13.
Miscellaneous
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Schandschreiber und Schandverleger
aus Gewinngier weder die Jugend
noch die Armsten im Geiste ver¬
schonen. Geht durch die Vorstädte
und beseht euch die Schaufenster
der Buchladen! Wie viele Stücke
der Auslage, wie viele Hefte, wie
viele Bilder sind darauf berechnet,
ungesunde Triebe aufzupeitschen!
Beseht euch genau das Publikum,
das sich die Nasen an diesen Schau¬
fenstern plattdrückt. Unreife Bur¬
schen, halbflügge Mädel, Schulkinder
allesamt. Stachelt das Leben in
der Großstadt die Sinnlichkeit ohne¬
hin viel zu früh wach, so hilft diese
„Literatur“ dazu, ihr den letzten
Schmelz, die letzte Scham zu neh¬
men. Mit aller Kraft und allen
Mitteln arbeitet unsre Zivilisation
daran, selbst die Hunnen großzu¬
ziehen, die sie zertrümmern sollen.
Die Gefahr liegt tatsächlich in
der ungehemmten Verwüstung jener
Schichten, aus denen wir am letzten
Ende immer wieder die Erneuerer,
das frische, reine Blut beziehen
müssen. Reichtum und Überbil¬
dung führen von den Quellen weg;
je höher eine Kaste steht, desto leich¬
ter neigt sie dazu, in Unnatur
und Ungesundheit abzuirren. Wenn
es ohne weiteres möglich wäre,
den Schmutz von der Straße her¬
unterzubringen und die breiten
Massen vor ihm zu behüten, dann
könnte man die wohlhabenden Gön¬
ner der Lüstlingsliteratur gewähren
lassen. Ich bin nicht der Meinung,
daß Feinschmeckerfreude an aparten
Kunstperlen sie zu Käufern buch¬
händlerischer Pikanterien macht; aus
den bitteren Erfahrungen, die mir
drei Bände edler ars amandi ein¬
getragen haben, weiß ich vielmehr,
daß mindestens 90 vom Hundert aller
dieser Leser Kirke statt der Muse
suchen. Und das, obgleich sie gar nicht
erst in Schweine verwandelt zu wer¬
den brauchen. Immerhin schlössen
sie sich mit ihren Geheimschriften in
stille Kämmerlein ein und bewun¬
derten dort ganz für sich den Schund,
„dessen Ausstattung jedes bibliophile
Auge entzückt, dann möcht's leid¬
lich scheinen. Wenn mich auch jene
verschollenen Zeiten erquicklicher
dünken, wo man dergleichen Poesie
nicht auf handgeschöpftem Bütten¬
papier und in köstlichen Einbänden
darreichte, sondern ihr ein angemes¬
seneres Kleid anzog. Doch wie ge¬
sagt — senilen Lebemännerchen soll
man jede spärliche Freude gönnen.
Falls sie sie für sich behalten. Aber
die in Frage kommenden Bücher¬
freunde färben ab. Sie denker.
liebevoll genug, um den Spaß, den
ihre Lektüre ihnen bereitet, auch
anderen zu gönnen, und sie bilden
die Kerntruppe derer, die mit lautem
Freiheitsgeschrei jeden Versuch ver¬
eiteln, den Verderbern en gros da¬
Handwerk zu legen. Mit Artur
Schnitzler bestreiten sie, daß schlüpf¬
rige Schriften einen nachteiligen
Einfluß auf die allgemeine Sitt¬
lichkeit ausüben können; weit eher
sind sie geneigt, das Gegenteil zu
glauben.
Dies ist die andere Gefahr. Unter
den im Kunstleben stehenden, ern¬
sten Männern, die ihr Land und
ihr Volk lieben und seine Art
kennen, weil sie seines Blutes sind,
unter ihnen findet sich kaum noch
ein Verteidiger der Giftfabrikation.
Was Friedrich Paulsen, was Hans
Thoma gesagt haben, ist unser aller
innerste Überzeugung. Nur daß
wir überschrien werden von den
Leuten, die den Markt beherrschen
und sich in ihrem Wohlbehagen
nicht stören lassen wollen. Und
daß die Geschäftsmacher und ihre
Verbündeten oder Kommis, die
gewisse Schar gewisser Literaten,
Presse und öffentliche Meinung
ganz anders beeinflussen als wir.
Es genügt ja leider, daß einer von
Kunstwart XXI, 20
Miscellaneous
box 44/10
Schandschreiber und Schandverleger
aus Gewinngier weder die Jugend
noch die Armsten im Geiste ver¬
schonen. Geht durch die Vorstädte
und beseht euch die Schaufenster
der Buchladen! Wie viele Stücke
der Auslage, wie viele Hefte, wie
viele Bilder sind darauf berechnet,
ungesunde Triebe aufzupeitschen!
Beseht euch genau das Publikum,
das sich die Nasen an diesen Schau¬
fenstern plattdrückt. Unreife Bur¬
schen, halbflügge Mädel, Schulkinder
allesamt. Stachelt das Leben in
der Großstadt die Sinnlichkeit ohne¬
hin viel zu früh wach, so hilft diese
„Literatur“ dazu, ihr den letzten
Schmelz, die letzte Scham zu neh¬
men. Mit aller Kraft und allen
Mitteln arbeitet unsre Zivilisation
daran, selbst die Hunnen großzu¬
ziehen, die sie zertrümmern sollen.
Die Gefahr liegt tatsächlich in
der ungehemmten Verwüstung jener
Schichten, aus denen wir am letzten
Ende immer wieder die Erneuerer,
das frische, reine Blut beziehen
müssen. Reichtum und Überbil¬
dung führen von den Quellen weg;
je höher eine Kaste steht, desto leich¬
ter neigt sie dazu, in Unnatur
und Ungesundheit abzuirren. Wenn
es ohne weiteres möglich wäre,
den Schmutz von der Straße her¬
unterzubringen und die breiten
Massen vor ihm zu behüten, dann
könnte man die wohlhabenden Gön¬
ner der Lüstlingsliteratur gewähren
lassen. Ich bin nicht der Meinung,
daß Feinschmeckerfreude an aparten
Kunstperlen sie zu Käufern buch¬
händlerischer Pikanterien macht; aus
den bitteren Erfahrungen, die mir
drei Bände edler ars amandi ein¬
getragen haben, weiß ich vielmehr,
daß mindestens 90 vom Hundert aller
dieser Leser Kirke statt der Muse
suchen. Und das, obgleich sie gar nicht
erst in Schweine verwandelt zu wer¬
den brauchen. Immerhin schlössen
sie sich mit ihren Geheimschriften in
stille Kämmerlein ein und bewun¬
derten dort ganz für sich den Schund,
„dessen Ausstattung jedes bibliophile
Auge entzückt, dann möcht's leid¬
lich scheinen. Wenn mich auch jene
verschollenen Zeiten erquicklicher
dünken, wo man dergleichen Poesie
nicht auf handgeschöpftem Bütten¬
papier und in köstlichen Einbänden
darreichte, sondern ihr ein angemes¬
seneres Kleid anzog. Doch wie ge¬
sagt — senilen Lebemännerchen soll
man jede spärliche Freude gönnen.
Falls sie sie für sich behalten. Aber
die in Frage kommenden Bücher¬
freunde färben ab. Sie denker.
liebevoll genug, um den Spaß, den
ihre Lektüre ihnen bereitet, auch
anderen zu gönnen, und sie bilden
die Kerntruppe derer, die mit lautem
Freiheitsgeschrei jeden Versuch ver¬
eiteln, den Verderbern en gros da¬
Handwerk zu legen. Mit Artur
Schnitzler bestreiten sie, daß schlüpf¬
rige Schriften einen nachteiligen
Einfluß auf die allgemeine Sitt¬
lichkeit ausüben können; weit eher
sind sie geneigt, das Gegenteil zu
glauben.
Dies ist die andere Gefahr. Unter
den im Kunstleben stehenden, ern¬
sten Männern, die ihr Land und
ihr Volk lieben und seine Art
kennen, weil sie seines Blutes sind,
unter ihnen findet sich kaum noch
ein Verteidiger der Giftfabrikation.
Was Friedrich Paulsen, was Hans
Thoma gesagt haben, ist unser aller
innerste Überzeugung. Nur daß
wir überschrien werden von den
Leuten, die den Markt beherrschen
und sich in ihrem Wohlbehagen
nicht stören lassen wollen. Und
daß die Geschäftsmacher und ihre
Verbündeten oder Kommis, die
gewisse Schar gewisser Literaten,
Presse und öffentliche Meinung
ganz anders beeinflussen als wir.
Es genügt ja leider, daß einer von
Kunstwart XXI, 20