VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 64

13. Miscellaneous
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: Stuttgart, Wien
übrig bleiben, um die Blöße zu verhüllen? Macher
haben wir genug und übergenug; wir brauchen Dichter,
die aus den unentweihten Tiefen der eigenen Brust
schöpfen. Auf einen solchen, wenn auch noch so zaghaft
hervorgestammelten Herzenston wartet man in der
„Schule des Lebens vier Akte lang vergeblich.
Rudolf Krauß
Wien
„In festen Händen." Lustspiel in einem Akt von
Raoul Auernheimer. — „Das elfte Gebot."
Lustspiel in drei Akten von Edmond Sée (Deutsches
„Maskerade.
Volkstheater, 10. November).
Schauspiel in vier Akten von Ludwig Fulda (Hof¬
burgtheater, 12. November). — „Stimme des
Lebens.“ Szene von Erich Kahler. — „Die von
nebenan.“ Drama in einem Akt von Thaddäus
Rittner. — „Die Weißnäherin.“ Komödie in
einem Akt von Tristan Bernard (Intimes Theater,
14. November). — „Der Storch.“ Volksstück in vier
Akten von Ernst Gettke und Alexander Engel
(Raimundtheater 14. November).
Taoul Auernheimer, dessen Lustspiel „In festen
Händen“ uns das „Deutsche Volkstheater“
brachte, ist eine der sympathischeren Erscheinungen
der jungen wiener — oder darf man noch sagen „jung¬
wiener. — Litteratur. Die Rolle des Amuseurs einer
gewissen, fest umrissenen Klasse der wiener Gesellschaft,
die vor ihm zehn Jahre lang Herr Dr. Arthur Schnitzler
mit Eleganz und Geschick gespielt hat, scheint er nun
übernehmen zu wollen. In der That, man muß diese
Gesellschaft mit ihrer Freude am geistreichen Wort, mit
ihren ewig unverstandenen, ewig sensationslüsternen,
ewig nach einem anderen als dem Ehemann auslugenden
Frauen — den zu erringen sie doch zu vorsichtig sind -
mit den im Beruf oder Geschäft zermürbten Gatten
und den ohne Grazie frivolen Lebeknaben kennen, um
Auernheimers Gaben zu würdigen. Recht um die
Pointe herumgedichtet erscheint auch sein jüngstes kleines
in diesen Kreisen
Lustspiel. Die brave Ehefrau
sind sie immer brav — muß, um den Nachstellungen
der Lebemänner zu entgehen — vorschützen, sie habe
bereits einen Liebhaber, sei also in festen Händen“.
Das hört der Gatte, macht ihr eine Eifersuchtsszene,
klärt alles auf, und „in den Armen liegen sich
beiden.
Edmond Sée ist ein junger Pariser, den Antoine
zuerst auf die Bretter gebracht hat. „L’indiscret" heißt
sein Stück im Original — das „Deutsche Volkstheater
änderte den Titel in „Das elfte Gebot — und der
Autor scheint eine Fortsetzung der Charakterkomödie im
Stile des Meisters des französischen Lustspiels erstrebt
zu haben. Wirklich ist ihm die Hauptfigur, der Typus
des ewig geschwätzigen Liebhabers, der sich mit seinen
Indiskretionen schließlich um das Herz der angebeteten
Frau bringt, nicht übel gelungen. Schwächer in der
Charakteristik sind die Nebenpersonen und das Gefüge
der Handlung allzu locker, als daß es dauernd das
Interesse festhalten könnte. Wenn man schließlich im
dritten Akte sieht, wie die Frau, die vorher unbefriedigt
von einem Manne zum anderen geeilt ist, nun gerührt
und rein — ganz rein — dem legitimen Gatten in die
Arme sinkt, so schweigen alle Erinnerungen an die
Charakterkomödie, und man sieht nur das ältere
Boulevardlustspiel. Das Volkstheater hat übrigens auf
beide Novitäten viel lobenswerte Mühe verwendet.
Ludwig Fuldas „Maskerade hat bei der Ur¬
aufführung im Burgtheater dem Publikum sehr gefallen
und macht noch jetzt volle Häuser. Weniger der Kritik.
Von allen Seiten konnte Fulda hören, er sei zum
Gesellschaftskritiker nicht berufen, er möge sich lieber an
das leicht tändelnde Spiel der Phantasie halten: das
sei seine eigentliche Domäne. Nun ist es an sich mißlich,
einem sehr begabten Poeten das Recht zur Gesellschafts¬
kritik abzusprechen, besonders wenn er davon schon so
hübsche Proben geliefert hat, wie der Autor der