VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 62

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Miscellaneous
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ästhetische Ueberzeugung ebenso abgeht, wie völkische Ge¬
sinnung. Freilich kann man diese billigerweise nicht einmal
von ihnen verlangen, sind sie doch in jener entnervenden
und verflachenden Wiener Kaffeehaus=Umwelt aufgewachsen,
wo zwischen einer Tasse Mokka und einer Partie Billard die
schwierigsten politischen und literarischen Fragen im Hand
umdrehen erledigt zu werden pflegen. Dem Zuzuge aus dem
Süden verdanken wir denn auch nicht zuletzt die jämmer¬
lichen Zustände in dem Berliner Literatur= und Theater¬
getriebe, da uns die Nachfahren der großen Wiener Kultur¬
zeit,
die durch die Namen Grillparzer, Hamerling,
Anzengruber und Kürnberger gekennzeichnet wird, nur
noch die Schwächen dieser Zeit mitbrachten, die
Neigung zu pessimistischer Grübelei und tatenloser
Vielrednerei, zu leichtfertigem Lebensgenuß und oberflächlicher
Auffassung aller Pflichten. Zudem entstand durch diese Ueber¬
flutung eine gewisse Gemeinbürgschaft der Interessen des
Klüngels an der Spree und an der Donau, infolge deren die
Wiener Journalisten= und Litteratursippe, die sich unter der
Firma „Concordia“ zu einem mächtigen Ringe zusammenge¬
schlossen hat, eine nicht minder einflußreiche Filiale in Berlin,
genannt „Verein Berliner Presse“ gründen konnte. Diese,
beiden Vereinigungen, die gleichzeitig die siebente Gro߬
macht, die kapitalistische Börsenpresse repräsentieren,
haben sich mit der Zeit zu einer so ausgedehnten
Tyrannei des deutschen Schrifttums und Theaters entwickelt,
daß sie sogar Schriftsteller von angesehenem Namen und fest¬
stehendem Rufe unter ihr Joch zwingen konnten. Am besten
läßt sich die Tributpflichtigkeit unserer literarischen
Größen bei den Festlichkeiten erkennen,
welche die
Wiener Concordia veranstaltet;
erweisen alle
Günstlinge der Mode, die Romane schreiben oder
Stücke aufführen lassen, dem allmächtigen Preßklungel ihre
Ehrbezeugung, indem sie einen Geistes splitter in Gestalt eines
Verschens zu der üblichen Damenspende beitragen. Selbst
Männer wie Wildenbruch und Rosegger, denen man ein
festeres Rückgrat zutrauen dürfte, fehlen da nicht; der hoch¬
begabte Detlev von Liliencron ist von diesem Einflusse ganz
niedergezogen, und Gustav Falke, Gerhart Hauptmann, bis
herab zu Blumenthal und Fulda sind die natürlichen Sterne
an diesem Himmel zweifelhafter Berühmtheit. Die Damen¬
spenden der Concordia werden späteren, hoffentlich besseren
Zeiten als ein bedeutsames Zeugnis für die heutige Verschlampung
der modernen Literatur und Preßverhältnisse erscheinen. Und
genau in derselben Weise wie die Concordia — man nennt
sie in Wien spöttisch anzüglich „Concordia“ — beeinflußt
der „Verein Berliner Presse“ das Schrifttum der deutschen
Reichshauptstadt. Beide Vereine arbeiten Hand in Hand,
und nur derjenige Schriftsteller, der von ihnen feierlich
emporgehoben wurde, findet in den Wiener und Berliner
„Weltblättern liebevolle Unterstützung und Förderung. Auch
die größeren Provinzstädte werden zu Generalagenturen dieser
Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit gemacht; namentlich
durch die „Literarischen Gesellschaften"
Es versteht sich natürlich von selbst, daß hierzu nur jene
Literaten kommen, die sich das Wohlgefallen der betreffenden
Kreise erwerben, d. h. zur Fahne des Manchester=Liberalismus
schwören, Heinrich Heine für den größten deutschen Charakter
halten und vor allem gänzlich frei von Anwandlung eines
selbständigen Urteils über die Juden sind. Der Nachweis
der Circumcision ist die eindringlichste Empfehlung, aber er
ist nicht gerade unbedingt erforderlich; man nimmt auch
deutschgeborene Schriftsteller auf, sofern sie hübsch judenfromm
sind, und es wird ihnen für ihr Wohlverhalten von Herrn
Leo Leipziger der schöne Titel „Ehren=Gojim" kostenlos ver¬
lieben. Ist aber ein Mann der Feder beim Klügel einmal
aufgenommen als würdiges Mitglied, so darf er mit dem
Steinklopferhans von sich sagen. Mir kann nix geschehn!
Es wäre denn, er bekäme Anwandlungen von Abneigung gegen
Jüdisches, was ja in solcher Gesellschaft nicht ausgeschlossen
erscheint. Dann allerdings fliegt er prompt hinaus und wird
als Abtrünniger zeitlebens mit noch viel größerem Hasse ver¬
folgt als jene Arier, die gleich als Judenschene ins Leben
treten. Sonst aber kann er anstellen, was er will, immer
wieder findet er als Journalist oder Schriftsteller seine Ver¬
sorgung wie z. B. jener einstige Redaktör beim Berliner
denen Tausch Prozesse als
bezahlter Polizeispitzel entpuppte und jetzt wohlbestallter
Schriftleiter eines parteilosen Provinzblattes ist. Oder
wie Herr von Hofmannsthal, der sich in Wien
völlig unmöglich gemacht hat. Verschließen
ihm auch die Pforten des Burgtheaters, so feiert er doch in
Berlin frisch und fröhlich seine Auferstehung! Jetzt vergreift
er sich sogar am Heiligsten der Antike, indem er die Modern¬
sierung alter Dramenstoffe ungescheut vor aller Welt betreibt
und bei diesem blühenden Geschäft sogar öffentliche Gesell¬
schafter wie Beer Hofmann, Vollmöller und andere findet:
Wenn erst die Schande wird geboren.
wird sie heimlich zur Welt gebracht.
wächst sie aber und macht sich groß,

auch bei Tage blos,