VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 61

13. Miscellaneous
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Literaten=Klingel.
Von Josef Stolzing.
In früheren Zeiten rang sich künstlerisches Talent mittels
harter Arbeit und eiserner Ausdauer durch, und wenn es auch
mit dem Unverstande und der geistigen Schwerfälligkeit des
Philistertums oft genug zu kämpfen hatte, so erfolgte doch
der Aufstieg auf der fest gebauten Leiter ehrlicher Erfolge.
Scheintalente führten in der Glanzzeit der deutschen
Literaturgeschichte von Lessing bis Grillparzer höchstens ein
Eintagsleben, und nichts kennzeichnet diesen herrlichen Abschnitt
der geistigen Wiedergeburt Deutschlands wohl besser, als
die Begeisterung, mit der das gesamte deutsche Volk
damals seinen Schiller feierte. Als der große Dichter nach
einer Aufführung der „Jungfrau von Orleans" in Leipzig
unter unbeschreiblichem Jubel das Theater verließ, da machte,
wie Augenzeugen berichten, die Menge ehrfurchtsvoll Platz
und ließ in tiefer Stille und entblößten Hauptes den
Gefeierten hindurchgehen. Alle Augen waren auf ihn ge¬
richtet, Väter und Mütter hoben ihre Kinder empor und
flüsterten: Das ist er, der ist es! Dagegen denke man sich
heutzutage Sudermann oder Schnitzler das Lessing=Theater
nach einem ihrer wohlfeilen Augenblickstriumphe verlassend,
umringt von den üppigen, seidenrauschenden mit Brillanten
übersaeten Damen und wohlgenährten Herren aus Berlin W.,
wie sie ihren „Lieblingsdichter“ empfangen! Gewiß ein
lächerliches Bild, aber doch wird Einem traurig zu Mute bei
dieser Vorstellung, denn sie läßt den ganzen Jammer unserer
zeitgenössischen Literatur erkennen. Wahres Verdienst und
ehrliche Begeisterung gibt es auf diesem Gebiete nicht mehr,
alles ist „Mache“, wie der häßliche Ausdruck lautet; nicht
mehr durch Kampf und Energie ringt sich das Talent selbst¬
ständig durch, sondern es wird gemacht" vom Klüngel, der
„Clique". Diese ist jetzt für die Kunstbeflissenen die Haupt¬
sache! Wenn einer eine Alpenlandschaft auf die Leinwand
pinselt, die man ebensogut für eine Kavallerieattaque halten
könnte, wenn einer den Hamlet wie einen Hanswurst
herunterspielt, oder eine Dichtung schreibt, die sich
liest wie das schriftstellerische Erzeugnis eines schwer erkrankten
Gehirns — das ist alles einerlei, wenn er nur die Clique
hinter sich hat, die derlei Kunsttaten als Genieoffenbarungen
ausposaunt. Dann findet sich gewiß auch schnell eine Schaar
von Mitläufern zusammen, die für die nötige Volkstümlich¬
keit des neuen Sternes am deutschen Kunsthimmel sorgt. Es liegt
wahrlich keine Uebertreibung in dieser Behauptung! Sehe
man sich doch einmal die Größen näher an, von denen die Gro߬
stadtpresse am meisten spricht! Keine einzige ist darunter, die sich
ihren Weg allein im trotzigen Bewußtsein ihrer Kraft gebahnt
hätte, sondern alle wurden sie vom Klüngel liebevoll aufge¬
päppelt und durch eine schwindelhafte Reklame auf den Sockel
emporgehoben, wo man sie mit ungefähr denselben Mitteln fest¬
hält, mit denen hohe die Bankwelt ein ungesundes Unternehmen,
an dessen Bestand ihr gelegen ist, vor dem Zusammenbruche be¬
wahrt Ihre Bücher werden aufgekauft, trotzdem sie unaufgeschnitten
in den Bücherschrank wandern, der Zuschauerraum in den
Theatern wird mit Freibergern auswattiert — alles nur, um
eine bis ins Innerste angefaulte und in jedem Satze undeutsche
Literatur künstlich großzuziehen. Am bedauerlichsten dabei
bleibt es aber, daß genau so wie bei den Börsenmanövern, die
Kosten dieses betrügerischen Literaturgeschäftes doch nur die
ehrliche schaffende Arbeit des deutschen Volkes zu tragen hat.
In der Tat ist die schöngeistige Literatur unserer
Zeit nicht viel anders als ein Geschäftszweig des
allgemeinen Warenhandels geworden, und dabei läßt
sich die interessante Beobachtung machen, daß Süd¬
deutschland entsprechend der dortigen politischen Zer¬
fahrenheit auch in der Entartungsliteratur die Führung
übernommen hat, während geschäftskluge Leute in Berlin
den Vertrieb besorgen. Diese Arbeitsteilung hat es
mit sich gebracht, daß die Belletristik, die auf den deutschen
Büchermarkt kommt, zum größten Teile aus München
oder Wien stammt, ebenso wie in den Literatur= und Journa¬
listenkreisen Norddeutschlands das süddeutsche Element vor¬
herrscht. Bedauerlicherweise nicht zum Vorteile des deutschen
Schrifttums, denn unter den überschüssigen Schriftstellern und
Zeitungsschreibern, mit denen uns der Süden überschwemmt,
befinden sich viele Leute, denen eine gefestigte politische und
ästhetische Ueberzeugung ebenso abgeht, wie völkische Ge¬
sinnung. Freilich kann man diese billigerweise nicht einmal
von ihnen verlangen, sind sie doch in jener entnervenden
und verflachenden Wiener Kaffeehaus=Umwelt aufgewachsen,
wo zwischen einer Tasse Mokka und einer Partie Billard die
schwierigsten politischen und literarischen Fragen im Hand¬
umdrehen erledigt zu werden pflegen. Dem Zuzuge aus dem
Süden verdanken wir denn auch nicht zuletzt die jämmer¬
lichen Zustände in dem Berliner Literatur= und Theater¬
getriebe, da uns die Nachfahren der großen Wiener Kultur¬

dur¬
Namen