VII, Verschiedenes 13, undatiert, Seite 109

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und vom Mittelzimmer sieht man weit hinaus ins Land und in dem von seinem schönen Bart die Rede war. Herr Schnitzler
freut sich der Nebelgebilde, die über den Städten hängen. Der erklärt, ihn würde das nicht ärgern, und Herr Bahr ist der
echte Bahr aber zeigt sich mir im Studirzimmer. Es ist den gleichen Meinung
Wir kommen auf die Schauspielkunst der Duse. Ob Herr
schönen Künsten und vor Allen Klimt geweiht. Da grüßt im
Mittelfeld die „Wahrheit", mit dem häßlichen Antlitz und dem Bahr der Ansicht ist, daß ihre Kunst auf die deutschen Schau¬
violeten Leib, und läßt an aller frauenhaften Anmuth zweifeln, spielerinnen gewirkt hat
Herr Bahr verneint sehr energisch. „Nein, sie haben nichts
Aber es bannt den Besucher wohl und kann ihn in noch ge¬
sättigter Lanne zum Nachdenken bringen. Und das Ganze ist ein gelernt von ihr, oder doch Einiges. Sie zerraufen sich die
Tempel, nur daß dieses Bild von Sais sich Einem immerfort auf Haare, tragen keine Mieder und gefallen sich in den unmög¬
drängt und die Nerven bedroht. Denn Bahr hat dem Erbauer lichsten Schaukelbewegungen." — Herr Bahr zeigt mir diese Dar¬
stellungskunst sehr drastisch, indem er seine noch immer stattliche
des Hauses klar seine Ansicht kundgethan, für die Wahrheit
Klimt's sollte ein Raum geschaffen werden, der das Bild in den Mähne kraut und im Sessel lustige Wippübungen macht. Und
Vordergrund drängt und alles Andere in Form und Farbe ihm er hält überhaupt nichts von dem Adlernen, dem Copiren. Es
werden Namen genannt von Leuten, die Jeder auf seiner Walze
zu Füßen legt. Das ist nun trefflich gelungen.
hat, und dann zwei, die nicht nachzuahmen sind: Baumeister,
Bahr erzählt Wundervolles von dem Bild. Es hält ihn in
Stimmung, es stärkt und kräftigt. Tritt er früh Morgens in sein Mitterwurzer, Schnitzler nennt auch den Namen Girardi, und
wie es kommt, daß seine unantastbare Originalität so viele Nach¬
Zimmer, dann ist die Wahrheit vom Licht umfluthet, dann erleb
beter verträgt.
er etwas wie Sonnenaufgang. Und stets, auch in trüben Tagen
„Das hat schon seinen Grund," sagt Bahr. „Er schöpft eben
hat das Bild seine Kraft gewahrt. Da begreift sich's, daß er
aus dem Volk und es ist nur ein Beweis seiner Echtheit, wenn
es liebt.
Viele so sprechen wie er. Ich kenne einen Bäcker, der zur Zeit
Wir sprechen nun von Klimt, und Hermann Bahr nennt ihn
einen großen, fertigen Neuschen, der nur wie zufällig hier lebt, meinem Stubenmädchen den Hof macht, und ich kann nicht
wahr ist, wie etwa die Franzosen, genug staunen, wie er dem Girardi in Gesten und Worten
der aber mit seiner Ko¬
Er zeige mir die Bild der Duse, die sie zumeist in velker ähnelt, obzwar es sicher anzunehmen ist, daß er ihn vielleicht
nur einmal in seinem Leben auf der Bühne gesehen hat —.
Sinnlichkeit wiedergeben. Wie theuer sie ihm ist, das weist wohl
Ob man Journalist und Bühnenschriftsteller sein kann, ohne
ein Spruch der Künstlerin, der mit fester, erzwungener Männ
in einem eine Nebenbeschäftigung erblicken zu müssen?
lichkeit über der Eingangsthür zu seinen Zimmern prangt.
Arthur Schuller läßt die Fragestellung nicht zu: „Das
Und dann sprechen wir im Studirzimmer von all den
tausend Dingen, über die der erfahrene, kluge, geistvolle Hausherr dürfen Sie doch nicht Bahr fragen, der Beides ist, denn über
wie selten Einer zu sprechen weiß. Er stand Pathe, da viel sich selbst kann man nicht bei Beantwortung einer Frage stehen.
große Dinge entstanden, aber sein Ruhm übertrifft seine Thaten Ich glaube aber, daß Goethe, Lessing und Hebbel den Be¬
und er hat nur das Ueble, daß alle Auswüchse, alle Phrasen fähigungsnachweis erbracht haben, sie waren Kritiker, Journalisten,
auf sein Conto kommen. Er lächelt und ereifert sich darüber Schriftsteller; man kann Arzt sein als Schriftsteller, man kann
Taschendieb sein, man muß nur Zeit genug haben.
nicht, er gibt gern zu, daß viel hinter ihm liegt, daß er ge¬
Wie Hermann Bahr arbeitet
sucht, getastet hat. Aber er vertritt das nur so beiläufig. Und
Es muß ihm etwas einfallen, blitzmäßig muß es ihn er¬
so fand ich keinen Feuergeist, ahnte nur sein Temperament und
war am meisten enttäuscht, als ich die Bahr=Locke verschwunden leuchten, das Andere geht dann leicht; der Weg von Hietzing nach
fand, die so lange richtunggebend für das Aeußere junger seiner Wohnung in Ober=St. Veit kommt ihm prächtig zustatten,
da kommen die hübschesten Ideen. Auch Schnitzler ist gern allein
Talente war.
bei der ersten Arbeit, er liebt noch die Ortsveränderung, das
Ein Get kam, da wir eben sprachen, und ich muß ihn ein
Radfahren.
führen, denn es ist Dr. Arthur Schnitzler. Der machte sich um
Wir begeben uns ins blaue Zimmer und ich verabschiede
gleich bequem, und es schien ihm ein Vergnügen, zu sehen,
mich. Da sieht man, was die Gewohnheit ausmacht, die grelle¬
ein Anderer porträtirt wird. Bahr ist sehr leicht zu treffen,
Reflexe wirken jetzt nicht mehr so störend, und man wünschte in
er macht Einen die Arbeit auch angenehm. Kennt er
doch
diesem Raume eine Frau zu sehen, mit rothem Haar und er¬
selbst das Meter und weiß, daß es nichts Angenehmeres
als auf ein Modell zu stoßen, das Kanten und Ecken hat, an gethan mit weißen, losen Gewändern.
Noch einmal kommt das Gespräch auf ver¬
die man den Meißel setzt.
gangene Zeit. „Weißt Du noch," sagt Schnitzler, „wie
„Ob er seinen Einfluß auf die Auswüchse der Moderne
an jenem Abend zusammensaßen im Loth ager
in Literatur und Kunst zugesteht oder ob es Legenden sind, die
Bierhaus und Du das Wort „die Moderne", kurz vorher geprägt,
ihm die vielen Vaterschaften zusprechen?"
auf den Antrag eines Gastes zurücknahmst? Es war lustig!
Bahr lächelt und zögert mit der Antwort, und Schnitzlei
Und Bahr lacht herzlich in der Erinnerung an jenen Abend
meint mit seiner feinen, gut abgetönten Stimme: „Ist das nicht ein
es war ja doch eine Zeit, die Männer zum Reisen brachte.
bißchen zu grob
Auf dem Heinweg schien mir die Natur fabelhaft necht,
Herr Bahr verwahrt sich dagegen, so vieles Unfruchtbar
Bahn's Stolz, der Marillenbaum hatte violette Flecke und seit
gezeugt zu haben. Es sind also Legenden. „Denken Sie," sag
Haus war in grelles Roth getaucht, seine Hunde aber bellter
er, „Mirbeau entdeckt Maeterlinck in Paris und ich führe den
blau. Ich glaube, so muß es jedem Naivling ergehen, der aus¬
Dichter, durch den Artikel im „Figaro" angeregt, in Wien als
sieht, die Wahrheit zu schauen...
A. D.-G.
Oder denken Sie
Conferencier ein. Bin ich da der Vater¬
vielleicht, daß ich die Secession erfunden habe, oder daß ich an
den Versen Hofmannsthals Schuld trage
Und das Café Griensteidl? Die legendarische Kaffeehaus¬
literatur?
Bahr lächelt und Schnitzler greift in die Debatte ein
Der Eine erklärt, in seinem Leben nur zweimal mit Schnitzler
und Hofmannsthal zusammen in dem genannten Café gewesen
zu sein, der Zweite ist geärgert darüber, daß man noch immer
in „trefflich" informirten Zeitschriften von ihm als Kaffeehausdichter
spricht. Und ich entnehme den Ausführungen Folgendes: Das
mit dem Café Griensteidl und den großen Schlagworten, die
dort von Bahr ausgegeben worden sein sollen, ist Erfindung und
Eselei. Aber Bahr amüsirt sich darüber, daß die Legende noch
heute erhalten ist. Er will Mode gemacht haben vor Jahren in
Berlin, als er, Tovote und Holz einen neuen Stil creirten