13. Miscellanes
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Zeiten als ein bedeutsames Zeugnis für die heutige Verschlampung
der modernen Literatur und Preßverhältnisse erscheinen. Und
genau in derselben Weise wie die Concordia — man nennt
sie in Wien spöttisch anzüglich „Concordia“ — beeinflußt
der „Verein Berliner Presse“ das Schrifttum der deutschen
Reichshauptstadt. Beide Vereine arbeiten Hand in Hand
und nur derjenige Schriftsteller, der von ihnen feierlich
emporgehoben wurde, findet in den Wiener und Berliner
„Weltblättern liebevolle Unterstützung und Förderung. Auch
die größeren Provinzstädte werden zu Generalagenturen dieser
Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit gemacht; namentlich
durch die „Literarischen Gesellschaften"
Es versteht sich natürlich von selbst, daß hierzu nur jene
Literaten kommen, die sich das Wohlgefallen der betreffenden
Kreise erwerben, d. h. zur Fahne des Manchester=Liberalismus
schwören, Heinrich Heine für den größten deutschen Charakter
halten und vor allem gänzlich frei von Anwandlung eines
selbständigen Urteils über die Juden sind. Der Nachweis
der Circumcision ist die eindringlichste Empfehlung, aber er
ist nicht gerade unbedingt erforderlich; man nimmt auch
deutschgeborene Schriftsteller auf, sofern sie hübsch judenfromm
sind, und es wird ihnen für ihr Wohlverhalten von Herrn
Leo Leipziger der schöne Titel „Ehren=Gojim“ kostenlos ver¬
liehen. Ist aber ein Mann der Feder beim Klingel einmal
aufgenommen als würdiges Mitglied, so darf er mit dem
Steinklopferhans von sich sagen: Mir kann nix geschehn!
Es wäre denn, er bekäme Anwandlungen von Abneigung gegen
Jüdisches, was ja in solcher Gesellschaft nicht ausgeschlossen
erscheint. Dann allerdings fliegt er prompt hinaus und wird
als Abtrünniger zeitlebens mit noch viel größerem Hasse ver¬
folgt als jene Arier, die gleich als Judenscheue ins Leben
treten. Sonst aber kann er anstellen, was er will, immer
wieder findet er als Journalist oder Schriftsteller seine Ver¬
sorgung wie z. B. jener einstige Redaktör beim Berliner
in den bekannten Tausch=Prozesse als
bezahlter Polizeispitzel entpuppte und jetzt wohlbestallter
Schriftleiter eines parteilosen Provinzblattes ist. Oder
sich
Wien
Herr von Hofmannsthal, der
wie
Verschließen
unmöglich gemacht hat.
völlig
ihm auch die Pforten des Burgtheaters, so feiert er doch in
Berlin frisch und fröhlich seine Auferstehung! Jetzt vergreift
er sich sogar am Heiligsten der Antike, indem er die Moderni¬
sierung alter Dramenstoffe ungescheut vor aller Welt betreibt
und bei diesem blühenden Geschäft sogar öffentliche Gesell¬
schafter wie Beer=Hofmann, Vollmöller und andere findet:
Wenn erst die Schande wird geboren,
wird sie heimlich zur Welt gebracht ...
wächst sie aber und macht sich groß,
dann geht sie auch bei Tage bloß,
und ist doch nicht schöner geworben.
Je häßlicher wird ihr Gesicht,
je mehr sucht sie des Tages Licht.
Aehnlich liegt der Fall bei Hermann Bahr! Als Student
war er ein eifriger Anhänger Schönerers; er sah aber bald,
daß bei der völkischen Bewegung keine Seide zu spinnen sei,
und so reiste er bald darauf für die damals noch liberale
Wiener „Deutsche Zeitung" in Europa herum, um die vom
Liberalismus anerkannten Größen um ihre Meinung über
den Antisemitismus zu befragen. Diese Rundreise machte
ihn zum besonderen Günstling des österreichischen Klüngels,
der ihm die journalistische Laufbahn zu einer schönen, breiten
Straße ebnete. Aber sein Ehrgeiz strebte weiter, denn er
wollte auch ein anerkannter, aufgeführter Dramatiker werden,
wobei ihm seine Wandlungsfähigkeit vortrefflich zu statten
kam. Vom Symbolismus Maeterlincks bis zum österreichischen
Heimatsstück im Biedermeierkostüm „rang" er sich durch;
immer ängstlich der jeweiligen Mode des Tages folgend,
brachte er die Obstruktion des österreichischen Parlaments ebenso
gut auf die Bühne wie die rote Fahne der russischen Revolution.
Aber mit keinem seiner Dramen hatte er einen wirklichen
Erfolg, da ihm die ursprüngliche Dichterkraft fehlt und sein
ganzes Können über eine gewisse feuilletonistische Begabung
nicht hinausgeht. So stand er endlich in Wien vor
seinem geistigen Bankerott! Jedoch die Clique ließ ihn
nicht fallen, sie hängte ihn den Münchenern an,
und sollte es Herrn Baron von Speidel vielleicht gelingen,
dieses Kuckucksei aus dem warmen Neste des Münchner
Königlichen Schauspielhauses hinauszuwerfen, so wird auch
Hermann Jahr sicher ein angemessenes Asyl finden in dem
großen Rettungshafen des Wiener Klingels für dessen schiff¬
brüchige Mitglieder, in Berlin
Es ist schlimm, daß diese Sippschaft den gesunden Sinn
der Norddeutschen mit weibischer Gefühlsseligkeit und müder
Schlaffheit umnebelt. Aber schlimmer ist es, daß sie durch
das ewige Tam-tam ihrer Reklametrommel die Aufmerksam¬
keit des gutgesinnten Teils der Deutschen so sehr ablenkt
von dem tüchtigen Schaffen und Ringen so vieler ernster
Künstler und Schriftsteller in ihrer eigenen Heimat und im
übrigen Deutschland.
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Zeiten als ein bedeutsames Zeugnis für die heutige Verschlampung
der modernen Literatur und Preßverhältnisse erscheinen. Und
genau in derselben Weise wie die Concordia — man nennt
sie in Wien spöttisch anzüglich „Concordia“ — beeinflußt
der „Verein Berliner Presse“ das Schrifttum der deutschen
Reichshauptstadt. Beide Vereine arbeiten Hand in Hand
und nur derjenige Schriftsteller, der von ihnen feierlich
emporgehoben wurde, findet in den Wiener und Berliner
„Weltblättern liebevolle Unterstützung und Förderung. Auch
die größeren Provinzstädte werden zu Generalagenturen dieser
Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit gemacht; namentlich
durch die „Literarischen Gesellschaften"
Es versteht sich natürlich von selbst, daß hierzu nur jene
Literaten kommen, die sich das Wohlgefallen der betreffenden
Kreise erwerben, d. h. zur Fahne des Manchester=Liberalismus
schwören, Heinrich Heine für den größten deutschen Charakter
halten und vor allem gänzlich frei von Anwandlung eines
selbständigen Urteils über die Juden sind. Der Nachweis
der Circumcision ist die eindringlichste Empfehlung, aber er
ist nicht gerade unbedingt erforderlich; man nimmt auch
deutschgeborene Schriftsteller auf, sofern sie hübsch judenfromm
sind, und es wird ihnen für ihr Wohlverhalten von Herrn
Leo Leipziger der schöne Titel „Ehren=Gojim“ kostenlos ver¬
liehen. Ist aber ein Mann der Feder beim Klingel einmal
aufgenommen als würdiges Mitglied, so darf er mit dem
Steinklopferhans von sich sagen: Mir kann nix geschehn!
Es wäre denn, er bekäme Anwandlungen von Abneigung gegen
Jüdisches, was ja in solcher Gesellschaft nicht ausgeschlossen
erscheint. Dann allerdings fliegt er prompt hinaus und wird
als Abtrünniger zeitlebens mit noch viel größerem Hasse ver¬
folgt als jene Arier, die gleich als Judenscheue ins Leben
treten. Sonst aber kann er anstellen, was er will, immer
wieder findet er als Journalist oder Schriftsteller seine Ver¬
sorgung wie z. B. jener einstige Redaktör beim Berliner
in den bekannten Tausch=Prozesse als
bezahlter Polizeispitzel entpuppte und jetzt wohlbestallter
Schriftleiter eines parteilosen Provinzblattes ist. Oder
sich
Wien
Herr von Hofmannsthal, der
wie
Verschließen
unmöglich gemacht hat.
völlig
ihm auch die Pforten des Burgtheaters, so feiert er doch in
Berlin frisch und fröhlich seine Auferstehung! Jetzt vergreift
er sich sogar am Heiligsten der Antike, indem er die Moderni¬
sierung alter Dramenstoffe ungescheut vor aller Welt betreibt
und bei diesem blühenden Geschäft sogar öffentliche Gesell¬
schafter wie Beer=Hofmann, Vollmöller und andere findet:
Wenn erst die Schande wird geboren,
wird sie heimlich zur Welt gebracht ...
wächst sie aber und macht sich groß,
dann geht sie auch bei Tage bloß,
und ist doch nicht schöner geworben.
Je häßlicher wird ihr Gesicht,
je mehr sucht sie des Tages Licht.
Aehnlich liegt der Fall bei Hermann Bahr! Als Student
war er ein eifriger Anhänger Schönerers; er sah aber bald,
daß bei der völkischen Bewegung keine Seide zu spinnen sei,
und so reiste er bald darauf für die damals noch liberale
Wiener „Deutsche Zeitung" in Europa herum, um die vom
Liberalismus anerkannten Größen um ihre Meinung über
den Antisemitismus zu befragen. Diese Rundreise machte
ihn zum besonderen Günstling des österreichischen Klüngels,
der ihm die journalistische Laufbahn zu einer schönen, breiten
Straße ebnete. Aber sein Ehrgeiz strebte weiter, denn er
wollte auch ein anerkannter, aufgeführter Dramatiker werden,
wobei ihm seine Wandlungsfähigkeit vortrefflich zu statten
kam. Vom Symbolismus Maeterlincks bis zum österreichischen
Heimatsstück im Biedermeierkostüm „rang" er sich durch;
immer ängstlich der jeweiligen Mode des Tages folgend,
brachte er die Obstruktion des österreichischen Parlaments ebenso
gut auf die Bühne wie die rote Fahne der russischen Revolution.
Aber mit keinem seiner Dramen hatte er einen wirklichen
Erfolg, da ihm die ursprüngliche Dichterkraft fehlt und sein
ganzes Können über eine gewisse feuilletonistische Begabung
nicht hinausgeht. So stand er endlich in Wien vor
seinem geistigen Bankerott! Jedoch die Clique ließ ihn
nicht fallen, sie hängte ihn den Münchenern an,
und sollte es Herrn Baron von Speidel vielleicht gelingen,
dieses Kuckucksei aus dem warmen Neste des Münchner
Königlichen Schauspielhauses hinauszuwerfen, so wird auch
Hermann Jahr sicher ein angemessenes Asyl finden in dem
großen Rettungshafen des Wiener Klingels für dessen schiff¬
brüchige Mitglieder, in Berlin
Es ist schlimm, daß diese Sippschaft den gesunden Sinn
der Norddeutschen mit weibischer Gefühlsseligkeit und müder
Schlaffheit umnebelt. Aber schlimmer ist es, daß sie durch
das ewige Tam-tam ihrer Reklametrommel die Aufmerksam¬
keit des gutgesinnten Teils der Deutschen so sehr ablenkt
von dem tüchtigen Schaffen und Ringen so vieler ernster
Künstler und Schriftsteller in ihrer eigenen Heimat und im
übrigen Deutschland.