor dem Gemein¬
souverän, so lange der Dichter auch den Schau¬
Zuge schreiten und patriotische Lieder singen,
sinn in ihren Eigensinn und ihre Einsamkeit,
spieler, Musiker, Tanzmeister und Regisseur
da man sich über die religiösen leider nicht mehr
bedeutete. Seitdem diese Einheit gesprengt ist,
was jammern sie um den entflohenen Mythus
einigen kann. In diesem Amphitheater, dass auf
muß sie immer wieder die Fremdheit gegen
der die alten Dichter, zugleich Seher und Weise
einem Hügel stehen muß wie Wagners Bai
den Schaffenden überwinden, sich mit Persön¬
emportrug. Hier auf diesen Bänken wispert der
reuther Haus, kann man die griechischen Tra¬
lichkeiten auseinandersetzen, sich vom einzelnen
Mythus rund um, hier wartet ein Volk, hie¬
giker bestimmt, kann man auch zur Not einige
zwingen lassen. Die Masse produziert nichts,
flügelt der Genius, hier atmet die Begeisterung
von Shakespeare, Goethe, Schiller geben. Aber
am wenigsten die Persönlichkeiten. Ihr breiter
Sie brauchen nur das Dichterwort auszu
was dann? Reinhardt sieht schon weiter, und
Rücken gibt die Welle, die tragen kann, aber
sprechen, und alles Sehnen hat seine Gestalt,
die optima fides, die man ihm immer zuschrei¬
auch als sie noch Nation, die Kultureinhei¬
seine Vollendung gefunden. Die Dichter lassen
ben muß, beschwingt seine Hoffnungen. Sobal¬
selbst war, hat sie nur empfangen, nicht gegeben.
ihre Wangen vor verlangender Scham glühen;
die Klassiker für die Arena arrondiert sind
Den griechischen Traum werden wir nicht
sie werden etwas unbestimmt Feierliches emp¬
rechnet man auf den Gladiatorenmut unserer
wieder träumen.
finden, sich klingen fühlen, als ob sie selbst zu