VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 59

13. Millanes
die heiligsten be¬
alen Güter
unterließe.
Jenensis.

Wo
du,
Sudermann?
Die
der Saison ist um. Sie ist
nicht ga¬
schlimm gewesen, wie die vorige
und hie
id da beginnt man wieder Hoff¬
nung
chöpfen. Namentlich die Herren
Direktor sind es, die zufrieden sein können.
Der Pl egeier, der lange Zeit seine Kreise
zog, ist dieder nach seinen Bergen abgeflogen,
und die Prophezeiungen eines allgem inen
Theaterkraches werden sich vorläufig noch nicht
erfüllen. Es war das nur eine periodische
Verstimmung, nicht eine Krisis, durch die
wir in den Jahren 116, 1907 und 1908
gegangen sind.
Viele Berliner Theater haben in der
letzten Saison gut abgeschnitten. Nur Rein¬
hardt in seinen beiden Kunst=Klitschen verrennt
und verrechnet sich immer mehr und verliert
allmählich jeden Kontakt mit dem Publikum
Seine Zeit ist vorüber — vorläufig wenigstens
—, und die perversen Shakespearebearbeitungen
kommen vorerst einmal ein wenig aus der
Mode. Sonst freuen sich die Herrschaften
großenteils, Barnowsky im „Kleinen" macht mit
der „Moral" Bombengeschäfte; Schmieden
kultivierte mit der „Fremden Frau sehr nutz¬
bringend das heulende Elend, und die im
Grunde herzlich zahme und matte „Revolu¬
tionshochzeit“ brachte es bei Hebbels merk¬
würdigerweise zu einer respektablen Serie.
Aber nicht nur das Geschäft blühte, auch
die Kunst kam leidlich auf ihre Rechnung.
Es wurde schon in voriger Woche an dieser
Stelle gesagt, daß der erste Teil der Haupt¬
mannschen „Griselda" die stärkste Theater¬
tat gewesen ist seit langen Jahren. Auch
Wedekinds „Musik" ist unparteiischen und
leidenschaftslosen Beobachtern besser vorge¬
kommen, als eine etwas verärgerte Kritik es
darstellte. Schönherrs „Erde" mutete mitten im
Berliner Winter an wie ein Frühlings¬
sonnenstrahl, und den Ibsencyclus Brahms

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ande¬
feierlichen Protest gegen die
auch in scheinbar kleinen Angelegenheiten
an sich, erstens einmal weil dem Gros der
große Forscher war zu der Ansicht gelangt,
Berliner Bevölkerung das historische Bewußt¬
die Stadt Berlin müsse als ehemalige Ange¬
sein dafür fehle, daß Berlin einst Hansastadt
hörige des alten Bundes der Hansa die rot¬
war; ferner aber führten doch auch Ham¬
weißen Farben der Hansa wählen. Große
burg, Bremen, Lübeck sowie das Großherzog¬
Geister sind ihrer Zeit stets um Dezennien
tum Hessen die rot=weiße Farbe, so daß es
werden wir nicht so schnell vergessen. Dazu
jahrelang das unerfreuliche Schauspiel
kommt noch ein wichtiger negativer Vorzug
mit ansehen müssen, daß dieser Dichter von
dieser Saison: die neuwiener Poeten ließen
einer Sippe, wo immer er sich sehen
uns diesmal in Frieden. Und eine Saison,
ließ, verhöhnt wurde,
wie
etwa
die ohne einen Schmachtlappen Schnitzlers,
Straßenjungen einem Betrunkenen
ohne eine Geckerei Hugo von Hofmannsthals
nachschreien. Er hatte diese Gesellschaft
und ohne ein Gewitzel Herrmann Bahrs vor¬
gerügt und über die Roheit einer
überging, eine solche Saison soll uns drei¬
gewissen Kritik immer allzu berechtigt geklagt.
mal gesegnet sein.
Er hatte gezeigt, was in Berliner Theater¬
Nun aber ergibt sich da eine Frage, die
kritiken möglich war: der eine Kritiker hatte
durchaus nicht ironisch gemeint sein soll, die
von einer älteren Schauspielerin geschrieben:
Frage: wo steckt Sudermann? Viele Jahre
„sie verbreitet Leichengeruch", der andere hatte
hindurch hat er die Berliner Saison be¬
eine junge Künstlerin ein Nilpferd genannt.
herrscht, hat seine Première neben dem
Diese Straßenjungentaten hatte Sudermann
Hauptmannabend die große Geisterschlacht ge¬
gerügt, und nun flogen ihn die Pferdeäpfel
bracht. Jetzt ist das zweite Jahr vorüber,
um den Kopf, wo immer er sich sehen ließ
daß wir auf der Bühne nichts mehr von ihm
Und jammerschade wäre es doch, wenn ein
hörten, und nun sehen wir uns nach ihm
starkes dramatisches Talent, wie dieser Dichter
um; wo steckt du, alter Kämpe, und wer hat
ist, sich durch solche Sippschaft von dem Felde
dir etwas zu leid getan?
verjagen ließe, das ihm so reiche Früchte ge¬
Natürlich ist nicht nötig, daß der Dichter
tragen hat. Elementen dieser Art imponiert
immer pünktlich zu Saisonbeginn mit seiner
man nicht durch die altrömische Gebärde vor¬
Ware antritt, so wie die Eierfrau Mittwochs
nehmer Resignation; denen gibt man's mit
mit dem Wagen zum Markte fährt. Im
der Faust aufs Auge. Und schreien sie und
Gegenteil, der Premièrenzwang ist schädlich,
lärmen, daß man fortsoll, so bleibt man erst
und man könnte es einem Gerhardt Haupt¬
recht, schließt allenfalls das Fenster und schafft
mann nur von ganzem Herzen wünschen,
als wackerer Mann unbekümmert weiter. Das
daß er sich von dem Wahn freimache, er
ärgert sie schließlich immer noch am aller¬
meisten.
müsse alle Weihnachten bei Brahm mit
einem fertigen Werke anklopfen. Dieser
Sudermann steckt die Leutchen, die jetzt
Zwang entwürdigt, veranlaßt zu flüchtiger
die Bretter beherrschen, mit der größten Be¬
Arbeit, gerade so wie die Periodicität der
quemlichkeit allesamt in seine Tasche. Er
Kunstausstellungen schon manchen Malers¬
hat das stärkste Theaterblut von all unseren
mann zu liederlichem Schaffen erzogen hat.
modernen deutschen Autoren, und wenn ihm
Wem an der Kunst mehr liegt als an dem
Feinheiten fehlen, wenn sein Dialog und seine
regelmäßigen Gang des Theatergeschäftes, der
Katastrophen der zarten lyrischen Stimmung
freut sich schon, wenn sich einmal ein recht¬
ermangeln, so kann das nur der beklagen,
schaffener Künstler für ein paar Jahre ein¬
der vom Theater Literatur verlangt und
mauert und die Herren Interviewer die
nicht Theater. Die Szene erfordert starke
Treppe hinunter befördert.
Effekte, erfordert kräftige technische Linien und
Aber bei Sudermann liegt die Sache doch
Strukturen und hat mit Stimmung nichts
ein wenig anders. Es liegt da die Gefahr
zu tun. Nur bei uns in einer bis zur Per¬
vor, daß dieser Künstler sich durch die Kritik
version raffinierten, überkritischen Kulturschicht,
dauernd von der Bühne, auf die er
konnte der Aberwitz aufkommen, daß Theatralik
hingehört, weggraulen läßt. Wir haben im Theater schädlich sei.
eine