VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 69

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Miscellanos
alles aufnimmt, was Berlin produziert. Daneben
das zum Schlusse in einem Prunkmantel für die beiden
noch zulässigen Autoren des Theaters. Sein
Berliner „Kulturbühnen“ der Herren Max Reinhardt aber pflegt diese Bühne die Weltliteratur, die lebendigen
Regisseur muß ausdrücklich wissen, daß er
Werke aller Völker. Es ist also nach Hagemann die
und Otto Brahm verarbeitet wird. Wien aber zahlt
hört. Wenn Hagemann die Namen Fulda
die Kosten. Und auch Dresden und München, deren modernste aller Bühnen. Oder nicht?
enthal ausspricht, fragt er: „Muß man diese
Nein, „Wien ist neuerdings, wie in jeder Hinsicht,
künstlerische Kultur um ein halbes Jahrtausend älter
noch spielen?" Seine Götter sind Ibsen
auch im Bühnenwesen zurückgeblieben," sagt er. Ja
ist als die Berlins, werden zur Provinz herabgedrückt
Schnitzler. Da er die Namen
in und
damals, als Laube die Schauspieler hier noch sprechen
die aufzunehmen habe, was Berlin heute produziert.
r und Anzengruber nie nennt, können wir ihm
lehrte, Wilbrandt den ganzen Faust" aufführte und
Er kniet im Staube vor dem Ausstattungskünstler
Wiener Schnitzler nicht danken. Er ist ein
Mitterwurzer lebte, da war Wien noch etwas. Aber
Max Reinhardt, der mit mittleren Schauspielern und
neben jenen Großen. In Ibsen, Hauptmann
heute? Wir zehren auch künstlerisch an der Vergangen¬
gutem Drill abgerundete Vorstellungen in einem maleri¬
tzler sieht Hagemann die anerkannten Träge
heit, sagt er. Eine Truppe wie die Brahms kenne Wien
schen Rahmen, doch ohne jeglichen Individualitätsreiz
ters der Lebenden. Für die siegreiche Ein¬
nicht. Schon deshalb nicht, weil hier „der Berliner
zustande bringt, und er schreibt Hymnen über die
von Wedekind, Hoffmannsthal, Vollmöller,
„Höhenkunst" der Truppe Brahms. Sie löse heute Kunstbegriff der Regie, des ästhetisch zweck= und zwang¬
„Wilde, Shaw und Strindberg, die ihm sehr
vollen Zusammenspiels, der Gesamtwirkung als letzter
Aufgaben der modernen Schauspielkunst, wie sie kaum
liegen, hält er neben den städtischen Theatern
Zweck des Theaterspiels überhaupt unbekannt sei.
sonst auf einer Bühne unseres Erdteiles" gelöst werden.
Sonderbühnen oder Freie Bühnen für
Für solchen Dünkel gibt es nur Hohn. Der im
Wer Berlin und die künstlerischen Bestrebungen
oße Reformen seien nur durch solche zu er¬
Drill wurzelnde Berliner Kunstbegriff ist uns nicht
seiner modernen Bühnen kennt, muß die höchste Achtung
fremd, aber wir lieben ihn nicht. Das zwanglose Zu¬
vor dem dort Gebotenen haben. Diesen Ueberschwang
man erschrecke nicht vor dieser trostlosen
sammenspiel unserer Künstler erscheint uns ästhetisch
aber muß man ablehnen. Es ist noch zu viel Barbaris¬
Auslese, die sämtliche deutschen Bühnen in
höher als das zwangvolle der Berliner. Wir schätzen
mus in der jungen Kultur. Und das Kapitalistische ihrer
laten umgebracht hätte. Es ist dem Autor
gute Regisseure, aber wir stellen große schauspielerische
Unterlage ist mit Händen zu greifen. Wenn irgendwo
en Effekt, nur um die Pose der Modernität
Individualitäten unendlich höher. Uns gilt die Persön¬
so ist in Berlin das Theater das, was es nach Hage¬
Er versteht unter modern ganz etwas Ver¬
lichkeit, nicht der Mechanismus in der Kunst. Und auf
mann nicht sein soll, ein Geschäft,
Er dringt von den Lebenden zu den
einen Streit darüber, ob unsere Schauspieler größer sind
Von unserem Burgtheater weiß Herr Hagemann
aller Zeiten vor und sagt: „Das moderne
oder die Berliner, lassen wir uns nicht ein. Jede Stadt
gar nichts, aber er redet darüber. Es sei ja eine „gut
uns die Meisterwerke aller Zeiten und Völker
glaubt, die besten zu haben. Im übrigen aber sind wir
gemeinte Gründung" des Kaisers Josef gewesen. Aber
Modern ist ihm alles, was noch lebendig
der unbescheidenen Meinung, daß die alte Kultur eines
man machte es zum Comtessentheater, man schnitt alle¬
wir sollen jenen Werken der Vergangenheit
Theaters, das ein Weltrepertoire von zirka zweihundert
für den Horizont „junger Mädchen“ zu. Er nimmt das
egenwart das hinzufügen, was voraussichtlich
Stücken aller Zeiten und aller Völker zu seinem Besitz¬
Spottwort ernst! Er weiß nicht, daß das Burgtheater
st auch „Ewigkeitswert und Ewigkeitsdauer
stand zählt, zwei Dutzend Berliner Bühnen aufwiegt,
seine erste große Epoche zur Zeit Schröders und Brock
ird. Man sehe doch dieses Versteckensspiel
die jedes einzelne Stück, sei es eine Neuheit oder ein
manns, die zweite zur Zeit Schreyvogels gehabt hat.
gswahrheiten. Tut denn eine ernste Bühne,
klassisches Werk, zu Tode hetzen und es aus geschäft¬
Daß dann eine Zeit der Verflachung zum Comtessen¬
lsweise das Burgtheater, seit hundertfünfzig
lichen Gründen wie eine Zitrone auspressen. Wir sind
theater des Vormärz kam, wer leugnet es? Aber die
was anderes? Sucht sie nicht immer das Besie
sehr zurückgeblieben, ja. Wir unterscheiden noch immer
wart an das Best der Vergangenheit an achtzehnjährige Herrschaft Laubes machte ihr ein Ende,
zwischen dem modernen Raffinement einer theatralischen
und auch Dingelstedt und Wilbrandt dachten so wenig
Tretmühle und einem Hause der Musen.
an junge Mädchen bei ihrer Repertoirebelebung, als
Reform geschwätz! Nicht ein neuer Faden
Ignotus.
ganzen Gewebe von schillernden Phrasen, man heute daran denkt, wo das Burgtheater — leider!