13. Miscellaneous
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Deutsche Rundschau.
rang, Form und Dasein in höherer Einheit zu verbinden, da hat es lange
genug gedauert, bis der österreichische Dichter zum deutschen Dichter und
zum Gemeinbesitz der Nation wurde. Heute liegen solche Schranken am
Boden. Die klare Natur und die reife Kunst der Ebner=Eschenbach, die aus
kernigem Holz geschnitzte Erscheinung und das deutsche Herz des gemütvollen
Steirers Peter Rosegger, sind es nicht fast die ehrwürdigsten Namen der
älteren Generation unserer Gesamtliteratur? Gesellen wir zu ihnen von den
unlängst Dahingegangenen den elegischen Österreicher Ferdinand v. Saar und
den schwerblütig zerrissenen Mähren J. J. David, unter den Lebenden die
formgewandten und dekadenten Talente der jüngeren Wiener Schule, wie
Hofmannsthal und Schnitzler, den üppig gärenden Most eines Bartsch: wer
sieht in ihnen Gewächse eines uns fremd gewordenen Erdreichs? And welch
ein deutscher Dichter ist zu guter Letzt der Tiroler Karl Schönherr, dessen
starkes er gebornes Talent soeben in seinem „Glaube und Heimat“ mit
erschütternder Kraft des Gemütes in die Kämpfe der Gegenreformation
zurückgriff und eines der innerlichsten historischen Dramen schuf, die unsere
Literatur aufzuweisen hat; erscheint doch diese „Tragödie eines Volkes", wie
er sie nennt, wie eine Szene nur aus der großen Tragödie unserer Volks¬
geschichte. Die gleiche Gemeinschaft gilt — ich brauche keine Namen zu nennen
für die bildende Kunst, für die Malerei und Bildhauerei, vor allem für die
Musik. Auch das wissenschaftliche Leben erfreut sich, über die natürlichen
Schranken hinweg, einer unzerstörbaren Einheit; und die deutsch=österreichischen
Aniversitäten mit ihren Professoren und Studenten, mit ihren Formen und
ihrem Geiste sind Glieder desselben Corpus academicum, das unserer Nation
auch in den Tagen der Zerrissenheit die Einheit gewährleisten half. Die
führenden Namen der Österreicher verehren wir in der uns gemeinsam teuren
Wissenschaft der Germanistik von Wilhelm Scherer bis Heinrich Brunner,
wir begrüßen sie auf eigenen Wegen in der Nationalökonomie und in der
Medizin, und die Geschichtschreibung weiß davon zu sagen, daß neben Sybels
großem Werk ein Österreicher, Heinrich Friedung, die unbefangenste Geschichte
des Kampfes um die Hegemonie in Deutschland von 1859—1866 geschrieben
hat — und daß sie aus dem Lager der Besiegten kam, ist wieder ein seltenes
Symbol einer innerlichen Versöhnung vergangenen Streites.
In diesem Österreichertum, fruchtbar und reich auf allen Gebieten,
enthüllt sich eine Art deutschen Volkstums, die in der Tiefe mit dem unseren
eins ist, aber in den äußeren Erscheinungsformen sich mannigfach von ihm
scheidet, eine liebenswürdigere Art des Empfindens und Sich gebens, süd¬
deutsche Art gewiß, aber auch sie nüanciert durch fremde Rasseneinwirkungen,
verfeinert und versinnlicht durch ein reicheres Maß weiblichen Fluidums,
vor allem aber zusammengefaßt in einer besonderen großen und eigenen
Tradition. Eine Volksindividualität, deren äußere Energien vielleicht nicht
den unseren gewachsen sind im harten Daseinskampfe, deren innere Form
aber etwas Eigenes und zum Teil überlegenes enthält. Gewiß ist heute dieses
Österreichertum nicht mehr das Bild unserer eigenen liebenswürdigen Jugend,
die den Fremden angeblich so teuer ist, es ist nicht mehr das Österreich
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Deutsche Rundschau.
rang, Form und Dasein in höherer Einheit zu verbinden, da hat es lange
genug gedauert, bis der österreichische Dichter zum deutschen Dichter und
zum Gemeinbesitz der Nation wurde. Heute liegen solche Schranken am
Boden. Die klare Natur und die reife Kunst der Ebner=Eschenbach, die aus
kernigem Holz geschnitzte Erscheinung und das deutsche Herz des gemütvollen
Steirers Peter Rosegger, sind es nicht fast die ehrwürdigsten Namen der
älteren Generation unserer Gesamtliteratur? Gesellen wir zu ihnen von den
unlängst Dahingegangenen den elegischen Österreicher Ferdinand v. Saar und
den schwerblütig zerrissenen Mähren J. J. David, unter den Lebenden die
formgewandten und dekadenten Talente der jüngeren Wiener Schule, wie
Hofmannsthal und Schnitzler, den üppig gärenden Most eines Bartsch: wer
sieht in ihnen Gewächse eines uns fremd gewordenen Erdreichs? And welch
ein deutscher Dichter ist zu guter Letzt der Tiroler Karl Schönherr, dessen
starkes er gebornes Talent soeben in seinem „Glaube und Heimat“ mit
erschütternder Kraft des Gemütes in die Kämpfe der Gegenreformation
zurückgriff und eines der innerlichsten historischen Dramen schuf, die unsere
Literatur aufzuweisen hat; erscheint doch diese „Tragödie eines Volkes", wie
er sie nennt, wie eine Szene nur aus der großen Tragödie unserer Volks¬
geschichte. Die gleiche Gemeinschaft gilt — ich brauche keine Namen zu nennen
für die bildende Kunst, für die Malerei und Bildhauerei, vor allem für die
Musik. Auch das wissenschaftliche Leben erfreut sich, über die natürlichen
Schranken hinweg, einer unzerstörbaren Einheit; und die deutsch=österreichischen
Aniversitäten mit ihren Professoren und Studenten, mit ihren Formen und
ihrem Geiste sind Glieder desselben Corpus academicum, das unserer Nation
auch in den Tagen der Zerrissenheit die Einheit gewährleisten half. Die
führenden Namen der Österreicher verehren wir in der uns gemeinsam teuren
Wissenschaft der Germanistik von Wilhelm Scherer bis Heinrich Brunner,
wir begrüßen sie auf eigenen Wegen in der Nationalökonomie und in der
Medizin, und die Geschichtschreibung weiß davon zu sagen, daß neben Sybels
großem Werk ein Österreicher, Heinrich Friedung, die unbefangenste Geschichte
des Kampfes um die Hegemonie in Deutschland von 1859—1866 geschrieben
hat — und daß sie aus dem Lager der Besiegten kam, ist wieder ein seltenes
Symbol einer innerlichen Versöhnung vergangenen Streites.
In diesem Österreichertum, fruchtbar und reich auf allen Gebieten,
enthüllt sich eine Art deutschen Volkstums, die in der Tiefe mit dem unseren
eins ist, aber in den äußeren Erscheinungsformen sich mannigfach von ihm
scheidet, eine liebenswürdigere Art des Empfindens und Sich gebens, süd¬
deutsche Art gewiß, aber auch sie nüanciert durch fremde Rasseneinwirkungen,
verfeinert und versinnlicht durch ein reicheres Maß weiblichen Fluidums,
vor allem aber zusammengefaßt in einer besonderen großen und eigenen
Tradition. Eine Volksindividualität, deren äußere Energien vielleicht nicht
den unseren gewachsen sind im harten Daseinskampfe, deren innere Form
aber etwas Eigenes und zum Teil überlegenes enthält. Gewiß ist heute dieses
Österreichertum nicht mehr das Bild unserer eigenen liebenswürdigen Jugend,
die den Fremden angeblich so teuer ist, es ist nicht mehr das Österreich