VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 65

13. Miscellaneous
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Kurze Anzeigen: S
„Sklavin“ und des „Verlorenen Paradieses. Ich
möchte lieber ganz konkret untersuchen, was das schön
geplante Stück um seine volle Wirkung bringt. — Ganz
prächtig ist zunächst der erste Akt. Famose, knappe,
klare Exposition, die in eine überaus wirksame und
außerordentlich plastische Szene zwischen dem Vater und
der natürlichen Tochter ausläuft. (Beiläufig bemerkt,
fand ich das Geständnis des Mädchens, einen Geliebten
zu haben, dem Vater gegenüber, den es zum ersten
Male sieht, etwas unnatürlich.) Der zweite Akt bringt
eine famose Milieuschilderung: Familie Schellhorn,
Vater, Mutter und Sohn, lauter gut gesehene Theater¬
typen, nicht allzu neu, nicht allzu tief, was die Analyse
anbelangt, aber lebendig und wirksam hingestellt. Mit
dem Erscheinen des Freiherrn v. Witinghof bekommt
aber das Stück seinen Knacks. Was will denn
Se. Exzellenz bei Schellhorn? Seine Tochter hat ihm
mitgeteilt, daß sie Schellhorns Sohne angehöre. Der
Freiherr will das Glück der Tochter, läßt sie legitimieren,
und bereitet durch seinen Besuch offensichtlich die Ver¬
mählung vor. Warum spricht er aber dann nicht, als
Schellhorn junior im Lauf des Gespräches erklärt, er
kenne keine „Baronesse Wittinghof“? Freilich wären
dann die weiteren Verwicklungen des dritten Aktes un¬
möglich, und so hat man den Eindruck, daß der Freiherr
v. Witinghof aus keinem anderen Grunde Verstecken
spielt, als um Herrn Dr. Ludwig Fulda die Fortsetzung
des Stückes zu ermöglichen. Recht überflüssig erscheint
weiter der vierte Akt, der denn auch am schwächsten
wirkte. Das Mädchen muß aus dem Absagebrief
Schellhorn juniors über den Charakter des Geliebten
sich völlig klar geworden sein. Ihn neuerlich auf die
Probe zu stellen, hat nach dem Vorhergegangenen keinen
Sinn. Auch die Nebenhandlung, die sich um die schöne
Witwe v. Tönning dreht, ist — auf ihre Glaubwürdigkeit
geprüft — nicht ganz einwandfrei. In welcher Gesell¬
schaft der Welt würde die kleine Notiz eines obskuren
Schandblattes hinreichen, um den guten Ruf einer an¬
gesehenen Dame zu zerstören! — Aber alle diese Be¬
denken reichten nicht hin dem Publikum die Freude
an dem reichen Bilde gesellschaftlichen Lebens, das Fulda
mit kundiger Hand entrollt, zu rauben.
Das Intime Theater brachte an seinem neuesten
litterarischen Abend „Stimme des Lebens, eine Szene
von Erich Kahler, zur Aufführung. Warum — fragten
sich staunend die Weisen. Die Szene ist ganz un¬
dramatisch, auch poetisch nicht hervorragend, und wird
um das bißchen Stimmung, das in ihr liegt, durch
einen grellen Schlußeffekt gebracht. „Die von nebenan¬
von Rittner, einem in Wien lebenden polnischen Autor,
ist zwar auch kein Drama, wie die Leitung des
„Intimen Theaters anzunehmen scheint, aber immerhin
die psychologisch nicht uninteressante Darstellung des
Hungergefühles in zwei Intelligenzproletariern, die durch
Einführung einer pariser Straßendirne nicht ungeschickt
unterbrochen wird. Leute, die vom Theater wollen,
daß es an ihren Nervensträngen zerre, werden diesen
Akt sehr erhaben finden. Den Schluß des Abends
machte ein Komödie von Tristan Bernard, von der
nicht mehr zu sagen ist, als daß sie lustig und litte¬
rarisch belanglos ist. Sie wurde übrigens um ihre
besten Pointen durch das miserable Spiel derselben
Darsteller gebracht, die in den beiden ersten Einaktern
ganz Tüchtiges leisteten.
Im Raimundtheater gefällt der „Storch, ein
Volksstück in vier Akten von Gettke, dem Direktor
des Raimundtheaters und Engel, dem bekannten
wiener Schwankdichter, den Leuten sehr. Gutgesehene
Volkstypen, die dankbare Rollen bieten, eine einfache,
durch witzige Einfälle belebte, durchaus theatergerecht
geführte Handlung und ein frischer Dialog machen das
Stück zu einem wertvollen Bestandteil des Spielplans.
Fritz Telmann