VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 43

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Wir erhalten einen Aufruf, dem wir folgendes entnehmen.
Die Unterzeichneten bieten die Hand zu einem Zusammenschluß aller
derer, denen das Schaffen Frank Wedekinds wert erscheint, vor einer
systematischen Berdrängung aus der Oeffentlichkeit bewahrt zu werden. Fran¬
Wedekind hat durch sein Austreten auf der Bühne bewiesen, daß in manchen
seiner dramatischen Arbeiten ein tieferer sittlicher Gehalt zu finden ist als es
bei oberflächlicher Lektüre oder bei Wiedergabe der tragenden Rollen durch
beliebige Berufsschauspieler den Anschein hat. Diesen Beweis zu erbringen, ist
dem Dichter, soweit es seine von der Polizei verbotenen Dramen betrifft, ein¬
für allemal unmöglich gemacht. Da er nicht mehr der Jüngste ist, kann es
der Polizeibehörde ein Leichtes sein, eine Interpretation dieser Werke durch
den Autor vollkommen zu verhindern. Das neuerdings in Königsberg i. Pr.
erfolgte Verbot der Aufführung von „Frühlings Erwachen“, sowie die Tat¬
sache, daß in München die Rezitation von „Tod und Teufel“, die früher er¬
laubt war, verboten wurde, lassen befürchten, daß die Polizeibehörden ent¬
schlossen sind, auch diejenigen Dramen Wedekinds allmählich von der Bühne
zu verdrängen, die bis jetzt zur Aufführung freigegeben wurden. Die Unter¬
zeichneten gehen von der Ueberzeugung aus, daß das dramatische Lebenswerk
Wedelinds aus Wahrheitsliebe und Schönheitsverehrung hervorgegangen ist.
Die Unterzeichneten bieten die Hand zur Wahrung dieses Werkes vor der ihm
drohenden Erdrosselung durch Polizeigewalt, indem sie dem bald Fünfzigjährigen
den Weg eben wollen, den er gehen muß, um sein Werk zur Geltung zu
bringen. Die Freunde Wedekindscher Kunst werden daher gebeten, ihren Namen
dem Verlagsbuchhändler Georg Müller in München, Josephplatz 7,
bekanntzugeben.
Hermann Bahr, Friedrich Basil, Michael Georg Conrad, Lovis Corints, Oskar
Fried, Ludwig Ganghofer, Karl Hagemann, Max Halbe, Karl Henckell, Georg
Hirth, Leopold Jeßner, Alfred Kerr, Artur Kutscher, Max Liebermann,
Heinrich Mann, Thomas Mann, Gustav Meyrinck, Adolf Paul, Hans Pfitzner,
Max Reinhardt, Wilhelm Rosenthal, Artur Schnitzler, Max Stevogt, I. G. Stell¬¬
berg, Richard Strauß, Felix Weingartner.