VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 60

13 Miscellanos
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feierlichen Protest gegen die
we¬
auch in scheinbar kleinen Angelegenheiten an sich, erstens einmal weil dem Gros der
große Forscher war zu der Ansicht gelangt,
Berliner Bevölkerung das historische Bewußt¬
18.
die Stadt Berlin müsse als ehemalige Ange¬
sein dafür fehle, daß Berlin einst Hansastadt
hörige des alten Bundes der Hansa die rot¬
war; ferner aber führten doch auch Ham¬
weißen Farben der Hansa wählen. Große
burg, Bremen, Lübeck sowie das Großherzog¬
Geister sind ihrer Zeit stets um Dezennien
tum Hessen die rot=weiße Farbe, so daß es
werden wir nicht so schnell vergessen. Dazu
jahrelang das unerfreuliche Schauspiel
kommt noch ein wichtiger negativer Vorzug
mit ansehen müssen, daß dieser Dichter von
dieser Saison: die neuwiener Poeten ließen
einer Sippe, wo immer er sich sehen
?
uns diesmal in Frieden. Und eine Saison,
ließ, verhöhnt wurde,
wie
etwa
die ohne einen Schmachtlappen Schnitzlers,
sie ist
Straßenjungen einem Betrunkenen
ohne eine Geckerei Hugo von Hofmannsthal¬
vorige
nachschreien. Er hatte diese Gesellschaft
und ohne ein Gewitzel Herrmann Bahrs vor¬
Hoff¬
gerügt und über die Roheit einer
überging, eine solche Saison soll uns drei¬
Herren
gewissen Kritik immer allzu berechtigt geklagt.
nen mal gesegnet sein.
Er hatte gezeigt, was in Berliner Theater¬
Nun aber ergibt sich da eine Frage, die
kritiken möglich war: der eine Kritiker hatte
Kreise
durchaus nicht ironisch gemeint sein soll, die
flogen,
von einer älteren Schauspielerin geschrieben:
Frage: wo steckt Sudermann? Viele Jahre
„sie verbreitet Leichengeruch", der andere hatte
ninen
hindurch hat er die Berliner Saison be¬
nicht
eine junge Künstlerin ein Nilpferd genannt.
herrscht, hat seine Première neben dem
sodische
Diese Straßenjungentaten hatte Sudermann
Hauptmannabend die große Geisterschlacht ge¬
gerügt, und nun flogen ihn die Pferdeäpfel
bracht. Jetzt ist das zweite Jahr vorüber,
1908
um den Kopf, wo immer er sich sehen ließ.
daß wir auf der Bühne nichts mehr von ihm
Und jammerschade wäre es doch, wenn ein
hörten, und nun sehen wir uns nach ihm
in der
starkes dramatisches Talent, wie dieser Dichter
um; wo steckt du, alter Kämpe, und wer hat
ist, sich durch solche Sippschaft von dem Felde
Rein¬
dir etwas zu leid getan?
verjagen ließe, das ihm so reiche Früchte ge¬
trennt
tragen hat. Elementen dieser Art imponiert
verliert
Natürlich ist nicht nötig, daß der Dichter
blikum.
man nicht durch die altrömische Gebärde vor¬
immer pünktlich zu Saisonbeginn mit seiner
nehmer Resignation; denen gibt man's mit
nigstens
Ware antritt, so wie die Eierfrau Mittu och
der Faust aufs Auge. Und schreien sie und
ungen
mit dem Wagen zum Markte fährt. Im
lärmen, daß man fortsoll, so bleibt man erst
der
Gegenteil, der Premièrenzwang ist schädlich,
recht, schließt allenfalls das Fenster und schafft
schaft in
und man könnte es einem Gerhardt Haupt¬
als wackerer Mann unbekümmert weiter. Das
cht
mann nur von ganzem Herzen wünschen,
ärgert sie schließlich immer noch am aller¬
ieden
daß er sich von dem Wahn freimache, er
meisten.
nutz¬
müsse alle Weihnachten bei Brahm mit
die im
einem fertigen Werke anklopfen. Dieser
Sudermann steckt die Leutchen, die jetzt
evolu¬
Zwang entwürdigt, veranlaßt zu flüchtiger
die Bretter beherrschen, mit der größten Be¬
merk¬
Arbeit, gerade so wie die Periodicität der
quemlichkeit allesamt in seine Tasche. Er
Kunstausstellungen schon manchen Malers¬
hat das stärkste Theaterblut von all unseren
auch
mann zu liederlichem Schaffen erzogen hat.
modernen deutschen Autoren, und wenn ihm
hnung.
Wem an der Kunst mehr liegt als an den
Feinheiten fehlen, wenn sein Dialog und seine
dieser
regelmäßigen Gang des Theatergeschäftes, der
Katastrophen der zarten lyrischen Stimmung
Haupt¬
freut sich schon, wenn sich einmal ein recht¬
ermangeln, so kann das nur der beklagen,
heater¬
schaffener Künstler für ein paar Jahre ein¬
der vom Theater Literatur verlangt und
Auch
mauert und die Herren Interviewer die
nicht Theater. Die Szene erfordert starke
und
Treppe hinunter befördert.
Effekte, erfordert kräftige technische Linien und
vorge¬
Aber bei Sudermann liegt die Sache doch
Strukturen und hat mit Stimmung nichts
itik es
ein wenig anders. Es liegt da die Gefahr
zu tun. Nur bei uns in einer bis zur Per¬
ten im
vor, daß dieser Künstler sich durch die Kritik
version raffinierten, überkritischen Kulturschicht,
hlings¬
dauernd von der Bühne, auf die er
konnte der Aberwitz aufkommen, daß Theatralik
rah's
hingehört, weggraulen läßt. Wir haben im Theater schädlich sei.
würde jest auf der Bast.
lichen russischen Vorschlage wer¬
tergeführt. Die Türkei vertrete hierbei den
Standpunkt, daß die bulgarische Entschädi¬
gung von 125 Millionen Francs 47 an Ru߬
land zu zahlenden Jahresraten gleichkomme,
während die russische Regierung nur 40 an¬
In allen andern Ländern verlangt man
der Szene starke naive Theaterkunst, im
England Shakespeares, bei den Franzosen,
die ja schließlich doch unser aller Meister sind,
und in Italien, wo der bretterfeste D'An¬
nunzio die Epoche beherrscht. Von den Sü߬
holzraspelern, die bei uns in Mode sind, will
da keiner etwas wissen. Deshalb kennt da
draußen keiner etwas von unseren Aller¬
modernsten, deshalb ist es grade unser ge¬
schmähter Sudermann, der Theatraliker, der
die gegenwärtige deutsche Szene als einziger
in Paris, in London, in Rom, selbst auf
den Bauerntheatern Siziliens vertritt.
Er soll sich sein Metier nicht verekeln lassen.
Er soll es einsehen, daß seine Stunde wieder
da ist, daß unser Geschmack schon jetzt wieder
leise, aber merklich von den Raffiniertheiten
weg auf klare, sichere Theaterkunst strebt. Auch
Wildenbruch hat einmal eine solche Periode
der Verbitterung durchmachen müssen, in der
Zeit nach der verunglückten Haubenlerche.
Dann kam er mit dem schlichten festen Vers¬
drama „König Heinrich" heraus und holte
sich den kamen Erfolg, den die neunziger
Jahre in Berlin sahen. Vielleicht liegt auch
jetzt beim Versdrama alten Stiles die Zu¬
kunft. Und vielleicht wird Hermann Suder
mann der Mann dieser Zukunft sein.
Das alles soll keine Reklame sein für
einen Mann, der die Reklame nicht braucht.
Man kann Sudermann aus der Geschichte des
Berliner Theaters nicht mehr fortstreichen,
und man kann seine Epoche auch nicht so
ohne weiteres verleugnen. Die Zeit, die den
starken Werken „Ehre" und „Heimat“
jubelte, ist vielleicht doch nicht ganz so dumm
gewesen, wie es jetzt die Jüngsten darstellen
mögen; sie wird vielleicht mehr Recht be¬
halten als die unsere. Aber es gilt, eine
Ungerechtigkeit wieder gut zu machen und
einem Mann, der jahrelang unser Führer
war, zu zeigen, daß nicht alle so denken, wie
die drei oder vier Schreier auf der schmutzigen
Straße.
Die eiserne Maske.